Grasskifahren erfreut sich nicht großer Beliebtheit. Ob dieser Nischensport in Zukunft eine bedeutungsvollere Rolle spielen kann, wird sich weisen.

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"Dieser Sport, den ich so liebe, ist akut gefährdet. Das war noch nie so offensichtlich wie jetzt. Die Erderwärmung hat die Bedingungen fürs Skifahren deutlich verschlechtert, die Saisonen werden kürzer, es gibt weniger Schnee. Wenn nicht sofort gegengesteuert wird, verlieren wir den Sport, wie wir ihn kennen."

Dass es der US-amerikanische Skistar Ted Ligety war, der solches von sich gab, überrascht weniger als der Zeitpunkt seiner Aussage. November 2007! Es ist das Jahr, in dem in Österreich eine großkoalitionäre Regierung unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) antritt. In Großbritannien wird Tony Blair von Gordon Brown als Premierminister abgelöst. Steve Jobs präsentiert das erste iPhone, der Jamaikaner Asafa Powell läuft über 100 Meter (9,74), der Äthiopier Haile Gebrselassie im Marathon (2:04:26) Weltrekord. Greta Thunberg feiert ihren vierten Geburtstag, und "Ein Stern, der deinen Namen trägt" ist in Österreich 26 Wochen lang Nummer eins der Hitparade. Marcel Hirscher debütiert als Juniorenweltmeister im Weltcup, belegt beim Finale im Riesenslalom den 24. und drittletzten Platz – 3,17 Sekunden hinter dem norwegischen Sieger Aksel Lund Svindal.

Ist der Zug schon abgefahren?

Kurz: Das ist schon ein Zeiterl her. Auch Ligety, viereinhalb Jahre älter als Hirscher, war noch ein relativer Jungspund. Anno dazumal hielt er bei erst einem Weltcupsieg, 24 weitere sollten folgen, vor allem aber hielt Ted Ligety die Augen offen und mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Gemeinsam mit seiner Teamkollegin Julia Mancuso rief er dazu auf, dem Klimawandel entgegenzutreten. "Jeder Einzelne kann etwas beitragen", sagte Ligety und fügte hinzu: "Wissenschafter sagen, wir haben weniger als zehn Jahre, um Maßnahmen zu ergreifen." Demnach wäre nun, mehr als zwölf Jahre später, der Zug also bereits abgefahren.

So pessimistisch ist Hans-Peter Hutter zumindest offiziell nicht. Doch auch der Umweltmediziner und Ökologe von der Medizinischen Universität Wien weist auf "eine enorme Verzögerung", also auf jahrelange Versäumnisse, hin. Ligety und Mancuso seien vielleicht im Ski-Weltcup einsame Rufer gewesen. "Doch Untersuchungen und Studien haben schon in den 90er-Jahren ergeben, dass es für den Wintertourismus schwieriger wird. Das war alles kein Geheimnis." Es habe nicht nur Studien, sondern sehr wohl auch Empfehlungen, Vorschläge, Anleitungen gegeben. Beherzigt oder umgesetzt wurde allerdings sehr wenig, weil Entscheidungsträger in der Politik, in der Wirtschaft und auch im Sport laut Hutter "den Klimawandel nicht wahrhaben wollen".

Keine Änderungen im Weltcup

Peter Schröcksnadel (78), der Präsident des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), will mit dem STANDARD über das Thema Klimawandel aktuell nicht reden. Er hat ja auch schon viel gesagt, man kennt seine Haltung. Der alpine Weltcup wird laut Schröcksnadel in seiner Planung jedenfalls kaum auf den Klimawandel reagieren. Dabei war da und dort schon vermutet worden, künftig könnten mehr Rennen in vergleichsweise schneesicheren Gegenden, etwa Skandinaviens, stattfinden.

Der Skisport ist Schröcksnadels Geschäft, dieser steht nicht nur dem ÖSV vor, sondern besitzt auch diverse Skigebiete und Bergbahnen (Patscherkofel, Kössen, Hinterstoder, Hochficht, Hochkar, Ötscher). Hutter, der Experte, kann sich vorstellen, dass in etlichen Gebieten noch jahre-, vielleicht sogar jahrzehntelang Ski gefahren wird – mit virtuellen Scheuklappen halt.

