Man würde viele, viele 200-Euro-Scheine brauchen, um den EU-Budgetrahmen bis 2027 zu bedecken.

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Ratspräsident Charles Michel will es wissen: Er hat die Polizei und Verkehrsbetriebe von Brüssel gebeten, sich auf einen EU-Gipfel einzustellen, der bis in die Morgenstunden des Samstags dauert. Er will eine Einigung auf den langfristigen EU-Budgetrahmen für 2020 bis 2027 erzwingen.

Frage: Warum braucht die EU einen Budgetrahmen über sieben Jahre, warum nicht einfach Jahresbudgets?

Antwort: Anders als in den Nationalstaaten ist die Erstellung eines EU-Haushalts mit 27 Staaten und mehr als 300 Regionen eine komplexe Sache, Österreichs Länderausgleich ist dagegen simpel. Viele Programme, die aus der gemeinsamen Kasse finanziert werden, laufen über mehrere Jahre. Die Union darf keine Schulden machen, hat nur wenig Eigeneinnahmen. Das erfordert also hohe Planungssicherheit. Es gibt dazu jedes Jahr ein detailliertes Jahresbudget, das vom Rat (Mitgliedsstaaten) und dem Europäischen Parlament gemeinsam erstellt wird.

Frage: Es geht also "nur" darum, jetzt erst einmal die Dimension der künftigen Ausgaben festzulegen?

Antwort: Ja, und darum, neue politische Prioritäten wie den Klimaschutz budgetär umzusetzen, die traditionell hohen Leistungen für den Agrarbereich und ärmere Regionen zurückzufahren. Auf dem Tisch liegt ein erster Kompromissvorschlag des Ständigen Ratspräsidenten Charles Michel, der auf einem Reformkonzept der Kommission beruht. Er sieht eine Obergrenze von 1,074 Prozent des BNE, der gesamten Wirtschaftsleistung der 27 Mitgliedsländer, vor, was 1090 Milliarden Euro entspricht. Die Kommission wollte mehr: 1,114 Prozent. Das EU-Parlament fordert gar eine Ausweitung auf 1,3 Prozent (1324 Milliarden). Vier Nettozahlerländer – Österreich, Schweden, die Niederlande und Dänemark – verlangen eine Obergrenze von 1000 Milliarden Euro oder ein Prozent des BNE. Das ergibt eine Bandbreite von 300 Milliarden Euro bis 2027.

Frage: Warum zahlen die EU-Staaten so unterschiedlich viel ein – was ja auch den Streit der Nationen anheizt?

Antwort: Das liegt an der Natur der EU als Solidargemeinschaft, die zwischen Ländern ausgleichen soll: gemeinschaftliche Ziele statt nationaler Wünsche. Die EU zahlt nicht an Staaten, sie fördert nach Sektoren. Bauern bekommen Geld, auch unterentwickelte Regionen, die Forschung und Studierende, die ins Ausland gehen. Daneben werden transnationale Projekte betrieben, vom Außengrenzschutz über Entwicklungshilfe bis zur Katastrophenhilfe oder Außenpolitik. Streit entsteht, weil sich Länder benachteiligt sehen. Kein Regierungschef sagt, er wolle gern mehr zahlen, weil sein Land mehr Nutzen als Kosten hat.

Frage: Wer sind Nettozahler, und wer sind die großen Nettoempfänger?

Antwort: Staaten, die mehr ins EU-Budget einzahlen, als sie wieder herausbekommen, sind die sechs Gründungsstaaten, Deutschland, Frankreich, Italien und die drei Beneluxstaaten – aber auch Österreich, Schweden, Finnland und Dänemark. Die "neuen", ärmeren Mitglieder in Mittel- und Osteuropa sind Nettoempfänger – sie müssen wirtschaftlich aufholen. Am meisten profitieren in der Nettobilanz Ungarn (vier Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung) sowie Polen (2,6). Großbritannien ist als großer Nettozahler seit dem Brexit weg, es fehlen 75 Milliarden Euro in sieben Jahren – was den Budgetdruck auf die übrigen 27 erhöht.

Frage: Warum tritt Kanzler Sebastian Kurz in Brüssel so offensiv für einen strikten Sparkurs ein?

Antwort: Er hat als Sprecher die Führung der "sparsamen vier" – der Nettozahler Österreich, Niederlande Schweden und Dänemark – übernommen. Wie Deutschland beharren sie auf dem Erhalt eines Rabatts – eines Limits für Nettobeiträge –, den Michel abschaffen will. Gegen dessen Vorschlag hagelt es Kritik von allen Seiten. Manche wollen mehr für Klimaschutz, die Osteuropäer wehren sich gegen Einbußen bei Agrar- und Kohäsionsgeldern. Michel schlägt aber auch neue Einnahmen, etwa eine Plastikabgabe, vor, was auf Zustimmung stößt.

Frage: Wird es eine Einigung geben?

Antwort: Nicht wahrscheinlich, heißt es in der Kommission. Selbst wenn man sich grundsätzlich einigt, wofür Einstimmigkeit nötig ist, wäre der Finanzrahmen nicht fix. Denn dann kommen erst die Verhandlungen mit dem EU-Parlament, das dem Budgetrahmen 2020 bis 2027 mit Mehrheit zustimmen muss. Ein Abschluss wird erst unter deutschem EU-Vorsitz ab Juli 2020 erwartet. (Thomas Mayer aus Brüssel, 20.2.2020)