Wer schon immer einen Paternoster haben wollte, jetzt wäre ein Einzelstück zu haben. In Teilen – oder auch ganz.

Foto: Christian Fischer

Achtung, da ragt ein Nagel aus dem Parkett. Vorsicht, nicht über die Fliesen stolpern. Aufpassen, dort ist ein Brett locker. Ein Spaziergang ist eine Baustellenbesichtigung nicht – auch wenn diese auf dem Med-Uni-Campus Mariannengasse in Wien-Alsergrund aufschlussreich ist.

Auf den ersten, aber auch auf den zweiten und dritten Blick. Wobei der erste Blick durch die großzügigen Räume schweift und an historischen Stiegengeländern, schönen, klassischen Fliesen und gediegenem Fischgrätparkett hängenbleibt. Einiges davon ein bisschen schmuddelig, anderes in tadellosem Zustand.

Von außen sieht man derzeit wenig davon, dass das Gebäude so manchen Schatz birgt.
Foto: Christian Fischer

Da und dort scheppert es, Schleifgeräusche und dumpfes Klirren zeugen davon, dass gearbeitet wird. Es riecht nach Mauerwerk. Wer nicht weiß, dass in den historischen Gemäuern ein ambitioniertes Vorhaben umgesetzt wird, sieht im ehemaligen Wien-Energie-Zentrum in direkter Nachbarschaft zum Universitätscampus im Alten AKH ein altes Gründerzeithaus.

Erbaut knapp nach der Jahrhundertwende, erweitert rund zehn Jahre später, in den 1950er-Jahren um ein Stockwerk ergänzt. Außen schmutziggrau, im Hof etwas unordentlich mit den für Baustellen typischen großen Containern, innen ein aufwendiges Foyer.

Abbruch nach Plan

Ab dem Jahr 2026 sollen hier Wiener Medizinstudenten ein und aus gehen. Auf dem Areal wird bis Ende 2025 der neue Med-Uni-Campus Mariannengasse entstehen. Modern, die theoretischen Institute näher am klinischen Bereich auf dem AKH-Gelände, Grundlagenforschung, transnationale Medizin, quasi das Kontinuum der Wissenschaft auf engem Raum, schwärmt Volkan Talazoglu, Vizerektor der Med-Uni Wien.

Rund 300 Millionen Euro wird das Projekt kosten. Davor gibt es noch allerhand zu tun. Teile des bestehenden Komplexes werden abgebrochen, die Hochgarage, das Gebäude an der Spitalgasse, alle denkmalgeschützten oder in der Schutzzone liegenden Gebäude umgebaut und generalsaniert. Im Herbst soll die Phase starten. Davor geht es noch heiß her, denn vor dem maschinellen Abbruch ist Rückbau angesagt.

Drei Kilo bringt eine Zementfliese auf die Waage. Auch die Stiegengeländer sind zu erwerben – aber erst kurz vor dem Abbruch.
Foto: Christian Fischer

Jetzt ist es hier saukalt. Kälter als draußen. Roman Borszki, grauer, kurz geschnittener Schopf, wacher Blick, ist in mehrere Schichten gehüllt: dicke Jacke, Wollpulli, Fleecepulli, T-Shirts. Borszki ist der Mann für alle Fälle. Wenn er nicht gerade einen der zahlreichen Termine mit dem Bauherrn, der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), absolviert oder aufmerksam die Onlineplattform Willhaben studiert, ist er hier im Haus.

Seit Oktober vergangenen Jahres sehr, sehr oft. Er verkauft, was noch zu gebrauchen ist. Säulenverkleidungen aus Kupfer, 75 Euro das Stück, Waschbecken um 20 Euro, schwere Flügeltüren um 350 Euro, Notstromaggregate, Leuchten, Heizkörper. Manch einer kommt wegen eines Spiegels um fünf Euro, andere schnappen sich 180 Quadratmeter Parkett.

Borszki ist vor Ort, damit niemand das eine oder andere Stück zusätzlich mitnimmt. Borszki lässt Interessenten ins Haus, Borszki lässt sie hinaus, Borszki hat den Strom, das Werkzeug. "Sehr viele kommen blauäugig und fragen sich dann, wie krieg ich das jetzt raus?"

Mittlerweile baut Borszki probehalber Dinge aus, um den Kunden sagen zu können, wie lange der Ausbau dauern wird. Mühsame Kleinarbeit, verbunden mit hohem Zeitaufwand. Seit rund einem halben Jahr ist sein Arbeitgeber Baukarussell als Projektpartner mit von der Partie. Das Unternehmen macht verwertungsorientierten Rückbau. Was sperrig klingt, dient einem hehren Ziel: der Nachhaltigkeit.

Kreislauf auf dem Bau

Sorgsamer Umgang mit Rohstoffen und anderen Ressourcen, Wiederverwerten, wo es möglich ist, Wertschöpfung durch Social Urban Mining lauten die geflügelten Worte. Architekt Thomas Romm hat Baukarussell mit dem Ziel gegründet, die Wertschöpfung beim Rückbau zu steigern.

