Bergamo – Atalanta Bergamo steht vor dem nächsten großen Wurf. Das Team aus der 120.000-Einwohner-Stadt in der Lombardei hat nach dem 4:1 im Hinspiel gegen den FC Valencia ein Bein schon im Viertelfinale der Champions League. Das ist eine Sensation und auch wieder nicht.

Atalantas Fans fühlen sich auch in Mailand wohl. Das Gewiss-Stadion in Bergamo wird aktuell renoviert und taugt nur zum Serie-A-Betrieb.

Vergesst Juventus Turin! Juventus spielt immer vorne mit, ist Rekordmeister, hat Geld ohne Ende, hat Cristiano Ronaldo und andere Superstars, da sind Erfolge und Titel in Serie nur allzu logisch. Schon vergangene Saison war Atalanta Bergamo in Italien das Team, das staunen machte. Mit dem dritten Serie-A-Rang, mit den meisten erzielten Toren (77) – daneben sah sogar Juve (70) blass aus –, vor allem mit hinreißendem offensiven Spiel. Auch im Pokal mischte Bergamo bis zum Ende mit, das Finale in Rom gegen Lazio ging erst in den Schlussminuten mit 0:2 verloren. Auf dem Weg dorthin hatten die Lombarden auch Juve, den Seriensieger, aus dem Bewerb geworfen.

In diesem Spieljahr läuft es in der Meisterschaft nicht ganz so gut, aber auch nicht schlecht, aktuell liegt Bergamo auf Rang vier. Dafür sorgte der Club international für Furore und für eine Premiere. Bergamo war mit drei Niederlagen in die Gruppenphase gestartet und schaffte dank eines 3:0-Erfolgs bei Schachtor Donezk am letzten Spieltag doch noch den Aufstieg ins Achtelfinale, das gab’s noch nie.

Das altehrwürdige, in den Augen vieler auch heruntergekommene Stadion von Atalanta Bergamo wird seit Mai renoviert, auch deshalb tritt Atalanta im Europacup im Mailänder San Siro an. Gegen Valencia kamen immerhin gut 44.000 Zuseher. Quasi nicht daheim zu spielen, ist Bergamo beinah schon gewohnt, im Frühjahr hatte man einmal, gegen Sassuolo, sogar das Heimrecht abgetreten, und dennoch nahmen da gut 18.000 Fans die 240 Kilometer lange Fahrt in Kauf.

Hans Hateboer freute sich über Bergamos erstes wie viertes Tor
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In zwei Jahren soll Bergamos Stadion in neuem Glanz erstrahlen, es steht im Besitz des Clubs – im Gegensatz zu den meisten anderen Arenen in Italien, die den Kommunen gehören – siehe Roma, Napoli oder Mailand. Auch durch den Umbau will der nach der griechischen Sagenfigur Atalante, einer jungfräulichen Jägerin und Tochter der Klymene benannte Verein ein neues, besseres Standing bekommen.

Sportlich hat Bergamo dies längst geschafft, vor allem dank Trainer Gian Piero Gasperini. Der 62-Jährige, der von den späten Siebzigern bis in die frühen Neunziger bei Zweit- und Drittligisten im Mittelfeld kickte, begann als Trainer im Nachwuchs von Juventus. Später war er mehr oder weniger erfolgreich, mehr speziell beim FC Genoa, mit dem er zunächst aufstieg und den er später neuerlich drei Jahre lang unter seinen Fittichen hatte, ehe er 2016 in Bergamo anheuerte.

Erinnerung an 1963

Die "Nerazzurri", wie Atalanta genannt wird, gelten als eine der großen Konstanten im italienischen Fußball abseits der Clubs aus den Großstädten. Zwar blieb auch Bergamo ein Schicksal als Fahrstuhlteam nicht immer verwehrt, die Rückkehr ins Oberhaus wie zuletzt 2011 gelang aber jeweils rasch. Größter Erfolg ist der Gewinn der Coppa Italia im Jahr 1963. An diese Zeiten fühlen sich ältere Anhänger dank Gasperini nun erinnert.

Gian Piero Gasperini ist der Baumeister des Bergamo-Erfolgs. Der 62-Jährige kommandiert eine Truppe relativer No-Names.
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Die aktuelle Mannschaft ist eine Mischung aus Routiniers und Talenten, eine Truppe relativer No-Names aus aller Welt, vor allem aus Südamerika und Europa. Kapitän ist der Argentinier Papu Gomez, als gefährlichste Stürmer gelten der Slowene Josip Ilicic und der Kolumbianer Duvan Zapata. Gegen Valencia tat sich mit zwei Toren der Niederländer Hans Hateboer hervor. Im 22-Mann-Kader finden sich vier Italiener, nämlich die drei Goalies und Verteidiger Andrea Masiello.

Die Gazzetta dello Sport wäre nicht die Gazzetta dello Sport, vermiede sie Hymnen wie diese: "Eine himmlische Göttin versenkt Valencia im San Siro. Eine wunderbare Mannschaft lässt ihre verzückten Tifosi träumen." Der Corriere dello Sport wäre nicht der Corriere dello Sport, wollte er da nachstehen: "Hans Hateboer, der niederländische Gigant, eröffnet und beendet einen historischen Abend. Bergamo wird für einige Stunden Italiens Fußball-Hauptstadt." Und Tuttosport wäre nicht Tuttosport, wäre nicht auch ein wenig Differenziertheit angesagt: "Instinkt und Weisheit: Atalanta ist zwar alles andere als perfekt, zeigt jedoch Mut, Angriffslust und den festen Willen, so viele Treffer wie möglich zu erzielen." Das Rückspiel steigt am 10. März in Valencia. (fri, APA, sid, 20.2.2020)