Wahlkampf in Teheran: Ob diese junge Frau, die auf die Kopftuchvorschrift zu pfeifen scheint, ihren geeigneten Kandidaten findet, mag bezweifelt werden.
Foto: AFP / Atta Kenare

Die Befürchtungen, dass vor allem die Bewohner und Bewohnerinnen der größeren Städte im Iran so gar kein Interesse an den Wahlen von Freitag haben könnten, riefen am Dienstag den obersten Führer auf den Plan: Ayatollah Ali Khamenei erinnerte in einer Rede die etwa 58 Millionen Wahlberechtigten daran, dass der Urnengang nicht nur eine "nationale und revolutionäre", sondern auch eine "religiöse Pflicht" sei. Geht es bei Parlamentswahlen doch eigentlich darum, seine Volksvertreter zu wählen, so haben sie für Khamenei auch eine äußere Dimension: Eine hohe Wahlbeteiligung würde "den Feind enttäuschen" und die "bösen Komplotte von USA und Zionisten" neutralisieren.

Damit sind die massiven Proteste gemeint, die im November nach einer Benzinpreiserhöhung und im Jänner nach dem Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine ausbrachen und die brutalst niedergeschlagen wurden.

Dass Wahlen jedoch zur "Formalität" werden, wenn man die ohnehin schon stark eingeschränkte Auswahlmöglichkeit weiter beschneidet, hat auch Präsident Hassan Rohani kritisiert. Der Wächterrat, der die Kandidaturen bewilligen muss, hat heuer Tabula rasa gemacht und rund 7.000 Kandidaten, mehr als die Hälfte der Bewerber, gestrichen.

Auch Dutzende aktuelle Parlamentarier – meist Reformer und moderate Konservative – dürfen nicht mehr antreten, andere haben darauf verzichtet. Khamenei verteidigte den Wächterrat: Dessen Entscheidungen reflektieren klar den Wunsch des Religionsführers, der sich wiederholt ein Parlament gewünscht hat, in dem mehr "junge, strenggläubige und revolutionäre Kräfte" sitzen.

Ausgediente Pragmatiker

Das heißt, die alten Pragmatiker haben ausgedient und sollen Platz für neue, radikalere Elemente machen. Kritiker meinen, dass Khamenei das Parlament damit indirekt "ernennt". Von der Opposition kommen Boykottaufrufe, etwa von der im Evin-Gefängnis inhaftierten Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammedi.

Die Reformer werden also im elften iranischen Parlament der Islamischen Republik eine verschwindende Minderheit neben den diversen Gruppen von Konservativen sein: Für Präsident Rohani wird das Regieren bis zu den Präsidentschaftswahlen 2021 damit noch schwieriger werden – wenn er denn so lange bleibt. Es gibt immer wieder Gerüchte über einen frühzeitigen Abtritt.

Die Konservativen, die ebenfalls nicht geschlossen antreten, haben jedoch das Potenzial, ihre Wähler zu mobilisieren: Dabei dürfte auch die Empörung über die Tötung von General Ghassem Soleimani durch die USA mit helfen. Der prominenteste Kandidat ist diesmal Mohammed Bagher Ghalibaf, früherer Bürgermeister von Teheran und mehrmals gescheiterter Präsidentschaftsanwärter. Er könnte als Parlamentspräsident Ali Larijani beerben, der nicht mehr antritt. Wer einmal die Politik Rohanis und damit das Wiener Atomabkommen von 2015 unterstützt hat, steht als angepatzt da und ist in der jetzigen iranischen Politik marginalisiert. Jetzt sind die anderen am Wort.

Expertenratsnachwahlen

Neben den Parlamentswahlen finden auch Nachwahlen für die Expertenversammlung statt: Das 88-köpfige Gremium, das im Falle des Falles den religiösen Führer, also den etwaigen Khamenei-Nachfolger bestimmt, wurde 2016 auf acht Jahre gewählt, diesmal werden nur vakante Stellen gefüllt. Vor vier Jahren hatte der inzwischen verstorbene Ali Akbar Rafsanjani zwar mit einer moderaten Liste Breschen in die Reihen der Ultrakonservativen geschlagen, einer von ihnen, Ayatollah Ahmed Jannati, wurde trotzdem Vorsitzender. Auch im Expertenrat wird nun eine weitere Wende hin zu den Hardlinern erwartet.

Während des Wahlkampfs gab es aus Hardlinerkreisen scharfe Attacken auf Rohani, der für den Atomdeal und damit für einen pragmatischen Umgang mit der internationalen Gemeinschaft steht. Dieser Atomdeal bringt, seit die USA unter Donald Trump ausgetreten sind und die Umsetzung des Deals bekämpfen, dem Iran fast nichts mehr: Die Wirtschaft ist zuletzt um fast zehn Prozent geschrumpft, die Ölexporte sind um 80 Prozent eingebrochen. "Wirtschaftlicher Widerstand" ist die Parole – wo die meisten Iraner und Iranerinnen sich doch nur Normalität wünschen.

Auch der Iran hat den Ausstieg aus dem Deal bereits begonnen. An einem europäischen Rettungsversuch beteiligt sich auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, der am Samstag nach Teheran reist. Die Österreicher haben jedoch auch ihr eigenes Anliegen, nämlich die beiden im Iran inhaftierten Doppelstaatsbürger Massud Mossaheb und Kamran Ghaderi wieder nach Hause zu bringen. Zuletzt kam ein Deutsch-Iraner frei. (Gudrun Harrer, 21.2.2020)