Es ist schon ein paar Jährchen her, dass die Kickstarter-Kampagne für die Oculus Rift den ersten Hype um Virtual Reality seit den frühen 1990ern erzeugt hat. Doch trotz Googles Cardboard und Daydream, HTCs Vive, den Mixed-Reality-Brillen von Windows und einer Reihe anderer Anläufe ist die Technologie noch nicht in der Masse angekommen.

Wer VR-gamen will, besucht in der Regel noch ein VR-Café oder einen entsprechenden Escape-Room. Nur wenige haben eine Brille zu Hause, sind die Geräte doch teuer und setzen obendrein auch noch einen recht potenten PC als Basis voraus. Mit zwei neuen Headsets – Go und Quest – setzt Oculus seit einiger Zeit dagegen. Ersterer konkurriert mit Einstiegslösungen wie Daydream, Letzterer hingegen positioniert sich als bester Kompromiss beider Welten. Für rund 500 Euro soll das Gerät ein gutes Stand-alone-Erlebnis liefern, sich gleichzeitig aber auch – eine Zusatzinvestition von 90 Euro für das offizielle Link-Kabel vorausgesetzt – als VR-Brille für den PC eignen.

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Disclaimer

Hier gleich ein Hinweis und Tipps vorweg: Besagtes Kabel lag dem Testmuster nicht bei, weswegen diese Anbindungsmöglichkeit nicht erprobt wurde. Allerdings verkaufen andere Anbieter ebenfalls USB-C-Kabel, die den Anforderungen der Quest genügen sollen, für deutlich weniger Geld.

Gleichzeitig gibt es mit Airlight VR auch eine inoffizielle Lösung, um Bildschirminhalt und Steuersignale zwischen PC und Brille auch per WLAN zu übertragen. Bezogen wird diese Software allerdings über einen ebenfalls inoffiziellen Store namens Sidequest. Dieser Test hier bezieht sich ausschließlich auf die Stand-alone-Features, die die Quest ab Werk mitbringt.

Einrichtung

Im Lieferumfang ist die Brille selbst, ein Visieradapter für Brillenträger, zwei Controller nebst einem Set Einwegbatterien (AA) sowie ein Ladegerät nebst Kabel. Die Quest wird über einen USB-C-Port aufgeladen, was prinzipiell auch mit anderen Ladegeräten machbar ist, aber meist länger dauert. Die Controller lassen sich auch mit wiederaufladbaren Batterien verwenden, was man im Sinne der Nachhaltigkeit auch so handhaben sollte.

Die Einrichtung ist simpel. Zuerst setzt man die Brille auf und reguliert den Abstand über die Kopfbänder so, dass man den Bildschirminhalt durch die beiden Linsen scharf erkennt. Anschließend passt man die Linsen mit einem mechanischen Schieberegler an den eigenen Augenabstand an. Einmal mit Batterien bestückt und per Tastendruck aktiviert, erkennt die Brille die Controller selbstständig, und man kann die Verbindung mit dem eigenen WLAN herstellen. Dabei werden etwaige Firmwareupdates angezeigt und können auf Wunsch installiert werden.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Guardian Space

Danach legt man einen sogenannten Guardian Space fest. Dabei schaltet die Brille auf die außen gelegene Tiefenkamera um, sodass man seine Umgebung im Blick hat. Mithilfe eines Controllers legt man nun die Höhe des Bodens fest, sofern die Brille diese nicht korrekt erkannt hat. Anschließend zeichnet man entlang des Bodens die Grenzen des nutzbaren Spielraums. Mindestens 1 x 1 Meter müssen zur Verfügung stehen. Empfohlen werden wenigstens 2 x 2 Meter, zumal manche Apps sich nicht mit weniger begnügen.

