Eine Politikerin (Stella Roberts, re., mit Rebecca Selle) will den brutalen Machtwechsel.

Theater Kosmos

Wie einsame Inseln ragen europaflaggenblaue Steinbrocken aus dem Bühnenboden, jeder gestützt von vielen Pflastersteinen. Soll heißen: Unsere Gesellschaft ist gebaut auf wackeligem Terrain, ein Umsturz jederzeit möglich.

Mit dieser bildstarken Umsetzung startet das Theater Kosmos in Bregenz die Uraufführung von Warten auf Tränengas des schweizerisch-österreichischen Autorenduos Andreas Sauter und Bernhard Studlar. Die beiden arbeiten seit zwanzig Jahren zusammen.

Im 20. Jahrhundert wartete man im Theater noch auf Godot, jetzt also auf Tränengas. Eine schweigende Menschenmenge, die immer größer wird, führt zum Umsturz. Der alte Präsident: eine Art Van-der-Bellen-Verschnitt, der sich emporgearbeitet hat aus Kreismitgliederversammlungen, aber lieber an der Uni geblieben wäre. Die neue Präsidentin: eine angestrengte Politikerin, von einer politischen Bewegung an die Macht gespült. Sie verspricht nichts weniger als eine gerechtere Welt, mit neuer Ehrlichkeit, sozialem, demokratischem und ökologischem Fortschritt samt BürgerInnenfonds (sie spricht das Binnen-I mit aus), BürgerInnenrat, absoluter Transparenz und Spekulationsverbot auf Immobilien und Grundstücke.

Hohler Politsprech

Klingt gut, bleibt aber hohler Politsprech – der in einen Albtraum mündet: Die Präsidentin propagiert eine "neue Gerechtigkeit" und legitimiert die Exekution des Präsidenten mit dem Willen des Volkes, den es zu respektieren gelte. Ihre Lebenspartnerin, einst begeisterte Unterstützerin, will da nicht mitmachen und sprengt den Platz, auf dem die Revolution einst begann, in die Luft. Studlar und Sauter erörtern in ihrem Stück gewichtige Grundfragen: Wie wollen wir zusammenleben? Wann ist es Zeit, für eine gerechte Welt einzustehen?

Regisseur Hubert Dragaschnig, Gründer und künstlerischer Leiter des Theater Kosmos, inszeniert das Stück vom Blatt, lässt seine zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler meist direkt ins Publikum sprechen. Vieles bleibt statisch, wirkt deswegen pathetisch, was aber auch am parabelhaften Erzähltheatertext liegt.

Die fünf Figuren (Präsident, Sekretär, Präsidentin, Polizist, Schwester) lassen einen emotional kaum andocken. Schön war Dragaschnigs Idee, die schweigende Mehrheit per Video zu zeigen – wie auch die Stimmen aus dem Volk. Es fragt nach Bier und Bratwurst, kaut das Credo der Unzufriedenen wieder ("das wird man wohl noch sagen dürfen"). Und wenn der Präsident hingerichtet wird, ergötzt man sich am Schauder und geht dann baden. Warten auf Tränengas könnte ein Aufruf sein, sich und die eigene Verführbarkeit mehr zu hinterfragen. Doch der Abend kann das nicht vermitteln. (Julia Nehmiz, 22.2.2020)