Eigentlich war die erste Testversion der nächsten Generation von Googles mobilem Betriebssystem erst für Mitte März erwartet worden. Insofern stellt die Freigabe der Developer-Preview 1 (DP1) von Android 11 nun zumindest eine kleine Überraschung dar. Der Softwarehersteller will damit vor allem App-Entwicklern mehr Zeit geben, sich auf die für sie relevanten Änderungen einzustellen. Doch auch interessierte Nutzer bekommen so einen ersten Einblick, was auf sie zukommt. DER STANDARD konnte natürlich nicht widerstehen und hat die neue Version gleich einmal ausprobiert sowie die strukturellen Verbesserungen näher unter die Lupe genommen.

Erwartungshaltung

Wer in der aktuellen Testversion von Android 11 große, auf den ersten Blick sichtbare Änderungen erwartet, der muss zunächst einmal enttäuscht werden. Wie schon in den Vorjahren konzentriert sich die erste Developer-Preview zunächst auf Änderungen an der Softwarebasis. Erst in den kommenden Monaten werden dann auch neue Features erwartet. Üblicherweise nutzt Google für deren Enthüllung die Bühne seiner Entwicklerkonferenz I/O, die für Mitte Mai angesetzt ist.

Android 11: Die erste Testversion wird mit Interesse aufgenommen.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Neue Funktionen

Doch auch wenn Google in seinem offiziellen Blogposting nichts davon erwähnt, so finden sich in der DP1 sehr wohl bereits einige neue Funktionen. So gibt es nun die bei Android 10 noch vermisste Funktion, den systemweiten Dark Mode anhand von Sonnenaufgang und -untergang (de)aktivieren zu lassen. Wer will, kann alternativ auch einen manuellen Zeitplan festlegen. Dieses Feature haben bereits einige Dritthersteller im Angebot, in der offiziellen Lösung von Google fehlte dies aber bisher.

Ebenfalls neu hinzugekommen ist etwas, das schon in den ersten Testversionen von Android 10 – oder wie es damals noch hieß: Android Q – zu sehen gab. Über die Schnelleinstellungen kann ein Screen-Recorder aktiviert werden, um Videos des Bildschirmgeschehens einzufangen. Eine weitere nette Kleinigkeit ist, dass bei der Aktivierungen des Flugmodus nun aktive Bluetooth-Verbindungen aufrecht bleiben – womit also die Verbindung nicht mehr abreißt. Im Sharing-Menü gibt es jetzt wieder die Möglichkeit, einzelne Apps für den Schnellzugriff zu "pinnen", und die User des Pixel 4 können sich über eine neue Geste für "Motion Sense" – also den Miniradar des Google-Smartphones – freuen. Über diese kann die Wiedergabe von Liedern oder Videos pausiert werden.

Notifications

Mit einigen Neuerungen kann – erneut – der Benachrichtigungsbereich aufwarten: So werden die Notifications von Messaging-Tools nun in einem separaten Bereich zusammengefasst, da man ihre Relevanz als höher beurteilt als Benachrichtigungen anderer Apps. Zudem gibt es für solche Apps nun auch neue Funktionen: Ein Langdruck auf eine betreffende Notification offenbart einige zusätzliche Möglichkeiten wie das temporäre "Snoozen" der Benachrichtigung oder das Leiseschalten der Konversation. Umgekehrt kann das betreffende Gespräch auch als besonders wichtig markiert werden, und wenn die jeweilige App das erlaubt, kann die Konversation auch als Shortcut am Homescreen abgelegt werden.

Vor allem aber gibt es jetzt endlich jenes "Bubbles" genannte Feature, das in Android 10 noch gut versteckt war. Ähnlich den Chat Heads von Facebook werden dabei die Konversationen als über dem restlichen Smartphone-Geschehen schwebende Icons angezeigt. Auch das bedarf allerdings des Umstands, dass die jeweiligen Apps dieses Feature auch unterstützen.

Drei der kleineren Neuerungen bei Android 11: die Möglichkeit, den Dark Mode automatisch zu steuern, der neue Airplane-Mode, der laufende Bluetooth-Übertragungen nicht abbricht, sowie der Screen-Recorder.
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Privacy

Einen verlässlichen Schwerpunkt der vergangenen Android-Releases bildeten Verbesserungen im Bereich der Privatsphäre, und das ist bei Android 11 nicht anders. Ein Highlight ist dabei die Einführung von Einmalberechtigungen. Ähnlich wie bei der aktuellsten iOS-Generation kann jetzt also der Zugriff auf Standort, Mikrofon oder Kamera nur für eine einzige Nutzung gewährt werden. Nachdem die App nicht mehr aktiv genutzt wird, verliert sie also automatisch auch den Zugriff auf die betreffenden Daten – und muss beim nächsten Mal frisch anfragen.