Hans-Peter Weiss, Geschäftsführer BIG (Mitte), Thomas Romm, Architekt und Gründer BauKarussell (links) und Volkan Talazoglu, Vizerektor MedUni Wien wollen mit dem Projekt auch lernen, wie Kreislaufwirtschaft in der Praxis funktioniert.
Foto: Christian Fischer

Seit Inkrafttreten der Recycling-Baustoffverordnung im Jänner 2016 ist er mit seinen Partnern an Großprojekten dran. Premiere war die Biotope City Wienerberg auf den ehemaligen Coca-Cola-Gründen in Favoriten. Die ehemalige Coca-Cola-Fabrik wurde 2017 abgerissen. Kein Vergleich zum schönen Gründerzeitbauwerk am Alsergrund, sagt Romm.

Doch eigentlich ist er hier, um ganz grundsätzlich für die Sache zu werben. Zehn Prozent der Baurestmassen oder der in Umlauf gebrachten Stoffflüsse würden im Kreis geführt. Im Bauwesen seien das vor allem Metalle: "Das ist lukrativ. Da haben wir wirklich geschlossene Schleifen." Bleiben 90 Prozent Rest, die es zu heben gelte.

BIG-Geschäftsführer Hans-Peter Weiss hat für das aktuelle Projekt jede Menge Ideen: "Sie werden sehen, es sind ganz viele attraktive Teile drin. Die Fliesen sind zum Beispiel wunderbar, um bestehende Gründerzeithäuser zu sanieren. Oder es gibt viele, die sich so etwas in den neugebauten Weinkeller legen." Alle sind überzeugt, dass diese Art von Kreislauf die Zukunft ist.

Fülle an gesetzlichen Regeln

Die Praxis ist mühsam. Die Vorbereitung hat Monate gedauert. Es galt herauszufinden, was noch brauchbar ist, knapp 19 Tonnen Gewicht wurden bewegt. 13 Tonnen für die Verwertung, knapp fünf für die Wiederverwendung.

An gesetzlichen Regeln mangelt es nicht, sagt Romm: "Wir haben das Kreislaufwirtschaftsgesetz, in Österreich die Recycling-Baustoffverordnung, Normen über das stoffliche Wiederaufbereiten und Weiterführen der Kreisläufe. In der Recycling-Baustoffverordnung wird die Nachfrage Dritter für Bauteile zur Wiederverwendung explizit ausgewiesen."

Jetzt müsse man die Gesetze anwenden. Warum das nicht geschieht? Die Bauherren haben das zu wenig auf dem Schirm, ist Romm überzeugt. Med-Uni-Vizerektor Volkan Talazoglu räumt ein, dass man nicht von Beginn an an diese Art von Rückbau gedacht hat. Erst bei einer Begehung fiel auf, dass es viele Einrichtungsgegenstände und verbaute Materialien gibt, die man wiederverwerten kann. Nur was tun mit Vintageküchen?

Roman Borszki treibt sich oft auf Willhaben herum. Um zu lernen, was verkäuflich ist. Zu haben sind auch Kuriositäten wie meterhohe Eisenwendeltreppen. Selbst ein Paternoster harrt des Ausbaus – Preis nach Vereinbarung.

Einen Paternoster auszubauen, ist wohl keine Kleinigkeit. Zu haben ist er im Ganzen oder auch in Teilen.
Christian Fischer

Mit dem Geld, das Baukarussell erlöst, werden Arbeitsstunden für einen Partner bezahlt, der Langzeitarbeitslose beschäftigt. Der übernimmt etwa das Abhängen von Brandschutzdecken, was Kosten beim Abbruch ersparen soll. Für den Bauherrn ist die Sache kostenneutral.

Planen für die Zukunft

Künftig müsse man Gebäude ressourcenschonend planen und bauen, um sie beim Rückbau in wiederverwendbare Einzelteile zerlegen zu können, sagt Architekt Romm. "Wenn wir im Rahmen einer ernst gemeinten Kreislaufwirtschaft neu bauen, sollte es ein Umbau sein, der auf geringe Instandhaltung und geringen Energieverbrauch im Alltag inklusive täglicher Mobilität setzt und dazu am besten netto keine neuen Materialien verwendet und keine weitere Fläche versiegelt", schreibt dazu Willi Haas, Forscher am In stitut für soziale Ökologie an der Boku, ins Pflichtenheft.

Borszki führt derweil in den Keller. Eine Art Kino wäre da abzubauen – mit klappbaren Holzstühlen. Erlebt hat er schon viel: "Die einen legen noch etwas drauf, weil sie so dankbar sind, dass es funktioniert, andere wollen nur die Hälfte bezahlen." (Regina Bruckner, 22.2.2020)