Ganz geheuer war den Menschen das Moor nie. Über Jahrhunderte erzählte man einander Schauergeschichten von Moorgeistern, wilden Hunden und Menschen, die vom Moor verschluckt worden seien und als Irrlichter wiederkehrten.

In Wirklichkeit verschlucken Moore keine Menschen, sondern vor allem Kohlenstoff – und zwar ziemlich viel davon. Und dieser ist überall besser aufgehoben als in der Atmosphäre, darauf hat man sich auf den Klimakonferenzen geeinigt. Obwohl Moore nur drei Prozent der globalen Landfläche bedecken, speichern sie 657 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, fast doppelt so viel wie im Boden aller Wälder der Erde, die es auf das Fünffache der Fläche bringen.

Naturbelassene Moore speichern CO2.
Foto: Unsplash/Maksim Shutov

Wälder bekommen gerade viel Aufmerksamkeit. Der Amazonas-Regenwald brennt schließlich, und Bilder von Orang-Utans inmitten gerodeter Wälder emotionalisieren schon seit langem. Sich um den Wald zu sorgen liegt im Trend. Aktivisten ketten sich an Bäume, um sie vor der Kettensäge zu schützen. Staaten und Philanthropen übertrumpfen einander mit Versprechen, Milliarden von Bäumen zu pflanzen. Für wenige Euros kann man sein schlechtes Gewissen wegen der Flugreise in ein Bäumchen umwandeln. Aber wen interessieren Moore?

Mit Mooren ist es wie mit Gurken

Hans Joosten zum Beispiel. Der Niederländer hat das Greifswald Moor Centrum mitbegründet. "Mit Mooren ist es wie mit Gurken", sagt der Wissenschafter. "Wenn sie in Essigwasser liegen, bleiben sie jahrelang konserviert. Aber wenn ich die Gurke aus dem Glas nehme, wird sie sich nach einigen Wochen zersetzen." Ähnlich ist es mit Mooren. Sie sind permanent mit Wasser gesättigt, weshalb Pflanzen nur teilweise verrotten. Aus den halbzersetzten Pflanzen entsteht Torf, pro Jahr ein Millimeter. Der Kohlenstoff, den die Pflanzen aus der Luft gezogen haben, bleibt im Boden.

Bis man sie entwässert: Die eigentlich klimafreundlichen Moore werden dadurch geradezu zu CO2-Schleudern. Der über Jahrtausende aufgebaute Torf zersetzt sich dann in wenigen Jahren, pro Hektar und Jahr werden Dutzende Tonnen CO2frei. Rund die Hälfte aller Moore in Europa ist nicht mehr in ihrem natürlichen Zustand, in Österreich sind wahrscheinlich über 90 Prozent entwässert, vor allem für die Land- und Forstwirtschaft. In Österreich tragen sie drei bis fünf Prozent zum Treibhausgasausstoß bei.

Wie eine Essiggurke ohne Essig zersetzt sich auch ein entwässertes Moor an der Luft.
Foto: iStockphoto/LanaSweet

CO2-Bombe unter den Feldern

Während natürliche Moore ein geheimnisvoller Flair umhüllt, sind entwässerte Moore unauffällig und für Laien kaum erkennbar. Auf ihnen wachsen Kartoffeln und Wälder, auf vielen grasen Kühe. Dass sie mehr Treibhausgasemissionen produzieren als alle Berufspendler in Österreich, ahnt wohl niemand, der durch die idyllischen Landschaften fährt.

Wenn jemand etwas über die entwässerten Moore Österreichs weiß, dann ist es Stephan Glatzel. Er beschäftigt sich an der Universität Wien mit den Auswirkungen von Mooren auf das Klima. Wie viele entwässerte Moore es in Österreich gibt, weiß aber auch er nicht genau. Nicht einmal Österreich selbst hat genaue Zahlen dazu. Jeder Staat muss seine Emissionen jährlich an die UN-Klimaorganisation IPCC melden. Nur so kann überprüft werden, ob die Staaten ihren Klimazielen tatsächlich näherkommen. Da Österreich die Moorausgasungen nicht genau kennt, arbeitet man mit Standardwerten, die in der Regel geringer sind als die tatsächlichen Emissionen – wobei die meisten Länder so verfahren. Für Deutschland hat Glatzel etwa berechnet, dass die Mooremissionen um ein Viertel höher sind als bisher angenommen.

