Günter Achleitner erntet gerade Grünkohl. Auch Salat, Lauch und Spinat wachsen in allerlei Variationen und in Bioqualität auf seinen Feldern rund um Eferding. Der Landwirt zählt zu den Pionieren der Branche. Als Großhändler versorgt er Gastronomen, Fachhändler und Biokistln mit Obst und Gemüse. Vor einigen Jahren hat er sich nun mit Wissenschaftern zusammengetan.

Feldfrüchte wie die Zwiebel sind ein Spielball internationaler Märkte. Supermärkte üben mit ihnen den Spagat zwischen klimafreundlichem Image und niedrigen Preisen.

Sein Ziel ist es, frostresistente, winterharte Sorten zu entwickeln, die ganzjährig gedeihen. Achleitner verzichtet dabei in seinen Gewächshäusern auf energieintensive Beheizung und künstliche Belichtung. Was als kleines Pflänzchen begann, erstreckt sich mittlerweile über viele Hektar Land, von Wien über die Steiermark bis nach Salzburg, teils auch in den alpinen Raum. Die zusehends milden Winter erleichtern den Anbau.

Er wolle mit weniger importiertem Gemüse einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, sagt Achleitner. "Wir schauen, wie wir die Saison für die Bauern verlängern können und was auch im Winter mit geringem Aufwand an Energie und Ressourcen bei uns wächst."

Der Wunsch nach Regionalität treibt für ihn aber gefährliche Blüten. Riesige Glashäuser über hunderte Hektar würden aus dem Boden gestampft, um Importe zu reduzieren. Man belichte sie, beheize sie auf 18 Grad und pflanze Gemüse in chemischen Nährlösungen an. Das sei "völliger Unsinn" und habe nichts mit der Reduktion von CO2-Emissionen zu tun, ärgert sich der Oberösterreicher. Da sei es gesünder, Frischwaren aus dem Süden Europas zu holen.

Steine auf Glashäuser

Supermärkte wie Spar und Rewe bedient Achleitner nicht mehr. Die Art und Weise ihres Umgangs mit Lieferanten habe ihn gestört, sagt er. Versorgt werden Lebensmittelketten mit Obst und Gemüse unter anderem von Branchenriesen wie San Lucar. Der Konzern handelt mit Waren aus 35 Ländern und betreibt dafür weltweit eigene Produktionen. Größter Partner hierzulande ist Rewe.

Auch Alexander Thaller, Österreich-Chef der spanischen Gruppe, ist, wie er betont, kein Freund beheizter Gewächshäuser. Angebaut gehöre am besten das, was die Natur erlaube. San Lucar beziehe für seine Geschäfte in und aus Österreich heraus rund ein Fünftel der Rohstoffe regional. 80 Prozent werden international zugekauft.

Österreich ist bei Tafeläpfeln Selbstversorger. Allerdings nur in der Theorie.

Man sei dabei stets bemüht, die Transportwege zu verkürzen. Heidelbeeren etwa würden im Winter statt aus Chile vermehrt aus Nordafrika und der Türkei importiert.

Was Thaller zufolge jedoch bei all den heißen Debatten rund um Klima und Regionalität übersehen wird: Konsumenten seien Lebensmittel wenig wert – Europa zahle dafür international die niedrigsten Preise. Bananen als beliebtestes Obst der Europäer seien in Österreich um 99 Cent pro Kilo zu haben. "Das ist günstiger als ein Kilo Erdäpfel aus dem Waldviertel. Wie sollen davon Menschen in den Anbaugebieten leben können?"

"Kranke Preise"

Wer den hohen Arbeitsaufwand dafür kenne und die langen Transportwege einbeziehe, wisse, dass es sich hierbei um "kranke Preise" handle, die nicht die realen Kosten abbildeten, sagt Thaller. "Nahrungsmittel sind viel zu billig."

Österreichs Handel übt sich in einem Spagat. Konsumenten fordern in Umfragen regionale Produkte mit klimafreundlichen Fußabdrücken ein. Vor dem Regal jedoch sind die guten Vorsätze zumeist vergessen. Wird ein Sackerl Zwiebel um 50 Cent günstiger offeriert, verdoppelt sich der Verkauf – egal woher diese stammen, erzählt Johann Ackerl, der Supermärkte mit Biofeldgemüse beliefert. "Obst und Gemüse müssen optisch Instagram-tauglich sein. In der breiten Masse finden Themen wie der Klimaschutz nach wie vor nur sehr wenig Niederschlag."

Erdäpfel im Schönheitscontest: Nach vielen Monaten Lagerung stechen Israelis und Ägypter die Österreicher aus.

Man nehme Tafeläpfel: Die Österreicher sind hier zumindest in der Theorie Selbstversorger. Ab Mai verliert Lagerware freilich an Haltbarkeit und Knackigkeit. Also rücken Importe nach. Ganzjährig aus dem Ausland kommen Clubsorten wie Pink Lady. Österreichs Landwirte dürften sie nicht züchten, Kunden wollen sie dennoch.

