Ein bisserl würgt es mich schon, als ich die vorgekochten Mehlwürmer mit dem Pürierstab kleinhacke und sie zu einem graubraunen Gatsch werden. Das lasse ich mir aber natürlich nicht anmerken. Zumindest versuche ich es. Das Videoteam steht bei mir in der Küche und will filmen, wie ich aus den kleinen Tierchen leckere Bolognese zaubere. "Ekel empfinde ich überhaupt keinen mehr", sage ich lässig in die Kamera. Na gut, das ist ein bisschen gelogen. Dennoch: Zwischen der ersten Heuschrecke vor zwei Wochen, deren Verzehr sich für mich noch wie eine Dschungel-Camp-Challenge anfühlte, und dem Mehlwurmfaschierten jetzt liegen Welten. Aber der Reihe nach, zurück zum Start:

Die Kokoscremesuppe wird mit Chili-Mehlwürmern garniert.
Foto: www.corn.at - Heribert Corn

Der Selbstversuch

Mein Zweijähriger schaut mich mit großen Augen an, als ich die erste Packung mit getrockneten Mehlwürmern öffne. Ich schütte sie in eine Schüssel, sein Blick wird starr. Er überlegt. Ich warte. Plötzlich tönt ein vergnügtes: "Ein Kringelwurm!" Schon tapst seine kleine Hand in die Schüssel, und die ersten Würmer landen ohne Nachdenken in seinem Mund. "Noch mehr Kringelwurm, Mama!" Kann er haben, schließlich stecken in so einem Wurm hochwertiges Protein, ungesättigte Fettsäuren (vergleichbar mit Fisch), viele Ballaststoffe und Mikronährstoffe wie Kupfer, Eisen, Magnesium und Zink.

Unser Familienexperiment starte ich dennoch soft. Ich will ja niemanden überfordern. Schon gar nicht mich selbst. Am ersten Tag gibt es eine Kokoscremesuppe. Statt Chili als Topping wird das Süppchen mit Würmern garniert. Mit Chili-Mehlwürmern. Mein Mann isst den ersten Löffel und meint völlig unbeeindruckt: "Sind mir zu mild. Ich brauch’ extra Chili." Mhh, ja, und sonst? Die Würmchen sind knusprig, das finden wir beide toll. Geschmacklich würde ich die Insekten als nussig, getreidig beschreiben.

Wir gehen einen Schritt weiter und wollen aus vier Zentimeter großen Heuschrecken Schnitzel machen. Wie das geht? Ganz einfach panieren und im Fett rausbraten. Das Ergebnis ist ähnlich unbeeindruckend wie ein gebackener Champignon. Nur passt die panierte Heuschrecke viel besser auf meinen geliebten Kernöl-Kartoffelsalat. Und das Kind findet die Heuschreckennuggets "leggggaaaa".

Die getrockneten Heuschrecken können gebacken oder gebraten werden.
Foto: www.corn.at , Heribert CORN

Am Wochenende haben wir Freunde eingeladen. Ich warne sie schon einmal vor, dass es ein etwas "außergewöhnliches Dinner" wird. Sie vermuten, was gemeint ist, und schicken mir kotzende Emoticons zurück. Meine Motivation, sie davon zu überzeugen, dass Insekten sehr wohl schmackhaft sein können, steigt enorm. Der Mann schneidet etwa 200 Heimchen klein, das Kind klaubt die heruntergefallenen Würmer vom Boden auf und spielt mit ihnen – eine idyllische Küchenszenerie.

Es ist schon arg, wie viele Tiere für ein simples Abendessen draufgehen. Die Gewissensbisse lassen sich mildern, wenn man weiß, dass Insekten schonend getötet werden: Kühlt man die Außentemperatur herunter, fallen sie in eine Art Winterschlaf und können auf diese Weise schmerzlos gefriergetrocknet werden.

