Menschen, die eine depressive Phase erlebt haben, vermeiden eher Anstrengungen, sagt Psychologin Isabel Berwian.

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Der Verlauf einer Depression ist schwierig vorherzusehenden. Häufig erleiden Betroffene, nachdem sie eine depressive Episode überwunden haben, einen Rückfall. "Schätzungsweise 30 Prozent der Betroffenen erleiden in den ersten sechs Monaten nach dem Absetzen ihrer Medikamente einen Rückfall. Das ist ein sehr hoher Anteil. Bisher gibt es kein etabliertes Instrument, mit dem sich dieses Risiko abschätzen lässt", sagt die Psychologin Isabel Berwian von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

In einer Studie konnte die Wissenschafterin nun zeigen, dass gewisse Prognosen zum Rückfallrisiko bei Depressionen möglich sind. Die Forscherin beobachtete, wie Betroffene in der Remissionszeit Entscheidungen treffen. Die Probanden wiesen zu Beginn der Studie keine oder fast keine depressiven Symptome mehr auf, nahmen aber noch Antidepressiva ein. Die Teilnehmer hatten aber bereits entschieden, die entsprechenden Medikamente abzusetzen.

Alle Probanden erhielten eine Aufgabe, mit der ihre Bereitschaft gemessen werden konnte, je nach Belohnungsniveau eine Anstrengung zu unternehmen. Dieser Untersuchungsdesign wurde deshalb gewählt, weil frühere Forschungen bereits gezeigt haben, dass Menschen mit Depressionen typischerweise in geringerem Ausmaß bereit sind, sich für eine Belohnung anzustrengen.

Ballone zum Platzen bringen

Zum Messen der Entscheidungszeit wurde den Probanden folgende Aufgabe gestellt: Sie mussten eine Taste am Computer drücken, um Punkte zu gewinnen. Sie hatten fünf Sekunden Zeit, um sich zwischen zwei Alternativen zu entscheiden, für die mehr oder weniger Anstrengung nötig war. Sie konnten entweder für einen Punkt 20-mal die Taste drücken, oder für drei bis sieben Punkte 100-mal abhängig von der aktuellen Aufgabenstellung. Nach der Entscheidung hatten die Teilnehmenden jeweils 40 Sekunden Zeit, um die Taste so oft zu drücken, wie sie gewählt hatten. Damit konnten sie dann einen virtuellen Ballon aufblasen, der platzte, wenn sie genügend oft gedrückt hatten. Alle Studienteilnehmer mussten diese Aufgabe je 60-mal erledigen.

Die Wissenschafter rund um Isabel Berwian wollten damit untersuchen, ob sich Rückschlüsse auf einen potenziellen Rückfall ziehen lassen. Insgesamt wurden die Daten von 123 Patienten und 66 gesunden Vergleichspersonen analysiert. Alle Personen, die an Depressionen gelitten hatten, lösten die Aufgaben in zwei Durchgängen: Das erste Mal vor dem Absetzen der Medikamente, das zweite Mal danach. Zudem wurden alle Teilnehmer der Studie sechs Monate nachher weiter beobachtet, um zu verfolgen, ob sie einen Rückfall erlitten haben.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Entscheidungszeit bei von Depressionen Betroffenen länger war als in der Vergleichgruppe (durchschnittlich 1,77 beziehungsweise 1,61 Sekunden). Zudem war sie aber auch innerhalb der Patientengruppen bei Personen noch länger, die nach dem Absetzen einen Rückfall erlitten (durchschnittlich 1,95 Sekunden). Die Forschenden konnten so zeigen, dass bei zwei von drei Personen aufgrund der Entscheidungszeit richtig vorausgesagt wird, ob sie einen Rückfall erleiden werden.

Im Bett bleiben oder aufstehen?

Welche Mechanismen bei dieser Aufgabe eine Rolle spielen, wurde mit einem Berechnungsmodell ermittelt. Es zeigte sich, dass die jeweils gewählte Option (kleine Anstrengung für eine kleine Belohnung oder größere Anstrengung für eine größere Belohnung) ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den ehemals depressiven Personen und den gesunden Personen ist: Erstere wählten häufiger die am wenigsten anstrengende Option. Die Forschenden vermuten, dass dies ein Anzeichen dafür ist, dass die Depression nach wie vor asymptomatisch im Hintergrund präsent ist.

Das Modell legt außerdem den Schluss nahe, dass Personen, die eine depressive Phase erlebt haben, Anstrengungen eher vermeiden. "Stellen Sie sich vor, dass Sie an einem Abend bereits im Bett liegen. Dann rufen Bekannte an und fragen, ob sie mit Ihnen in der Stadt ein Eis essen kommen. Eine gesunde Person wird vermutlich aufstehen und hingehen. Eine Person, die eine depressive Episode hatte, bleibt dagegen eher im Bett. Sogar wenn ihr die Aktivität gefallen würde, scheint ihr die dazu notwendige Anstrengung zu groß", erläutert Isabel Berwian.

Obwohl die Studie gezeigt hat, dass die Entscheidungszeit gewisse Prognosen zum Rückfallrisiko ermöglicht, sind diese Erkenntnisse für eine Anwendung in der Praxis noch nicht reif. "Dieser Indikator ist vielversprechend, aber wir können noch nicht für uns beanspruchen, die Lösung gefunden zu haben. Unsere Ergebnisse müssten an einer größeren Stichprobe validiert werden, da unsere relativ klein war", relativiert Berwian. (red, 23.2.2020)