Oder Erdäpfel: Ab April haben bei ihnen im Einzelhandel Israel und Ägypten Hochsaison, was den Absatz regionaler, doch seit Monaten eingelagerter Kartoffeln drastisch schmälert. Ihr Glück im Unglück: Anders als früher, wo jedes dunkle Auge und jeder Trieb ein inakzeptabler Makel waren, fliegt österreichisches Gemüse abseits der Saison nicht mehr gänzlich raus.

Kräftemessen im Supermarkt

Ackerl beobachtet bei großen Lebensmittelkonzernen ein Kräftemessen zwischen Marketing und Einkauf. "Unter ihnen besteht eine natürliche Feindschaft." Ersteres versuche auf die Zeichen der Zeit zu achten, auf den Druck aus der Politik und Zivilgesellschaft. Zweiterer müsse Geld verdienen.

Der Einkauf der Handelsriesen ist ein hochkomplexes Regelwerk, um nicht zu sagen die Königsdisziplin der Branche. Spar und Rewe kaufen direkt ein und sichern sich dabei mit Vorliebe Lieferanten, die exklusiv unter ihren Handelsmarken produzieren. Sie bedienen sich hochspezialisierter Großhändler und Einkaufsgenossenschaften, greifen auf Verbände mit internationalen Partnern und Handelsagenturen zurück, die etwa von Valencia oder Verona aus Geschäfte vermitteln.

Bei Gemüse und Obst garantieren Rahmenverträge Mengen und Preise. Im Fall von Missernten gibt es Ausstiegsklauseln. Verfault der Salat nach Wetterkapriolen auf den Feldern, müssen alternative Anbieter her. Denn frisches Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Ziel ist es, Überschuss herzustellen, mit Knappheit konnten Händler noch nie gut umgehen.

Salat ist ein sensibles Pflänzchen. Österreichs Biobauern versuchen sich in frostresistenten Sorten.

Mit der Eigenversorgung sei es in Österreich jedenfalls nicht weit her, meint der Waldviertler Großhändler Christof Kastner. Nur gut sechs Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugnisse gingen direkt in den Lebensmittelhandel. Das Gros fließe über den Raiffeisen-Sektor, der auf internationale Börsen, Angebot und Nachfrage reagiere.

Die Menge der Exporte wiege jene der Importe auf. Letztlich entscheide der Konsument, ob im Winter Spargel aus Peru eingeflogen werde oder Erdbeeren über tausende Kilometer herangekarrt werden, ist sich Kastner sicher. "Wenn es keiner kauft, bietet es auch keiner an."

Echte Wahlfreiheit ist freilich selten. Nicht nur Äpfel, die für die Weiterverarbeitung in großem Stil aus Osteuropa importiert werden, fallen weit vom Stamm. Auch Getreide in Brot und Gebäck wächst zu einem großen Anteil nicht auf österreichischen Feldern. So plakativ rot-weiß-rote Flaggen Nahrungsmittel zieren: In der Gastronomie oder verarbeiteten Produkten ist Regionalität ein Minderheitenprogramm.

Paradeiser im Winter

Spar wie Rewe betonen einhellig, Österreich im Regal, so weit es möglich ist, den Vorzug zu geben. Bei Obst und Gemüse stamme die Hälfte des Bedarfs aus dem Inland, rechnet Nicole Berkmann, Sprecherin von Spar, vor. Der Konzern erntet im Burgenland seit 2019 mit einem Partner selbst Marillen und Nektarinen. Beides ist hierzulande rar. In Glashäusern zieht er, ebenso mit Partnerbetrieben und teils auch mit der Hilfe von Geothermik, ganzjährig Tomaten, Paprika und Radieschen groß.

Damit steigt sowohl die Unabhängigkeit von Importen als auch von ostösterreichischen Gärtnern rund um die LGV. Die Biobranche beobachtet unter diesen ein leises Sterben. Für ökologisch hält sie Spars Gewächshäuser nicht.

Rewe beziffert den Anteil an österreichischem Obst und Gemüse mit bis zu 70 Prozent von Frühjahr bis Spätsommer. Im Winter sei der Anteil naturgemäß geringer. Wolfgang Gartner, Manager der Regionalitätsabteilung der Gruppe, berichtet von steirischen Wassermelonen, Reis aus dem Seewinkel und Feigen aus Wien-Simmering. Auch Kurkuma, Ingwer und Gojibeeren schlagen in Österreich erste zarte Wurzeln.

Einfacher macht dies das Abwägen der Vor- und Nachteile von Regionalität nicht. Denn der Einsatz von Pestiziden, der Aufwand für Anbau und Lagerung wie auch das Risiko von Ernteverlusten lassen die CO2-Bilanz der Transporte verblassen. So kommt es, dass Biopaprika aus dem spanischen Freiland konventionelle Paprika aus dem österreichischen Glashaus in Sachen Klimaschutz alt aussehen lassen. (Verena Kainrath, 29.2.2020)