Betont sei dabei, dass es sich hierbei um eine zusätzliche Option für die User handelt. Natürlich wird es auch weiter möglich sein, die betreffende Berechtigung dauerhaft zu vergeben, um sich stetige Abfragedialoge zu ersparen. Immerhin gibt es ja Apps, die für ihre Funktionalität diese Berechtigungen immer brauchen. Interessant könnte das Ganze insofern vor allem für Apps wie Messenger sein, denen man keinen dauerhaften Zugriff auf die erwähnten sensiblen Daten geben will, wo man aber dann doch ab und an mal den Standort oder auch einen Audioclip mit jemandem anderen teilen will.

Doch auch sonst schärft Google bei den Berechtigungen nach, und zwar vor allem, wenn es um den Standort geht. So wird es für App-Entwickler gleich in mehrfacher Hinsicht schwerer, auf diese Daten im Hintergrund zuzugreifen. Wer einen solchen dauerhaften Zugriff auf den Standort der User haben will, der muss diese schon dazu bringen, die betreffende Einstellung manuell zu aktivieren. Ein Dialog, der – wie bisher – beim App-Start angezeigt wird, reicht also nicht mehr aus. Stattdessen sehen die neuen Vorschriften vor, dass die User zunächst ausführlich informiert werden müssen, warum die App diesen Dauerzugriff benötigt, danach müssen sie auf die App-Einstellungen umgeleitet werden, wo sie dann gesondert den Zugriff aktivieren sollen – oder eben nicht.

In die Schranken weisen

Ein umständlicher Weg, der klarmacht, dass Google den Hintergrundzugriff auf Standortinformationen so weit wie möglich zurückzudrängen will. Das legt auch eine zweite Ankündigung nahe, die der Softwarehersteller parallel zur Freigabe der ersten Testversion von Android 11 tätigte: In Zukunft muss nämlich jede App, die solch umfassende Location-Daten sammeln will, die Notwendigkeit dafür auch gegenüber Google belegen. Apps, die dies nicht können oder wollen, werden in den kommenden Monaten aus dem Play Store entfernt – die finale Deadline setzt der Android-Hersteller bereits für November dieses Jahres. Dies sollte einer ganzen Riege an schnüffelnden Apps den Garaus machen und andere Entwickler dazu bringen, die eigenen Datensammlungen zu minimieren.

Und noch eine Verschärfung bei den Berechtigungen gibt es zu vermelden: Apps können künftig nicht mehr immer wieder einen Zugriff einfordern. Lehnen die Nutzer diese Anfrage zweimal in Folge ab, wird dies als dauerhafte Ablehnung interpretiert und die App darf den entsprechenden Dialog nicht mehr anzeigen.

Einige Privacy-Verschärfungen in Android 11 betreffen das Berechtigungssystem und hier im Besonderen den Zugriff auf den Standort der Nutzer.
Screenshots: Proschofsky / STANDARD

Storage endlich aufgeräumt

Unter dem Namen "Scoped Storage" hat Google bereits mit Android 10 eine der wichtigsten strukturellen Verbesserungen der vergangenen Jahre vorgestellt. Das Problem dabei: Diese Änderung war bislang komplett freiwillig, Apps konnten diese leicht umgehen. Grund dafür waren diverse Bedenken von App-Entwicklern. Nun wird es aber ernst. Alle Apps, die Android 11 als Zielversion anvisieren, müssen sich an die neuen Regeln halten.

Die Hintergründen zu diesem Konzept wurden bereits im Test von Android 10 ausführlich erklärt, hier also nur eine Kurzform: Es geht darum, dass die "External Storage"-Berechtigung von Android aufgedröselt wird. Bisher konnten Apps, die diese Berechtigung hatten, auf eine Fülle unterschiedlicher Daten verschiedener Programme zugreifen, was zahlreiche Privacy-, aber auch Sicherheitsprobleme zur Folge hat. Schreibzugriffe auf eigene Daten gibt es fortan ganz ohne Berechtigung, wer aber etwa auf durch andere Apps erstellte Fotos zugreifen will, muss sich dafür extra noch einmal die Erlaubnis der User einholen. Ähnlich ist dies mit Audio- oder Videodateien.

