Das Cover seines Welterfolgs hat man vor der Fabrik aufgenommen, in der Bill Withers bis 1971 gearbeitet hat. Was wohl aus der Lunchbox wurde?

Foto: Sussex records

Booker T. Jones war gerade an die Westküste gezogen. In Malibu hatte er ein Haus gekauft und sich ein Studio gebaut. Langsam eroberte er sich im Golden State den Platz, der ihm zustand. Booker T. war erst Mitte zwanzig, aber im Business schon ein alter Hase.

Als Kaulquappe hatte er in den Sixties mit seiner Band, den M.G.'s, ein paar fette Hits geschrieben, die rund um den Globus gehört wurden. Der studierte Musiker war als solcher Teil der Hausband des Soul-Studios Stax in Memphis gewesen. Berühmt wurde er dort als Organist, der größte Hit der M.G.'s war wohl das geniale Green Onions, ich aber mag diesen Song am liebsten, seit ich ihn am Beginn von Barbet Schroeders Bukowski-Film Barfly gehört habe. Ein Killer. Hier der Einsatz von Hip Hug Her im Film:

Dani Carpi

Aber ich schweife jetzt schon ab. Also gut, Booker T. Jones lebte in Malibu. Das hatte sich schnell herumgesprochen, sein Telefon läutete immer öfter, man brauchte ihn als Sessionmusiker, seine Gagen waren, wie er in seiner im Vorjahr erschienenen Autobiografie Time Is Tight schreibt, immer high end. Bob Dylan schaute vorbei, Stephen Stills wurde ein Freund, diese Abteilung.

Im Sommer 1970 läutet wieder einmal Bookers Telefon. Dran war Clarence Avant. Der neue Eigner von Stax Records, Al Bell, hatte ihm seine Nummer gegeben. Avant versuchte damals gerade, Stax an Paramount Pictures zu verkaufen. Über Clarence Avant sollte man ebenfalls ein Buch schreiben. Seit ein paar Monaten gibt es eine fantastische Doku auf Netflix über ihn. Sie heißt The Black Godfather und umreißt die Biografie dieses afroamerikanischen Ermöglichers und Unterhaltungsindustrie-Giganten. Ein Pflichtprogramm für Interessierte.

Labelkollege des Sugarman

Der heute 88-Jährige hatte damals ein Label gegründet: Sussex Records. Der Name besteht aus den beiden Dingen, die die Menschen seiner Meinung nach alle haben wollen. Success und Sex: Sussex. Neben einem gewissen Sixto Rodriguez, dem Sugarman, hatte er einen Mann an der Hand, an den er glaubte.

Avant sprach also zu Booker T. er habe da einen Typen, der in Inglewood die Häusln in Flugzeuge einbaue und Songs schreibe. "Du solltest ihn dir anhören."

"Okay, schick ihn vorbei", sagte Jones.

Kaum hatte er aufgelegt, sah Jones einen Mann mit kurzem Afro auf sein Haus zukommen. So schnell kann's gehen. Er trug Arbeitskleidung, ein Lunchpaket, eine Gitarre und ein Notizbuch. Er stellte sich vor, setzte sich und begann zu spielen. Mit dem Fuß stampfte er den Rhythmus zu seinem Lied: "Ain't no sunshine when she's gone", sang er, "It's not warm when she's away."

Stephen Stills, Jim Keltner ...

Jones griff zum Hörer und rief seine Freunde von den M.G.'s an. "Ich brauch dich im Studio", sagte er zu Schlagzeuger Al Jackson, der sich den Job schließlich mit Jim Keltner teilte. Bassist Duck Dunn kam geflogen, Steve Cropper konnte nicht, die Gitarre übernahm Stephen Stills.

Noch während er telefonierte, hörte er den Mann aus dem Nebenzimmer über die Hände seiner Großmutter singen. Jones war restlos überzeugt. Ein paar Tage später traf man sich im Studio, die Neuentdeckung kam in denselben Klamotten an, die er einige Tage zuvor bei Jones zu Hause getragen hatte. "Wer wird denn die Songs singen?", fragte er Jones. "Du, Bill."

So begann die Karriere des Bill Withers. Er ging zum ersten Mal ins Studio und nahm Just As I Am auf – einen Klassiker. Das war 1970.

Das dramatische Harlem – damit eröffnet Just As I Am.
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Withers stammte ursprünglich aus Slab Fork in West Virginia, einem Kaff, in dem Kohle abgebaut wurde. Nach ein paar Jahren in der Armee ging der schwer stotternde junge Mann nach L. A. rüber, wo er einen Job bei einem Flugzeughersteller bekam.

Star mit der Lunchbox

Er war knapp 33, als er sein Debütalbum aufnahm. Das Cover des 1971 erschienenen Werks zeigt ihn mit seiner Lunchbox in einer Arbeitspause bei Webster Aircraft in Burbank. Erst als Songs wie Harlem, Ain't No Sunshine und Grandma's Hands die Charts stürmten und er in der Ed Sullivan Show auftrat, kündigte er.

