"Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" (Nadine Zeintl), von allen schlecht behandelt, wird zurückschlagen.

Günter Jagoutz

Bis Iris (Nadine Zeintl) alle vergiften darf, muss sie in der neuen Produktion des Klagenfurter Ensembles die stumme Dulderin spielen. Sprachlosigkeit prägt Aki Kaurismäkis 1990 von ihm selbst verfilmtes Drehbuch Das Mädchen aus der Streichholzfabrik, das nach einer Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus 2013 jetzt in der Wörthersee-Stadt abermals als Theatervorlage dient.

Dr. Melanie Markovic

Angie Mautz, die im Verlauf der Beschäftigung mit dem weltweit erfolgreichen Regisseur "finnophil" geworden ist, zieht in der Messehalle 11 ein Konzept durch, das dem Werk seinen märchenhaften Zug lässt, ohne den schwarzen Humor – Kaurismäki will ihn sich von Jim Jarmusch abgeschaut haben – und ohne die Gnadenlosigkeit der Sozialstudie zu opfern.

Das Helsinki dieses Abends gleicht einem Aussichtsplatz auf das absolute humane Vakuum. Der Stiefvater (Gerhard Lehner), vor dem Fernseher lungernd, öffnet bei jedem Tor im Stadtderby die nächste Dose Bier. Dazu rülpst er der Tochter Iris gelegentlich ein "Hure!" entgegen. Die Mutter (Brigitte Soucek) legt die Zigarette nur fort, um Iris den Monatslohn abzuknöpfen, den sie ihrerseits sofort dem Eishockey-Fan abliefern muss. Als Kellnerin im Café hat sie die Herzenswärme eines Roboters.

Es ist absurd

Und erst Arne (Michael Kuglitsch), die Barbekanntschaft, die Iris umgehend schwängert: Ohne sein Handy ist er ein Nichts, obwohl es das Gerät ist, mit dem ihn sein Dienstgeber geradezu versklavt. Und dieser elende Tropf hat Angst, seine Freiheit zu verlieren, wenn er Vater wird. Es ist absurd. Das muss es aber eben auch sein, wenn man verstehen will, warum der Giftmischerin bei der finalen Zubereitung der Cocktails ein kurzes schadenfrohes Lächeln über das Gesicht huschen wird.

Normal wird man nicht für die Trostlosigkeit gelobt, die man verbreitet. In diesem Fall muss man aber sagen, dass Kuglitsch, ebenso weitgehend auf pantomimischen Ausdruck beschränkt wie alle anderen, die innere Verödung bei gebliebener sexueller Begehrlichkeit sehr intensiv zu vermitteln vermag.

Freiheit für Finnland

Der Stiefvater führt auf der Couch unter den an den Nagel gehängten Eishockeyschuhen quasi philosophisch in die Gedankenschlinge, ob es denn zutreffend ist, dass die Kunst nie an die Wirklichkeit heranreicht. Und die Mutter hat demonstrativ alle Hoffnung aufgegeben, dass auf dieser Welt jemals irgendetwas noch zu retten sein wird. So liegt es an Iris, den Umtrunk, wenn nicht kämpferisch, dann doch in Notwehr mit den besten Wünschen zum Unabhängigkeitstag zu verbinden. "Freiheit für Finnland! Freiheit für Iris!", ruft sie, bevor die Polizisten kommen, um sie zu verhaften. (Michael Cerha, 21.2.2020)