Vor allem aber wird der ungefilterte Zugriff auf das gesamte Dateisystem praktisch zur Gänze entfernt. Ausnahmen gibt es nur für Apps, die einen solchen für ihre Funktionalität unbedingt benötigen – etwa File-Manager. Und auch diese müssen dafür zunächst einen Antrag bei Google stellen, also eine Prüfung über sich ergehen lassen. Das ist übrigens eine der Neuerungen rund um Scoped-Storage in Android 11. Zu diesen zählen außerdem Verbesserungen bei der Performance durch neue Möglichkeiten für den direkten Zugriff auf einzelne Daten oder Verzeichnisse. Passend zu all dem wird die "Storage"-Berechtigung übrigens in "Files & Media" umbenannt.

Neue Schnittstellen

Einen bedeuten Teil jeder neuen Plattform-Release stellt der Support für zusätzliche Hardware dar. Mit Android 11 hält dabei der offizielle Support für sogenannte "Waterfall"-Displays Einzug, die seitlich fast an die Unterseite des Geräts gebogen sind. Neue Android-Schnittstellen erlauben es dabei, Randbereiche zu definieren, um seitliche Gesten zu erleichtern.

Einige Nerven dürfte eine weitere Neuerung retten: Kamera-Apps können nun über eigene Programmierschnittstellen (APIs) das Vibrieren und die Tonausgabe des Smartphones deaktivieren – eingehende Benachrichtigungen sollten künftig also keine Videos mehr ruinieren. Neue APIs gibt es zudem für den Zugriff auf den Bokeh-Modus vieler aktueller Smartphones, womit dieser auch von Dritt-Apps angesprochen werden kann.

5G

Ein vieldiskutiertes Thema ist derzeit 5G. Und mit Android 11 gibt es weitere Schnittstellen für die neue Mobilfunkgeneration. So können Apps künftig überprüfen, ob das Datenvolumen bei einer Verbindung beschränkt ist oder nicht – und dann etwa die Videoqualität automatisch anpassen. Neue APIs für die Abschätzung der gerade zur Verfügung stehenden Bandbreite gibt es ebenso.

Neue 5G-Schnittstellen sollen zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten erlauben, betont Google.
Grafik: Google

Sicherheit

Im Bereich Sicherheit fällt vor allem der Support für die sichere Speicherung von Ausweisen auf, darunter auch Führerscheine nach dem ISO-18013-5-Standard. Weitere Verbesserungen gibt es für die Biometrie-Schnittstellen, um klarer zwischen sicheren und unsicheren Verfahren zu unterscheiden. Außerdem hat Google mithilfe des Compilers einige "Härtungen" an den Kernkomponenten von Android vorgenommen. Wer sich darunter gar nichts vorstellen kann: Vereinfacht heißt das, dass diese schwerer angreifbar werden. Gleichzeitig führt dies aber dazu, dass auch bei so mancher Dritt-App unter Android 11 Fehler offenbar werden könnten, die bisher unentdeckt blieben – indem sie jetzt zu einem Absturz führen. Das ist einer der Gründe dafür, warum Google App-Entwicklern rät, ihre Erzeugnisse möglichst bald mit Android 11 zu testen, immerhin könnten sich hier auch bisher schlummernde Defizite zeigen.

Eine Neuerung ist der sogenannte "Blob Store Manager". Dabei handelt es sich um eine sichere Methode, mit der sich mehrere Apps größere Datensätze teilen können. Gedacht ist dies etwa für Maschinenlernmodelle oder Mediendateien, die bisher von jeder App frisch heruntergeladen werden müssen – auch wenn sie exakt mit den Daten einer anderen App übereinstimmen. Weitere Einschränkungen gibt es für den Zugriff auf nicht offiziell vom Android-Entwicklerkit definierte Schnittstellen. Das langfristige Ziel bleibt, solche bei Entwicklern früher sehr gern genutzten Tricks ganz abzudrehen.

Spurensuche

Sehr interessant für Entwickler dürften auch neue Funktionen in Android 11 sein, die Google unter dem Begriff "Data Access Auditing" zusammenfasst. Darüber soll es einfacher werden festzustellen, auf welche Nutzerdaten die eigene App eigentlich wann zugreift. Das mag zunächst absurd klingen, immerhin würde man meinen, dass Entwickler sehr genau wissen, was die eigene App tut. In der Realität ist dies aber aufgrund der verbreiteten Nutzung von externen Bibliotheken und vor allem ganzer Entwicklerkits (SDKs) gar nicht so einfach zu sagen. Damit reagiert Google auf häufiger werdende Berichte, dass solche SDKs alle möglichen sensiblen Daten auslesen – oft ohne Wissen der eigentlichen App-Entwickler.

