Eine Irakerin mit ihrem Baby in den Tagen der Befreiung Mossuls im Juli 2017 vor der Al-Nuri-Moschee. Der Wiederaufbau der Stadt geht bis heute nur langsam voran.

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Omar Mohammed (33) ist ein irakischer Historiker, der während der Terrorherrschaft des "Islamischen Staates" unter Lebensgefahr als "Mosul Eye" aus seiner Heimatstadt bloggte. Heute lebt er im Exil in Europa.

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Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak, ist auch zweieinhalb Jahre nach ihrer Befreiung im Juli 2017 vom Krieg gezeichnet, erzählt der Historiker und Blogger Omar Mohammed. Am Donnerstag diskutiert er im Bruno-Kreisky-Forum mit STANDARD-Redakteurin Gudrun Harrer über die aktuelle Situation im Irak.

STANDARD: Wie schreitet der Wiederaufbau von Mossul voran?

Mohammed: Millionen US-Dollar wurden in die Stadt gesteckt – aber es gibt keine klaren Ergebnisse. Die Infrastruktur wurde erst zu einem geringen Teil wieder aufgebaut, genauso wie die Textilfabriken, die die Grundlage Mossuls vor dem Angriff des "Islamischen Staates" 2014 waren. Ein anderes Problem sind Flüchtlinge, die immer noch in Camps leben. Das größte Problem sind aber die sogenannten IS-Familien, für die es überhaupt kein Justizsystem gibt. Das wird in Zukunft viel Schaden anrichten. Positiv ist, dass die lokale Gemeinschaft nicht auf die Regierung gewartet hat, um die Stadt wiederaufzubauen. Sie hat eigene Initiativen gestartet.

STANDARD: Der Weg zum Erfolg führt also nicht über Bagdad, sondern über lokales Engagement?

Mohammed: Genau. In Mossul ist temporär ein anderes System des Regierens nötig. Die Stadt fällt sonst wieder vollkommen in die Hände von durch den Iran unterstützten Milizen. Und die tauschen gerade ihre Militäruniformen in Businessuniformen um. Das schafft Unternehmen, die teils sogar von internationalen Organisationen unterstützt werden. Ich sage nicht, dass sie sie direkt finanzieren – aber weil sie die Wirtschaft kontrollieren, geht alles, was man dort hineinpumpt, an sie. Es sollte ein internationales Komitee für den Wiederaufbau Mossuls gegründet werden, das für mindestens fünf Jahre tätig ist. Bagdad wird immer leiden, wenn Mossul schwach ist. Wenn Mossul aber stabil ist, wird der Irak ein besseres Leben haben.

STANDARD: Und wie sollte dieses Komitee geformt sein?

Mohammed: Durch die Uno. Es gibt ja schon eine internationale Koalition, die gegen Terrorismus kämpft. Warum nicht eine internationale Koalition, die die Probleme, die durch Terrorismus erzeugt werden, löst? Wir sind so müde, Terrorismus hier, Terrorismus da. Wie soll man Terrorismus bekämpfen, wenn man nicht die zugrundeliegenden Probleme bekämpft? Diese sind: Mangel an Justiz, schlechte Wirtschaft, ein korruptes Politiksystem. Die Menschen haben es so satt, dass eine religiöse Agenda für politische Interessen benutzt wird.

STANDARD: Das scheinen Tausende, die seit Oktober im Irak protestieren, auch so zu sehen.

Mohammed: Sie wollen einfach ein ordentliches Land. Historisch gesehen gibt es immer einen "liberalen Moment", der passiert, wenn ein Land von einem Diktator befreit wird. Man erwartet dann 15 bis maximal 17 Jahre Chaos. Das ist, was der Irak gerade durchmacht. Wir sind in der finalen Phase dieses liberalen Moments.

STANDARD: Welche politische Figur könnte sich durchsetzen?

Mohammed: Aus den Protestierenden formiert sich gerade eine politische Klasse und Partei. Der Älteste von ihnen ist vielleicht 30 Jahre alt. Wenn die Älteren sagen: "Wir haben gegen Saddam Hussein gekämpft", dann antworten sie: "Okay, fein, danke. Es ist aber vorbei, wir haben jetzt einen anderen Kampf." Egal was die Regierung anbietet, die Protestierenden werden es zurückweisen.

STANDARD: Wie stark ist der IS?

Mohammed: Aktuell gruppiert er sich neu und wird sogar stärker. Vor 2014 hatten sie keine Frauen in den Camps. Jetzt stützen sie sich auf Kinder, die mit der Idee aufwachsen, alle zu töten. Diese Terrorgruppen sind wie ein Virus. Sie passen sich an neue Umwelten an. Der beste Weg, sie am Wachsen zu hindern, ist, ein besseres Leben für die Gemeinschaften zu schaffen, die von ihnen betroffen waren. Und gut im Gedächtnis zu behalten, was sie getan haben. (Anna Sawerthal, 20.2.2020)