Provokateur und Vermittler: Über Félix Vallotton lernte das Sammlerpaar Hahnloser erst Pierre Bonnard und im Weiteren Henri Matisse kennen. Sein erstes Werk in ihrer Sammlung wurde zum Skandal in Winterthur.
Foto: Reto Pedrini, Zürich

Renoirs Obsthändlerin hinter dem Esstisch, Cézannes Felder neben dem Heizkörper und van Goghs Sämann über dem Sofa. Da ein Gebirge von Hodler, dort blanke Nacktheit von Vallotton. Meisterwerke der Moderne finden sich zwischen Möbeln und vollen Bücherregalen – ja sogar über der Badewanne. Realismus hängt neben Impressionismus, dicht gedrängt, teilweise sogar schief am Nagel.

Das Sammlerpaar Hedy und Arthur Hahnloser umgab sich mit erworbener Kunst, ließ sie in ihr alltägliches Umfeld, bis die Werke Teil davon wurden. In ihrem Haus in Winterthur – der Villa Flora – waren sie schließlich umringt von ihnen. Einem "wahren Museum" sollen die Räumlichkeiten geglichen haben, schreibt der spätere Künstlerfreund Vallotton. Während einer relativ kurzen Zeitspanne legte das Schweizer Ehepaar zwischen 1907 und 1936 eine enorme Kunstsammlung von über 500 Kunstwerken an, die zu einer der bedeutendsten Schweizer Privatsammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts avancierte.

Das "Prinzip Hahnloser"

Die inhaltliche Dichte der Hahnloser-Kollektion ist nun in der Albertina zu sehen – oder zumindest ein Teil davon. In der großen Frühjahrsschau Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler. Die Sammlung Hahnloser – deren Titel zugegebenermaßen an andere Albertina-Ausstellungen erinnert – wird etwa ein Fünftel der gesammelten Werke in chronologischer Ordnung gezeigt.

Darunter finden sich jene Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen, die auch die Villa Flora schmückten. Und auch Werke von Édouard Manet, Henri de Toulouse-Lautrec und Claude Monet sind dort zu sehen. Da es in der Schweiz bis heute keine staatlichen Kunstsammlungen gibt, übernahm das Paar Hahnloser bereits vor hundert Jahren eine bedeutende Rolle und prägte damit nachhaltig den Aufbau moderner Schweizer Kunstsammlungen.

Gleich im ersten Raum blicken einem ihre strengen Porträts entgegen. Überwachen sie da ihr Lebenswerk? Nicht nach Erwerbsjahr, sondern nach kunsthistorischer Entstehung der Werke baut sich die Schau in mächtig-violett gestrichenen Räumen auf. Die Gliederung ist sinnvoll und macht die Weise, wie Hedy und Arthur Hahnloser ihre Sammlung aufbauten, sichtbar: nach dem "Prinzip Hahnloser".

Künstler-Connections

Sie waren mit vielen Künstlern eng befreundet, deren Ratschläge beeinflussten die Sammlung nachhaltig. Umgekehrt motivierte auch das Sammlerpaar andere Kunstmäzene, einen erweiterten Blick auf die klassische Moderne Europas, vor allem nach Frankreich, zu wagen. Subjektiv und intuitiv geleitet, kamen sie so von einem Künstler zum nächsten. Fanden sie an einem Werk Gefallen, erwarben sie stets ganze Werkgruppen. Durch ihre ersten Künstlerfreunde, Giovanni Giacometti und Ferdinand Hodler, wurden sie auf deren Vorläufer, etwa Vincent van Gogh und die französischen Impressionisten, aufmerksam.

Als sie 1908 auf eine Empfehlung Giacomettis nach Paris zu einer Cézanne-Ausstellung fuhren, lernten sie auch Félix Vallotton kennen. Der Schweizer Maler wurde ihr engster Vertrauter, seine Arbeiten zählen zu den wichtigsten ihrer Sammlung. Über seine Kontakte und den Kreis der Nabis und Fauves lernten sie Pierre Bonnard und Henri Manguin kennen, später auch Henri Matisse. Damals teilweise noch als nicht etablierte Gegenwartskunst geltend, finden sich heute viele ihrer frühen Werke in der Hahnloser-Sammlung – längst als Meisterwerke in der Kunstgeschichte.

Skandalös und degeneriert

Doch zu Beginn wurde vielen Werken mit Skepsis und Ablehnung begegnet. Zwar wussten die Hahnlosers zuerst auch nicht, was sie von den Impressionisten oder auch dem frühen Picasso halten sollen, verteidigten aber stets die von ihnen gesammelten Künstler. Allen voran war es ein Bild von Vallotton, das als Provokation empfunden wurde. Aus Paris brachten die Hahnlosers ihr erstes Werk Badende (Frontalansicht) von ihm in die Villa Flora, wo sie es sichtbar in den Salon hängten. Bald schon mussten sie das als "degeneriertes Modell" beschimpfte Gemälde in den ersten Stock bringen – zu skandalös war die Nacktheit darauf. Doch für sie stand fest: Genau das war Kunst.

Liest man diese Anekdote an der lila Wand, möchte man das Bild sofort sehen. Und muss mit Erschrecken feststellen, dass es in der Schau fehlt. Zu kleinformatig wäre es für den zentralen Raum gewesen, in dem die Werke Vallottons beisammen hängen, so die kuratorische Erklärung. Schade.

Schnell ist man jedoch wieder abgelenkt von seinen großformatigen weiblichen Akten, wie Die Weiße und die Schwarze – auf Manets ebenfalls skandalöse Olympia Bezug nehmend – oder Entführung der Europa. Plötzlich fällt auf, dass die Kopfbedeckung in Der violette Hut exakt der omnipräsenten Wandfarbe entspricht. Ein gelungener Kniff, der den Fokus der Schau rekapituliert und das Fehlen der Badenden wieder gutmacht. (Katharina Rustler, 21.2.2020)