Keine strukturelle Verbesserung, aber angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre trotzdem erfreulich und insofern wert, zumindest am Rande erwähnt zu werden: Die aktuelle Testversion beinhaltet nicht nur einen aktuellen Sicherheitspatch, sie ist ihrer Zeit sogar voraus: Sie trägt nämlich den Patch-Level 5. März 2020, ein Update, das in den stabilen Versionen erst in den kommenden Wochen folgen soll.

Mainline, Teil 2

Die Zahl jener Module, die mittels der Google-Play-System-Updates, auch "Project Mainline" genannt, bei allen Geräten direkt von Google kommen, hat mit Android 11 massiv zugenommen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Weitere Fortschritte macht das "Project Mainline": Mit Android 11 werden elf weitere Module definiert, die künftig direkt von Google statt vom jeweiligen Smartphone-Hersteller an die Geräte geliefert werden sollen. Das wichtigste davon ist ein Modul, das für das Berechtigungssystem von Android zuständig ist. Google kann damit diesen Bereich nicht nur standardisieren, sondern künftig auch zeitnah – und theoretisch auch unabhängig von der auf einem Gerät laufenden Android-Generation – Änderungen vornehmen. Ebenfalls enthalten ist der Media-Provider für die Abwicklung der "Scoped Storage"-Anfragen, weitere Module gibt es etwa für WLAN oder auch einzelne Telefoniebereiche oder die Maschinenlernschnittstellen. Apropos: Dieses Neural Networks API ist nun in der Version 1.3 enthalten, die einige zusätzliche Funktionen für Entwickler bietet.

Vermischtes

Zu den kleineren Verbesserungen von Android 11 DP1 gehören der Support für animierte HEIF-Bilder sowie ein neuer, native Image-Decoder für Formate wie JPEG, PNG oder auch WebP. Vor allem für Streaming interessant ist ein Low Latency Decoder, der eine sehr schnelle Verarbeitung priorisiert. Google denkt dabei nicht zuletzt an die eigene Spieleplattform Stadia. Aber auch für HDMI-Verbindungen gibt es jetzt so einen Niedriglatenzmodus. Was man hingegen in Android 11 – zumindest derzeit – vergeblich sucht, ist ein Easter Egg. An der gewohnten Stelle in den Systemeinstellungen tut sich derzeit gar nichts.

Verfügbarkeit

Die Developer Preview 1 von Android 11 gibt es zunächst als Factory-Image für alle Pixel-Smartphones ab dem Pixel 2. Das Android-Beta-Programm wurde hingegen bislang absichtlich noch nicht gestartet, ein einfaches Update von Android 10 ist also nicht möglich. Das hat den Grund, dass die aktuelle Version explizit nur für Entwickler gedacht ist. Google verweist etwa in den Release-Notes noch auf zahlreiche Bugs und Defizite, neugierige Nutzer sollten also besser auf spätere Releases warten.

Der aktuelle Zeitplan für Android 11.
Grafik: Google

Zeitplan

Solche neuen Testversionen soll es dabei im monatlichen Rhythmus geben. So sieht der aktuelle Zeitplan für März und April zwei weitere Developer-Previews vor, im Mai soll es dann – parallel zur Google I/O – die erste Beta geben. Schon im Juni sollen dann alle Schnittstellen stabil sein – sowohl externe als auch interne, und auch die Veröffentlichung von Apps im Play Store, die die neue Version adressieren, wird dann erlaubt. Danach wird die Roadmap vage, für das dritte Quartal werden noch ein Release-Candidate gefolgt von der fertigen Version gelistet. Es ist also davon auszugehen, dass Android 11 irgendwann im August oder September freigegeben wird.

Andere Hersteller

Eine Randbemerkung noch, was die Teilnahme anderer Hersteller am Beta-Programm betrifft: Orientiert man sich an den Vorjahren, dürfte der Support für Nicht-Google-Geräte wohl erst in den kommenden Monaten folgen – und da natürlich nur für ausgewählte Smartphones. Trotzdem gibt es schon jetzt die Möglichkeit, auf einigen Geräten von Drittherstellern Android 11 auszuprobieren. Das ist der Existenz eines sogenannten "Generic System Images" (GSI) für die neue Softwaregeneration zu verdanken. Der Support für solche Images ist bei vielen Geräten zu finden, die schon mit Android 10 ausgeliefert wurden. Wer das nötige Know-how hat, kann über die Kommandozeile ein GSI auf diesen Geräten temporär statt dem eigentlichen System booten. Die gewohnte Umgebung sollte man dabei aber nicht erwarten. Solche GSIs sind nur für Entwickler gedacht und haben nur eine minimale App-Ausstattung zu bieten, da sie direkt aus dem Android-Source-Code (AOSP) erstellt wurden. (Andreas Proschofsky, 20.2.2020)