Alternativ kann die Brille auch nur stationär, sprich: sitzend verwendet werden, was den Zweck einer Stand-alone-VR-Brille allerdings etwas ad absurdum führt. Der Spielraum muss nicht jedes Mal neu definiert werden, die Quest merkt sich die festgelegten Grenzen, und es können auch, falls man sie etwa nicht nur daheim verwendet, auch mehrere Guardian Spaces gespeichert werden.

Games und Bildung

Vom ersten Einschalten bis zum "Teleport" in eine futuristische Villa, die quasi als Zierde für das Menü dient, dauert es etwa zehn Minuten (exklusive eines etwaigen Firmwareupdates). Danach kann man auch schon durch den Oculus Store scrollen und das Games-Angebot sichten. Betrieben wird die Quest übrigens mit einem Qualcomm-Snapdragon-835-Chip, der viele Highend-Smartphones des Jahres 2017 angetrieben hat, vier GB RAM, 64 oder 128 GB Onboardspeicher und einer nicht näher beschriebenen Android-Adaption. Folgende Spiele und Anwendungen wurden für diese Rezension erprobt: Beat Saber, Audica, Superhot VR, Creed: Rise to Glory, National Geographic Explore (Macchu Picchu) und Anne Frank House VR.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Beat Saber ist ein besonders gelungener Anwendungsfall für Virtual Reality. Im Takt eines Musikstücks zerschlägt man mit zwei Lichtschwertern entgegenkommende Blöcke, wobei jeweils darauf geachtet werden muss, diese aus der richtigen Richtung und mit dem richtigen Schwert zu treffen. Ab und an muss man Mauern ausweichen und sollte sich davor hüten, Minen zu zerschlagen. Im Kampagnenmodus gilt es in stets schwerer werdenden Levels einen Highscore zu erreichen und immer wieder auch bestimmte Limits – etwa für verfehlte Blöcke – einzuhalten. Trifft man einen Block gar nicht oder mit dem falschen Schwert, reißt nicht nur die laufende "Kombo" ab, sondern man verliert auch Lebensenergie. Verfehlt man zu häufig, geht es zurück an den Levelstart.

Flotte Sensoren

Das Game bietet sich als Test für die Quest auch deswegen an, weil es mitunter sehr schnell ist und das Tracking von Spielerposition, Controllern und deren Ausrichtung zuverlässig funktionieren muss. Eine Herausforderung, die sie fast fehlerfrei meistert. In etwa vier Stunden Spielzeit verlor sie nur zweimal kurz die Position eines Controllers, obwohl dieser eigentlich noch im Sichtfeld der Sensoren gewesen sein müsste.

Das Game Audica lehnt sich stark an Beat Saber an, setzt das Prinzip jedoch mit Pistolen um. Das funktioniert gut, sowohl im Hinblick auf die Umsetzung des Spiels (wenn man vom recht schnell anziehenden Schwierigkeitsgrad absieht) als auch auf Ebene der VR-Brille. Die Boxsimulation Creed macht ebenfalls Spaß, leidet aber etwas an ihrer Umsetzung, die sehr starre Vorgaben für die Ausführung der möglichen Schläge beinhaltet und die kämpferischen Möglichkeiten damit stark einschränkt.

Oculus

Die National-Geographic-Abenteuertour nach Lateinamerika und die Begehung des Anne-Frank-Hauses sind wesentlich ruhigere Erfahrungen. Sie beweisen vorwiegend, dass die Virtual Reality ein großartiges Werkzeug für Bildungsinhalte ist.

Speziell die Nacherzählung des Schicksals des jüdischen Mädchens Anne Frank, das mit ihren Eltern 1934 von Deutschland nach Amsterdam flüchtete und dort nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in einem Versteck leben musste. Dieses wurde im Sommer 1944 aus ungeklärten Gründen entdeckt und die Familie gefangen genommen. Anne Frank und ihre Schwester Margot verstarben im Februar 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen am Fleckfieber. Die VR-Tour mischt die Umgebung des Verstecks auf gelungene Weise mit Bildern, Dokumenten und vorgelesenen Tagebucheinträgen, die die Kriegsjahre überdauert hatten.

