Gerald Gartlehner ist Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universität Krems und Direktor von Cochrane Österreich.

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Zum neuen Virus gibt es noch wenig Forschung, zudem wird viel Schlechtes publiziert.

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Im Kampf gegen Covid-19 setzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf Hilfe aus Niederösterreich. Ein Team des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Universität Krems wurde mit der Zusammenfassung von Studien zur neuartigen Lungenkrankheit beauftragt. Geleitet wird das "Rapid Response Team" von Gerald Gartlehner.

STANDARD: Was machen Sie und Ihr Team genau?

Gartlehner: Über das Virus ist noch relativ wenig bekannt, etwa wie infektiös es ist oder die Länge der Inkubationszeit. Dennoch möchte die WHO Empfehlungen als Leitlinien herausgeben und bemüht sich, dass diese so evidenzbasiert wie möglich sind, also auf wissenschaftlicher Literatur beruhen und fundiert sind. Da kommen wir ins Spiel. Die WHO gibt uns bestimmte Fragestellungen, für die sie Antworten braucht. Und innerhalb von 24 oder 48 Stunden versuchen wir dann, das beste verfügbare Wissen zu suchen und zusammenzufassen. Es ist die Arbeit, die wir ohnehin alltäglich tun.

STANDARD: Jetzt nur viel schneller. Hört sich an, als würden Sie rund um die Uhr arbeiten.

Gartlehner: Normalerweise schreiben wir systematische Reviews in sechs Monaten. So lange kann die WHO in dieser Situation natürlich nicht warten. Jetzt muss es schnell gehen, weil die Situation dramatisch ist. Sonst gäbe es erst Empfehlungen, wenn die Epidemie wieder vorbei ist.

STANDARD: Wie machen Sie das?

Gartlehner: Wir müssen methodische Abkürzungen nehmen. Und andererseits logistisch versuchen, möglichst viele Schritte parallel zu machen – in einem möglichst großen und flexiblen Team. Wenig Schlaf gehört wohl auch dazu.

STANDARD: Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?

Gartlehner: Wir sind schon seit drei Jahren Collaborating Centre der WHO für evidenzbasierte Medizin und unterstützen sie schon länger bei der Erstellung von Leitlinien. Wir halten Workshops bei der WHO über verschiedenste methodische Aspekte.

STANDARD: Wer ist Teil des Teams?

Gartlehner: Wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts, die darin geschult sind, Studien kritisch zu lesen, zu analysieren und zusammenzufassen.

STANDARD: Welche Fragen kommen von der WHO?

Gartlehner: Im Detail darf ich mich dazu nicht äußern. Aber das könnte etwa die Frage sein, ob Mundschutzmasken etwas bringen, oder auch Empfehlungen, wie Gesundheitspersonal sich verhalten sollte. Es geht um Public-Health-Empfehlungen, die die WHO machen will.

STANDARD: Es geht doch auch darum, mit wissenschaftlich fundierten Informationen gegen Verschwörungstheorien anzukämpfen. Welche sind das?

Gartlehner: Es gibt derzeit viele Verschwörungstheorien. In einem Youtube-Video sieht man zum Beispiel eine Chinesin, die eine Suppe mit einer Fledermaus darin isst. Die Schlussfolgerung im Web: Weil Fledermäuse häufig Coronaviren haben, ist diese Art von Speisen der Grund für den Ausbruch der Epidemie. Andere Verschwörungstheorien besagen, dass das Virus gezielt von der chinesischen Regierung freigesetzt wurde, um die Unruhen in Hongkong besser in den Griff zu bekommen beziehungsweise den medialen Fokus davon abzulenken.

STANDARD: Auch allerhand Heilmittel kursieren im Netz.

Gartlehner: Ja, es gibt kuriose Therapien. Mit dem Mittel "Miracle Mineral Supplement" soll die Erkrankung angeblich geheilt werden können. Es wird in den USA beworben und kostet 28 Dollar. Wir kennen das Produkt schon, denn es kursieren auch falsche Gerüchte, dass man Autismus und HIV damit heilen könnte. Das ist natürlich alles Blödsinn. Im Prinzip ist es nur verdünnte Chlorbleiche, die getrunken wird und die natürlich auch Nebenwirkungen haben kann – von Übelkeit bis Leberschäden. Es ist reine Geschäftemacherei auf Kosten derer, die sich Sorgen machen oder wirklich erkrankt sind.

STANDARD: Wird zum neuen Coronavirus mehr publiziert als üblich?

Gartlehner: Der Fokus liegt gerade stark auf Sars-CoV-2, aber es wird auch viel Schlechtes produziert. Man muss wirklich die Spreu vom Weizen trennen. Insgesamt wird viel gearbeitet. Die EU hat Ende Jänner zehn Millionen Euro für Projekte über das neue Virus ausgeschrieben, um möglichst rasch Dynamik in das Gebiet zu bringen. Die Bewerbungsfrist war nur drei Wochen lang, so schnell haben Bewerber ihre Anträge einreichen müssen.

STANDARD: Vor welchen Herausforderungen steht die Forschung?

Gartlehner: Das Problem sind die Lücken im Wissen über Covid-19. Zum neuen Virus gibt es noch wenig Forschung, während Coronaviren ja schon lange bekannt sind. Häufig wird dann von anderen Coronavirus-Infektionen wie Sars auf das neuartige Virus geschlossen, einfach weil es das beste verfügbare Wissen ist.

STANDARD: Einige Studien werden auf sogenannte Pre-Print-Server hochgeladen und ohne fachliche Begutachtung publiziert. Wie vertrauenswürdig sind sie?

Gartlehner: Da muss man sehr vorsichtig sein. Da kann sich jeder etwas ausdenken und das als Studie hochladen. Wenn die Schlussfolgerung lautet "Unsere Studie zeigt, dass unsere großartige Regierung die Situation im Griff hat", dann ist auch Vorsicht geboten. Da gibt es überhaupt keine Qualitätskontrolle.

STANDARD: Wer im System ist noch gefordert?

Gartlehner: Das Virus ist neu, und es gibt viele Unsicherheiten, da blühen natürlich neben den Verschwörungstheorien auch Fake-News. Es ist wichtig, dass die Medien, die Bevölkerung und die Behörden sich möglichst auf rationale Fakten konzentrieren. Google hat zum Beispiel auch Maßnahmen ergriffen. Wenn man Coronavirus googelt, bekommt man nicht mehr als Erstes die gesponserten und meistgesuchten Seiten, sondern seriöse Information ist ganz oben angezeigt – etwa von der WHO oder vom amerikanischen Center for Disease Control and Prevention (CDC). Erst danach kommen die üblichen Google-Ergebnisse. Das ist ein ganz wichtiger Schritt.

STANDARD: Warum?

Gartlehner: In Österreich hat etwa die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) eine sehr gute Informationsseite zum neuen Coronavirus erstellt. Nur in der Realität ist das meist nicht die erste Anlaufstelle der Menschen, sondern sie gehen auf Google. Leider gehen Informationen, die von öffentlicher Seite zur Verfügung gestellt wird, oft am Leben vorbei. Deshalb ist es wichtig, dass Google die verlässliche Information priorisiert. (Bernadette Redl, 22.2.2020)