Am 29. April 1945 verlautbarte das Zentralkomitee (ZK) der "Kommunistischen Allunionspartei (Bolschewiki)", kurz WKP(b), einen Appell zum nahenden Kriegsende. Der würdigende Satz innerhalb dieses Appells, aus dem die große Freude über das kurz bevorstehende Ende der Kampfhandlungen sprach, lautete: "Слава войскам Красной Армии и войскам наших союзников, соединившимся на Эльбе, в центре фашистской Германии!"

Für Menschen wie mich, die weder der russischen Sprache noch der kyrillischen Schriftzeichen mächtig sind, ist der Satz in lateinischer Schrift angenehmer zu lesen: "Slava voyskam Krasnoy Armii i voyskam nashikh soyuznikov, soyedinivshimsya na El'be, v tsentre fashistskoy Germanii!"
In der deutschen Übersetzung bedeutet dies: "Ehre sei den Truppen der Roten Armee und den Truppen unserer Verbündeten, die an der Elbe im Zentrum des faschistischen Deutschlands vereint sind!"
Dieser Satz war ein Hinweis auf das erste Aufeinandertreffen russischer und amerikanischer Truppen erst vier Tage zuvor am 25. April 1945 bei Lorenzkirch an der Elbe.

Einer der für mich wohl ungewöhnlichsten und aufregendsten Funde war die Entdeckung dieses Satzes, verewigt an der bröckelnden Fassade eines niederösterreichischen Schlosses, das in der Besatzungszeit vermutlich eine russische Kommandantur beherbergte. Die Worte wurden von den sowjetischen Militärbehörden wohl als Erinnerung an die Niederringung des Dritten Reichs aufgetragen und könnten – solange das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten noch nicht abgekühlt war – als Motivation zur Herstellung dauerhaften Friedens gedient haben.

Der beinahe unsichtbare Appell
Foto: Thomas Keplinger

Als ich das obige Foto schoss, wusste ich allerdings noch nicht, welcher Satz dort geschrieben stand, schließlich konnte ich bestenfalls in der ersten Zeile zwei, drei Wörter erkennen und war weit davon entfernt deren Bedeutung zu entschlüsseln. Erst dank digitaler Bildbearbeitung gelang es mir, einige der Wörter wieder sichtbar zu machen, sodass die Übersetzung möglich war – siehe Bild unterhalb:

1. Zeile: der Hinweis auf die Truppen der Roten Armee – "Слава Войскам Красной Армии".
2. Zeile: am Beginn fast völlig unleserlich, "наших союзников" bedeutet "unserer Verbündeten".
3. Zeile: die Erwähnung, die Vereinigung mit den westalliierten Truppen habe an der Elbe stattgefunden – "объединившимся на Эльбе"
4. Zeile: Beendet wird der Ausschnitt an der Wand mit den Worten "Фашистской Германия", dem "faschistischen Deutschland".

Erst mit diesem Wissen ausgestattet, war es mir möglich, das Internet nach den entzifferten Wörtern zu durchsuchen, um endlich herauszufinden, um welchen Spruch es sich denn hier überhaupt handelte. So stieß ich auf den Appell des Zentralkomitees.

Dasselbe Bild wie oben – nun ist der Text interpretierbar
Foto: Thomas Keplinger

Bevor wir uns nun dem Absatz des Appells widmen, in dem der obige Satz vorkommt, werfen wir einen Blick zurück auf die politische Lage der Sowjetunion zum Kriegsende 1945: Das Zentralkomitee der WKP(b) war grundsätzlich das höchste Gremium der Partei und führte die politische Arbeit zwischen den Parteitagen. Diese sollten eigentlich jährlich stattfinden, wurden ab 1925 jedoch nur in unregelmäßigen Abständen abgehalten. In den Parteitagen wiederum wurde die Ausrichtung der WKP(b) diskutiert und das Zentralkomitee gewählt.