Für Hutter, Co-Autor des Buchs Klimawandel und Gesundheit. Auswirkungen. Risiken. Perspektiven. (Manz-Verlag), ist es bis zu einem gewissen Grad verständlich, dass der Mensch so weitertut, wie er immer getan hat. "Wir trennen uns nicht gerne von Vertrautem, von Liebgewonnenem. Wir wollen Stabilität und Kontinuität." Aber: "Den Skisport, wie wir ihn jetzt da und dort noch kennen, spielt es nicht mehr lange. Alles andere sind Wunschvorstellungen, die mit der Realität nichts zu tun haben."

Im ÖSV sind alle auf Linie

Im ÖSV gibt es keinen Ligety, keine Mancuso, auch keine Mikaela Shiffrin, die kürzlich sagte: "In vielleicht 40 Jahren werden wir nicht mehr Ski fahren." Die Auswirkungen des Klimawandels seien "offensichtlich". Im ÖSV sind alle auf Linie, auf Schröcksnadels Linie. Nicht nur die USA sind weiter. In Deutschland initiierten Skiverband, Skilehrerverband und Snowboard Germany das Forum "Dein Winter. Dein Schnee". Projektleiter Alexander Schwer sagte der FAZ: "Der Skisport hat die Aufgabe zu lösen, wie er in Zukunft stattfinden kann." Und er sagte auch: "Schröcksnadel gehört in die Kategorie Trump."

Das Festhaltenwollen sei kein Alleinstellungsmerkmal der Skifunktionäre, sondern auch in anderen Berufsgruppen verbreitet, etwa in der Landwirtschaft, in der Wasserwirtschaft, in der Forstwirtschaft, im Gesundheitswesen. Hutters Botschaft an Verantwortliche: "In den nächsten Jahrzehnten werden viele Menschen darunter leiden, dass nicht rechtzeitig reagiert worden ist." Der Skitourismus wird alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist, zumindest zu verzögern. Hutter kann sich vorstellen, "dass man auch noch bei 20 Grad plus Schnee produzieren kann. Es wird halt eine Frage der Kosten und eine Frage der Ökologie." Doch werden, sagen wir, anno 2050 noch viele viel dafür bezahlen, dass sie auf einem weißen Band durch eine ansonsten grüne oder graue Landschaft brettern? Hutter würde, um auch das festzuhalten, "die Adaptionsfähigkeit des Menschen nicht unterschätzen".

Die Badesaison verlängert sich

Auf der anderen Seite, jener der Anbieter, wird man "in Ortschaften, die nicht nach oben wandern können", denen also der Schnee als Grundlage abhandenkommt, nicht um Innovationen herumkommen. Da gilt es eine Frage zu beantworten: Wie kann man im Wintertourismus ohne den Skisport attraktiv bleiben? Auch wer Hallenbäder aufsucht, hört man oft, vergrößert seinen CO2-Fußabdruck. Für den Badespaß freilich spricht auf Sicht die kürzere Anreise und die Tatsache, dass sich die Freiluftsaison – im Gegensatz zur Skisaison – verlängern wird. Hans-Peter Hutters Conclusio: "Viele sagen, in den nächsten Jahren haben wir eh noch kein Problem. Ich bin auch nicht mehr der Allerjüngste, aber für mich ist Zukunft mehr als fünf oder zehn Jahre. Ich frage mich: Was dann?"

Ted Ligety ist längst eher pessimistisch. Zu Saisonbeginn wähnte er sich auf dem Gletscher oberhalb von Sölden in einer "Mondlandschaft", wie er der FAZ sagte. "Heißzeit", so hat diese ihre Geschichte getitelt. Nur wenige der tausenden Zuseher, die da bei gut 15 Grad plus in T-Shirts im Zielraum standen, haben sie gelesen. (Am Pistenrand: Fritz Neumann, 22.2.2020)