Yay, Fortschritt!

Doch zurück zur Oculus Quest. Ein Ausflug zum innovativen Shooter Superhot VR ermöglichte den Vergleich zum Erlebnis mit dem Acer-VR-Headset für Windows Mixed Reality, das DER STANDARD 2018 getestet hat. Und diesen gewinnt die Quest nicht nur, weil man sie nicht an einen PC anschließen muss.

So bietet sie auch eine etwas höhere Auflösung (1.600 x 1.440 Pixel pro Auge im Vergleich zu 1.440 x 1.440 Pixel). Die Darstellungsqualität ist gut, wenngleich das Pentile-Display nicht an die Bildschirme der Highend-Brillen herankommt. Letzere erreichen auch eine Bildwiederholrate von bis zu 144 Hz, während die Quest auf 72 Hz limitiert ist.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Beeindruckendes Soundsystem

Weiters verfügt die Brille über ein Spatial-Audio-Soundsystem, das auch ohne den Anschluss von Kopfhörern funktioniert. Genauer gesagt: sehr gut funktioniert. Spielt man allein in einem Zimmer, gibt es keinen Grund, Gebrauch von den 3,5-mm-Kopfhörerklinken zu machen. Die integrierte Beschallung liefert gute Audioqualität und Räumlichkeit.

Oculus hat zudem vor kurzem ein experimentelles Feature verfügbar gemacht: Handtracking. Anstelle der Controller ermöglicht dieses die Steuerung mit den Händen, wobei auch verschiedene Gesten – etwa Pinch-to-Zoom – erkannt werden. Im Test klappte das bereits sehr gut, allerdings muss man darauf achten, die Hände stets im Blickfeld der Tiefenkamera zu bewegen und sie nicht übereinanderzulegen. Im Moment gibt es leider noch kaum Anwendungen, die dieses Feature unterstützen, es steckt aber einiges Potenzial darin.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Kritik

Bei all dem Lob gibt es an der Quest aber auch Kritikpunkte. So hält sich die Bequemlichkeit der Kopfbefestigung leider ein Grenzen, und bei schnelleren Kopfbewegungen musste immer wieder einmal die Brille wieder zurechtgerückt werden. Konstruktionen mit teils "starrem" Kopfband funktionieren deutlich besser. Zudem fehlt so etwas wie ein Gegengewicht zur Brille, die aufgrund der vollintegrierten Hardware allein deutlich über 500 Gramm auf die Waage bringt. Das sorgt für einen einseitigen Druck gegen die Stirn, der nach längerer Spielzeit sehr unangenehm wird. Schade ist auch, dass es keine Anpassungsmöglichkeit für die Sehschärfe je Auge gibt.

Etwa drei bis fünf Stunden lassen sich mit einer Akkuladung aus der Quest rausholen. Nutzt man die Brille allein, ist das mehr als ausreichend, da man in der Regel spätestens nach ein bis zwei Stunden in der virtuellen Realität ohnehin eine Pause braucht. Einweg-AA-Batterien halten in den Controllern etwa vier volle Sitzungen durch, wiederaufladbare Batterien etwas weniger.

Oculus

Fazit

Mit der Quest macht Oculus nicht alles richtig, aber sehr vieles. Abseits der ergonomischen Defizite ist die Brille technisch tadellos umgesetzt und die Bedienung intuitiv gehalten. Der Schritt, ein gutes VR-Erlebnis von einem Highend-PC zu entkoppeln, weist wohl auch den Weg in die Zukunft.

Gerade in einer Zeit, in der fast nur noch passionierte Gamer einen leistungsstarken Rechner haben und alle paar Jahre einen neuen anschaffen, ist eine günstigere Brille ohne diese Einstiegshürde wohl für viele die attraktivere Lösung. Man darf gespannt sein, was künftige Generationen der Quest bringen. (Georg Pichler, 29.2.2020)