Das ZK, das 1939 gewählt worden war, bestand 1945 noch immer. Josef Stalin, nach Lenins Tod Generalsekretär der Partei und seit 1941 Regierungschef und Oberbefehlshaber der Roten Armee, führte allerdings Partei und Staat quasi als uneingeschränkter machtvoller Alleinherrscher, wodurch das ZK zwar weiterhin existierte, aber in wichtigen Fragen bedeutungslos geworden war. Allenfalls war es dafür gut, wichtige Ereignisse des Kriegsverlaufs in blumigen Worten zu verlautbaren, so wie etwa mittels des hier gezeigten Appells vom 29. April 1945, der in der Militärzeitung "Красная звезда" (Krasnaja Swesda), auf deutsch "Roter Stern", veröffentlicht wurde.

Der relevante Ausschnitt aus dem Appell

Der Artikel in der Krasnaja Swesda vom 29. April 1945 ist zu lang, um ihn hier in voller Länge zu zitieren, deshalb beschränke ich mich auf den Absatz, in dem der von mir an der Fassade vorgefundene Satz zu finden ist (fett hervorgehoben):

Original:

"С запада на немцев наступают доблестные войска Великобритании, Соединенных Штатов Америки и Франции. В центре Германии на поле сражения против общего врага Красная Армия соединилась с союзными нам англо-американскими войсками. Могучими ударами с востока и запада фронт немецких войск рассечен надвое. Свершилось историческое событие, достойно венчающее летопись великой войны свободолюбивых народов против гитлеровской Германии. Москва впервые салютовала одновременно и советским воинам, и нашим собратьям по оружию — солдатам и офицерам англо-американских войск. Громко и гордо звучит горячий призыв ЦК ВКП(б): 'Слава войскам Красной Армии и войскам наших союзников, соединившимся на Эльбе, в центре фашистской Германии!'."

Deutsche Übersetzung:

"Aus dem Westen greifen die tapferen Truppen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich die Deutschen an. In der Mitte Deutschlands, auf dem Schlachtfeld gegen einen gemeinsamen Feind, vereinigte sich die Rote Armee mit den mit uns verbündeten angloamerikanischen Streitkräften. Mit mächtigen Schlägen aus Ost und West wurde die Front der deutschen Truppen in zwei Teile geteilt. Es ist ein historisches Ereignis eingetreten, das es wert ist, die Annalen des großen Krieges freiheitsliebender Völker gegen Nazideutschland zu krönen. Zum ersten Mal begrüßte Moskau sowohl sowjetische Soldaten als auch unsere Waffenbrüder – Soldaten und Offiziere der angloamerikanischen Truppen. Der leidenschaftliche Appell des Zentralkomitees der Allunionskommunistischen Partei der Bolschewiki ist laut und stolz: 'Ehre sei den Truppen der Roten Armee und den Truppen unserer Verbündeten, die an der Elbe im Zentrum des faschistischen Deutschlands vereint sind!'"

Solche Beschriftungen in dieser Größe und historischen Bedeutsamkeit zu finden, zählt für mich zu den schönsten Momenten meines Tuns. Ich bin froh, diesen Appell fotografisch dokumentiert und nach Jahrzehnten der Unsichtbarkeit wieder lesbar gemacht zu haben. Da es laut Auskunft des Bundesdenkmalamts für den Gebäudeeigentümer keine gesetzliche Verpflichtung gibt, diese Beschriftung erhalten zu müssen, wird sie wohl bald verschwunden sein. (Thomas Keplinger, 3.3.2020)

Links

Vielen Dank an Frau Mag. Natalia Lagureva vom Befreiungsmuseum Wien, die zwei zusätzliche Wörter entschlüsseln konnte, wodurch die korrekte Übersetzung des Textes möglich wurde! Sie hat auch die Worte an der Fassade übersetzt.
Alle anderen Übersetzungen wurden mittels des "Google-Übersetzers" durchgeführt.