In vielen Staaten hat man die Bedeutung der Moore erkannt, seit den 1980er-Jahren stehen die meisten intakten Moore unter Schutz. Mit rund 2000 Hektar ist das Ibmer Moor in Oberösterreich hierzulande das größte. Das ist nicht überall so. In Südostasien werden mit großem Abstand die meisten Moore zerstört – zumeist für Palmölplantagen.

Was noch dazukommt: Der Klimawandel verschlechtert die Klimabilanz der Moore. Bei hohen Temperaturen und Trockenheit entweicht das CO2 schneller, was die Erde wiederum schneller erwärmt. Noch schneller geht es, wenn Torf brennt. So wie 1997, als große Gebiete Indonesiens in Flammen standen. Die Brände waren damals für etwa ein Drittel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Auch im vergangenen Jahr brannte es in Indonesien. Das Land blies damit doppelt so viel CO2 in die Luft wie die Amazonas-Brände.

Einer von vielen Torfbränden in der indonesischen Provinz Riau im vergangenen Oktober. Zusammen bliesen sie mehr CO2 in die Luft als die Amazonas-Brände.
Foto: APA/AFP/WAHYUDI

Was also tun, um zu verhindern, dass Moore zum Klimakiller werden? Einerseits könnte man die entwässerten Moore wieder in ihren natürlichen Zustand bringen. Dabei werden die Entwässerungsgräben geschlossen, und der Torf beginnt, langsam wieder Wasser zu fangen. Schon nach wenigen Jahren kehren Flora und Fauna von Mooren in ihrer Vielfalt zurück, der CO2-Ausstoß wird gestoppt, und das Moor beginnt, langsam wieder Kohlenstoff aufzunehmen. "Das wäre das Beste fürs Klima, aber schlecht für die Bauern", sagt Glatzel. Warum Bauern die Torfböden wieder der Natur überlassen sollen, sei schwer zu vermitteln – und es ist eine Kostenfrage.

Naturschutz als Verhängnis

Einige deutsche Bundesländer wollen Bürger und Unternehmen dazu bringen, Geld für den Moorschutz lockerzumachen. Die Wiedervernässungsprojekte finanzieren sie mit "MoorFutures", Zertifikaten, die pro Stück 40 bis 70 Euro kosten und eine Tonne CO2 ausgleichen. "Oft steht aber gar nicht der Kompensationsgedanke im Vordergrund", sagt Thorsten Permien, der in der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern für das Projekt zuständig ist. Die Moorzertifikate seien etwa auch ein beliebtes Weihnachtsgeschenk.

Auf wiedervernässten Mooren lässt sich sogar Landwirtschaft betreiben. In Paludikultur können Schilf, Rohrkolben und Torfmoos angebaut werden. Letzteres dient als Ersatz für Torf in Blumenerden, Schilf als umweltfreundliches Dämmmaterial.

Paludikultur wird von der EU aber nicht als Landwirtschaft anerkannt, weshalb ein Bauer, der auf Schilf umstellt, überlebenswichtige Förderungen verliert. Ironischerweise werden mancherorts Naturschutzgesetze zum Verhängnis: "Sobald auf einem Feld Schilf wächst, wird es sofort unter Schutz gestellt", sagt Joosten.

Eine andere Variante ist die Teilvernässung, bei der Emissionen reduziert und weiter normale Landwirtschaft betrieben werden kann – allerdings mit weniger Ertrag. "Es würde alles ein bisschen teurer werden", sagt Glatzel. Den Mooren und dem Klima täte es gut. (Philip Pramer, 3.3.2020)