Klassiker: Ain't No Sunshine.
Andres Trevino

Auf Just As I Am gibt es einen kleinen Song, der mehr ein Jam ist: Do it Good heißt der, in dem Withers darüber singt, was ihm gerade passiert, das erste Mal im Studio und so. Was immer du machst, mach es gut, hatte ihm Booker T. als Tipp gegeben. Daraus machte Withers einen Song. So arbeitete der Mann.

Klassischer Songwriter

Seine Singles verkauften sich millionenfach, im Jahr darauf erschien Still Bill – das mit Lean on Me und Use Me zwei weitere Klassiker aufwartete – Evergreens in der Schnittmenge von Soul und Funk. Dabei hat sich Withers eher als klassischen Songwriter verstanden, und das war er auch. Schon seine Coverversion von Fred Neils Everybody's Talkin' auf Just As I Am hat das unterstrichen.

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Und selbst seine Hits waren nicht die klassischen Liebesgeschichten, die sonst die Charts verstopften. Withers' Songs waren wie Short Storys, oft nicht viel länger als zwei Minuten, aber dennoch perfekt.

Den Stiefel aufnehmen

Selbst das vermeintlich Unperfekte war noch stimmig. Als Jones mit Withers im Studio war, stampfte der weiterhin den Rhythmus mit dem Fuß. Die meisten fanden das Geräusch störend, nicht Booker T. Er nahm ein eigenes Mikro, um den in den Boden getretenen Beat aufzunehmen. Sogar als Withers sich bei den Aufnahmen von Ain't No Sunshine in ein verlegenes "I know, I know, I know" verlor, weil er nicht wusste, wie der Text weitergehen sollte, ließ Jones das instinktsicher drinnen.

Jones schrieb nach den Aufnahmen noch ein paar knappe Streicher-Arrangements, und fertig war eines der Meisterwerke jener Zeit. Withers' Lieder bestechen bis heute durch ihre präzise Ökonomie. Während ein Isaac Hayes drüben in Memphis drauf und dran war, das Songformat auf die Länge einer ganzen LP-Seite auszudehnen, hielt Withers sich knapp. Er glaubte an die Kraft der Geschichten, die allesamt aus dem eigenen Erleben stammten. Und die waren nun einmal keine Opern.

BillWithersVEVO

Withers machten seine vier Alben für Sussex zum Star. Seine Hits laufen bis heute in den Radios und werden gecovert – quer durch die Genres. Dabei empfand Withers die Rolle des Stars immer als eher unangenehm. Mit Anfang 30 hatte er ein normales bürgerliches Leben aufgebaut gehabt, dem Schein des Business, in dem er danach so erfolgreich war, erlag er nie. Er war, was Terry Callier einen Ordinary Joe nannte – und stolz darauf.

"Blacksperts"

Als Whiters nach dem Kollaps von Sussex zu Columbia wechselte, bestätigte sich sein Misstrauen gegenüber der Musikindustrie. Dort traf er auf Typen, die er bis heute "Blacksperts" nennt. Weiße Auskenner, die angeblich genau wissen, worüber ein afroamerikanischer Künstler zu singen hat.

BillWithersVEVO

Zehn Jahre und fünf Alben lang hielt er es bei Columbia aus, ein paar Hits fielen dabei noch ab. Doch wie er sich in jener Zeit fühlte, ist in Youtube-Videos zu sehen, die ihn bei Auftritten in TV-Show in einer Laune zeigen, die Bände spricht. 1985 ließ er das Musikbusiness hinter sich und kehrte nicht wieder.

Simpel und genial

Seine Sussex-Alben zählen heute mit zum Besten, was die frühen 1970er hervorgebracht haben, und das war einiges. Sie zeigen einen eloquenten Songwriter, der mit einer extrem lässigen Band Musik produzierte, die über die Zeit Bestand hat. Allein sein Use Me ist so simpel wie genial. Der Basslauf ist ein Wahnsinn, der Rhythmus so scharf wie das Gitarrenriff, zu dem Withers seine Akustische schlägt. Kein Ton zu viel, kein Kitsch, kein Tand, kein Showbiz-Quatsch. Genau das sprach sein Publikum an.

Oft gecovert, nie erreicht: Use Me, das Original.
BillWithersVEVO

Withers ist heute rüstige 81 und hat mittlerweile selbst die Hände eines Großvaters. Bisher hat er allen Versuchungen widerstanden, wieder etwas zu veröffentlichen. Schade, dass ein Typ wie Joe Henry sich seiner nicht schon vor 15 Jahren angenommen hat. Dabei macht Withers im Heimstudio bis heute Musik. Andererseits sind die drei Studioalben für Sussex sowie das Live-Album aus der Carnegie Hall ein mehr als eindrucksvolles künstlerisches Erbe. Möge er seinen Ruhestand noch lange genießen.

2009 erschien eine Doku über ihn, die wie sein zweites Album betitelt war: Still Bill. Der Titel sollte schon beim ersten Mal sagen, ich bin immer noch der aus der Flugzeugfabrik. Ein No-Bullshit-Typ, der zufällig ein paar geniale Songs aus dem Ärmel geschüttelt hat.

Still Bill: So sieht der Mann heute aus, mit 81.
Foto: billwithers.com

(Karl Fluch, 20.2.2020)