Die Heimchenstücke mische ich nun unter die Brotmasse, aus der später Spinatknödel geformt werden. Außerdem dürfen sich die Gäste noch auf Schoko-Wurm-Pralinen freuen. Alle probieren sie abends. Sehr wahrscheinlich aus Höflichkeit. "Gar nicht so schlecht", sagen sie, der Graus ist ihnen aber ins Gesicht geschrieben. Ich jubiliere innerlich – auch ich habe eine kleine sadistische Ader.

Die Zahlen und Fakten

Allerdings verstehe ich auch meine Freude. So eine riesige Heuschrecke mit ihren leuchtend roten Augen und dazu ein Haufen Würmer haben etwas von Gruselfilm. Trotzdem sind Insekten zum Essen da. Das beweisen zwei Milliarden Menschen weltweit, die Entomophagie bereits praktizieren. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen empfiehlt den Verzehr der Sechsfüßer sogar ausdrücklich. Nicht nur weil sie gesund sind, sondern auch weil sie die Umwelt schonen: Die Aufzucht von Würmern und Heuschrecken verbraucht im Vergleich zu jener von Rindern, Schweinen oder Hühnern weniger Wasser, Platz und Futtermittel. Um sich das besser vorstellen zu können, hier ein paar Zahlen:

(Der Vergleich bezieht sich jeweils auf ein Kilogramm Rindfleisch zu einem Kilogramm Insektenmasse)

  • Beim Rindfleisch müssen etwa acht Kilogramm Futtermittel eingesetzt werden, um ein Kilogramm Rindfleisch zu gewinnen. Bei Insekten sind es hingegen nur zwei Kilogramm.
  • Etwa die dreifache Menge an Wasser wird zur Gewinnung von Rindfleisch im Vergleich zu Insektenmasse verbraucht.
  • Rinder brauchen zehnmal mehr Platz als Insekten.
  • Ein Burger mit Rindfleisch verursacht im Vergleich zu einem vergleichbaren Burger mit Insekten etwa zwei Drittel mehr CO2.

Außerdem bestehen Insekten aus bis zu 70 Prozent Protein, während es etwa bei Hühnerfleisch nur 27 Prozent sind. Und der essbare Anteil bei Insekten ist mit 80 Prozent doppelt so hoch als jener von Rindern.

Trotz all dieser Fakten sind wir Europäer aber weit davon entfernt, Insekten in unseren täglichen Speiseplan zu integrieren. Ist uns zu pfui.

Der Lerneffekt

Wenn ich etwas durch den Selbstversuch gelernt habe, dann dass Ekel erlernt ist. Dabei haben wir Österreicher schon öfter unsere Ernährungsgewohnheiten geändert. Man denke etwa an die rasche Akzeptanz von rohem Fisch in Form von Sushi. Und wenn wir ehrlich sind, ist es sogar absurd, dass wir Garnelen, die wie kleine Alienembryonen anmuten, schmackhaft finden. Einen Wurm dagegen würden wir niemals essen?

Nach meinem zweiwöchigen Kochexperiment, möchte ich jeden dazu ermutigen, einmal Insekten zu probieren. Es ist interessant, es ist neu. Für viele Gerichte lässt sich das Fleisch durch Insekten ersetzen, etwa indem man Würmer statt Speck für das Gröstl verwendet. Vor allem kleine Kinder scheinen noch überhaupt keinen Ekel zu empfinden. Ganz im Gegenteil: Die meisten Kinder essen die getrockneten Würmer wie Chips.

Ein Nachteil: Insekten sind hierzulande aber noch sehr teuer. Ein kleines Säckchen Mehlwürmer kostet im Supermarkt rund sechs Euro. Dies könnte sich bei steigender Nachfrage ändern, da sie in Europa noch manuell gezüchtet werden.

Wer noch Inspiration für einen persönlichen Selbstversuch braucht, hier ein Kochvideo:

Im Video koche ich Spaghetti Bolognese mit vorgekochten Mehlwürmern.
DER STANDARD