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Supergut: Sergej Schnurow.

Foto: REUTERS/Maxim Zmeyev

Super, super, supergut! Ob der Kulthit der Skacore-Band Leningrad tatsächlich eine treffende Beschreibung für die Idee ihres Frontmanns Sergej Schnurow ist, in die russische Politik einzusteigen, bleibt abzuwarten. Schnurow selbst zumindest verspricht, dass es mit ihm "auf jeden Fall lustiger wird".

Musikalisch stehen Leningrad seit mehr als 20 Jahren für die Lust an der Provokation. Und das durchaus erfolgreich. Schnurow, der sich vor seiner Künstlerkarriere als Wächter im Kindergarten, als Glaser, Schmied, Tischler und Designer in einer Werbeagentur durchschlug, hat sich nicht nur vom Underground zu einem der bekanntesten Musiker Russlands entwickelt, sondern auch – laut "Forbes" – zum bestbezahlten. Zwischen Juni 2017 und Mai 2018 hat er demnach 13,9 Millionen Dollar verdient – nur unwesentlich weniger als Eishockeystar Alexander Owetschkin, aber wesentlich mehr als etablierte Schlagerstars wie Filip Kirkorow oder Dima Bilan.

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Fäkalsprache

In Deutschland wurde er durch die "Russendisko"-Veranstaltungen von Wladimir Kaminer bekannt. Aber er füllt auch in New York, Paris und Sydney die Hallen – vorwiegend natürlich mit russischsprachigen Expats. Leningrad polarisieren. Ihre Fans begeistert die Band mit einem Mix aus verschiedenen Stilrichtungen von Ska und Rock über russische Folklore bis hin zu Hip-Hop, vor allem aber mit der anarchischen Sprache. Gespickt mit Schimpfwörtern destilliert Schnurow darin den oft schwierigen Alltag der Russen.

Für seine Gegner sind die schmutzigen Ausdrücke des 46-Jährigen hingegen ein rotes Tuch. Wegen der Fäkalsprache hatte Schnurow auch jahrelang ein Auftrittsverbot in Moskau. Thematisierte er in den Anfangsjahren fast ausschließlich Wodka und Frauen, so hat er sein Repertoire inzwischen deutlich erweitert. Mit harten Worten und feiner Ironie verhöhnt er die Falschheit russisch-orthodoxer Priester, die Gier von Politikern oder die Ignoranz und Verbohrtheit vieler Bürger.

Auch auf die Politik von Kreml-Chef Wladimir Putin richtete er zuletzt in Gedichtform scharfe Breitseiten. Als Regimegegner taugt er allerdings nicht. Eher als Hofnarr, der auch einmal die Wahrheit sagen darf. Denn seine Kritik ist stets richtig dosiert – und nie fundamental. Selbst hat Schnurow dabei stets sein Interesse an der Politik geleugnet. Umso überraschender ist sein plötzlicher Eintritt in die "Partei des Wachstums" von Milliardär Boris Titow.

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Kreml-Projekt

Die Partei selbst bezeichnet sich als Vertreterin des Klein- und Mittelstands und als gemäßigt oppositionell, gilt jedoch als Kreml-Projekt – nicht nur, weil Titow als Putins Ombudsmann für die russische Wirtschaft arbeitet, sondern weil bereits ihre Vorgängerpartei "Rechte Sache" in den Hinterzimmern des Kreml erschaffen wurde, um den liberalen Teil der Russen zu binden. Populär war sie nie, einzig Milliardär Michail Prochorow gelang als Spitzenkandidat bei der Präsidentenwahl 2012 ein Achtungserfolg, als er auf der Protestwelle surfend überraschend Dritter wurde.

Abgesprochene Kandidaturen

Das war es aber auch. Titow selbst holte 2018 bei der Präsidentenwahl weniger als ein Prozent. Eine wohl im Kreml abgesprochene Kandidatur, die einzig darauf abzielte, die Wahlbeteiligung etwas anzuheben und das liberale Lager zu spalten. Eine ähnliche Rolle spielte damals auch die TV-Moderatorin Xenia Sobtschak, die sich als Oppositionsaktivistin präsentierte, aber durch ihre mit Putin abgesprochene Teilnahme an der Präsidentenwahl den geplanten Wahlboykott der Opposition unterhöhlte. Schnurow machte sich damals über Sobtschak lustig.

Die revanchierte sich nun und kommentierte, Schnurows Parteibeitritt sei der Beweis, dass seine Häme damals nur Neid gewesen sei. Tatsächlich ruft Schnurows plötzlicher Gang in die Politik Spekulationen hervor: Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny sieht darin einen Versuch des Kreml, die Duma-Wahl 2021 zu manipulieren. Schnurow habe seine Fans, aber auf mehr als vier Prozent werde die "Partei des Wachstums" auch mit ihm nicht wachsen. Wegen der Fünfprozentklausel werde sie daher nicht ins Parlament einziehen, wovon die Kreml-Partei "Einiges Russland" als voraussichtlich stärkste Partei am meisten profitiere, da sie so weniger Prozent brauche, um die Mandatsmehrheit zu erzielen, argumentierte Nawalny.

Fremde Hintern

Schnurow selbst kommentierte den Wirbel um seinen politischen Neuanfang in gewohnt vulgär-doppeldeutiger Manier. "Ich bin nicht das erste Mal Mitglied und es gewohnt, fremde Hintern in Anspannung zu versetzen", schrieb er. Er dementierte, dass die Kreml-Verwaltung hinter seinem Parteieintritt stecke. Er habe die Entscheidung aus eigenem Antrieb getroffen, sagte er, ohne aber seine Motivation offenzulegen. Eine Kandidatur bei der Duma-Wahl schloss er zumindest nicht aus. Lustig werden dürfte der Wahlkampf dann allemal. Vor allem wenn der Kandidat Schnurow in seiner Kampagne das Lied abspielt, das er vor Jahren in der Komödie "Wahltag" selbst gesungen hat: Das endet mit der Bemerkung, dass er nicht wählen gehe, weil "alle Kandidaten Päderasten" seien. (André Ballin aus Moskau, 24.2.2020)