In Hanau trauern die Menschen. Auf Deutsch, Türkisch und Englisch wird dazu aufgerufen, zusammenzuhalten. Ein 43-Jähriger hatte neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen.

Foto: EPA / Armando Babani

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) kam am Freitag demonstrativ nicht allein zur Pressekonferenz in Berlin: An seiner Seite hatte er Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), den Chef des Bundeskriminalamts Holger Münch und Generalbundesanwalt Peter Frank. Dennoch: Was Seehofer nach dem Anschlag von Hanau zu sagen hatte, war nicht beruhigend: "Die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus ist in Deutschland sehr hoch. Der Rechtsextremismus ist derzeit die höchste Sicherheitsbedrohung für die Bundesrepublik."

Seit den Morden durch die Terrorzelle NSU, so Seehofer, "zieht sich bis heute eine Blutspur des Rechtsextremismus durch unser Land". Der "Nationalsozialistische Untergrund" ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Männer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin.

Am Mittwochabend hatte der 43-jährige deutsche Tobias R. im hessischen Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen, danach noch seine Mutter und sich selbst.

"Wut und Emotionalisierung"

Seehofer befürchtet nun Nachahmungstäter, auch "Wut und Emotionalisierung". Daher hat er mit den 16 Innenministern der Bundesländer vereinbart: "Wir werden die Polizeipräsenz in ganz Deutschland erhöhen. Wir werden sensible Einrichtungen verstärkt überwachen, insbesondere auch Moscheen." Außerdem soll mehr Polizei an Bahnhöfen, Flughäfen und "im grenznahen Raum" eingesetzt werden.

Ausdrücklich betonte Seehofer, unter Zustimmung von Justizministerin Lambrecht: "Ich fordere nicht mehr Personal und mehr Paragrafen." Vielmehr werde man die "bestehenden Möglichkeiten mehr nutzen". Die Polizei habe "viel Personal erhalten" und auch neue Sachausstattung. Auf der Gesetzesebene verwies Seehofer auf das am Mittwoch im Kabinett beschlossene "Anti-Hass-Gesetz".

Dieses verpflichtet soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, bestimmte Posts dem Bundeskriminalamt (BKA) direkt zu melden – etwa Neonazi-Propaganda, Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen und Bedrohungen. Derzeit müssen diese nur gelöscht werden. Künftig sollen die IP-Adressen bei einer neuen Stelle im BKA gesammelt werden.

Lambrecht betonte: "Wir haben Ende des Jahres das Waffenrecht verschärft. Keinen Fußbreit diesem braunen Sumpf!" Laut Generalbundesanwalt Frank hatte Tobias R., ein Sportschütze, zwei Waffen legal besessen.

2019 Kontakt mit Behörden

Der Generalbundesanwalt bestätigte, dass R. im November 2019 Kontakt mit seiner Behörde hatte. Damals erstattete R. Anzeige gegen eine "unbekannte geheimdienstliche Organisation". Wie in dem von ihm hinterlassenen 24-seitigen Text im Internet erklärte R., es gebe eine Organisation, die "sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern". In der Anzeige seien aber die rassistischen und rechtsextremen Ausführungen nicht enthalten gewesen, ein Ermittlungsverfahren hat der Generalbundesanwalt nicht eingeleitet.

Seehofer traf am Freitag auch Vertreter der Islamverbände. Diese fordern von der Politik, Islamfeindlichkeit in Deutschland klar als Problem zu benennen. Er hätte sich gewünscht, dass bei den Gedenkveranstaltungen in Hanau deutlich erwähnt worden wäre, dass die Opfer Muslime waren. Es sei zwar gesagt worden, "dass man zusammenstehen möchte, aber nicht, mit wem", kritisierte der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Zekeriya Altug.

Debatte über AfD

Nun wird in Deutschland auch heftig über den Umgang mit der AfD diskutiert. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil meint: "Es ist doch völlig klar, dass die AfD eine Partei ist, die beobachtet werden muss vom Verfassungsschutz." Die Partei habe das gesellschaftliche Klima vergiftet. Auch der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, meint: "Die AfD bewegt sich als Gesamtpartei immer schneller in Richtung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz."

Die Behörde hat im Jänner 2019 den völkisch-nationalistischen Flügel und die "Junge Alternative" als Prüffall eingestuft. Auch Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz sind im Visier des Verfassungsschutzes.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte nach dem Anschlag eine Mitverantwortung seiner Partei zurückgewiesen und erklärt: "Terror ist es ja meistens erst, wenn sozusagen irgendein politisches Ziel erreicht werden soll. Bei einem völlig geistig Verwirrten sehe ich kein politisches Ziel." (Birgit Baumann aus Berlin, 21.2.2020)