Robert Finster als Sigmund Freud (links) und Georg Friedrich als Ermittler Alfred Kiss.

Foto: ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/Jan Hromádko

"Freud"-Regisseur Marvin Kren (Mitte).

Foto: ORF/Jan Hromádko

Unter Hypnose führt der Nervenarzt die ältere Frau an die Urszene ihres Traumas zurück. Ihre Tochter wurde auf einer Straße von einer Kutsche totgefahren, die Warnschreie haben das Unglück nicht verhindern können. Seitdem ist sie verstummt. Gelingt es, sie wieder zum Sprechen zu bringen? "Sie kennan's jo net!", ruft sie plötzlich und reißt die Augen auf. Das Setting entpuppt sich als längere Probe für eine Täuschungsaktion, mit der ein gewisser Sigmund Freud an der Universität den Kollegen seine Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte.

Freud als Scharlatan, als Betrüger? Mit dieser überraschenden Volte beginnt Marvin Krens neue Serie. Am Montagabend haben die ersten drei Folgen von Freud die Berlinale Series eröffnet (ab 15. März bereits im ORF). Freud, der Vater der Psychoanalyse, ist in dieser ersten Koproduktion des ORF mit dem Streamer Netflix zwar immer noch der Pionier der Durchdringung der menschlichen Psyche, er hat aber auch noch mit anderen Problemen zu kämpfen. 1886 ist der vom Newcomer Robert Finster verkörperte Titelheld nämlich keineswegs anerkannt, vielmehr wird er ob seiner unkonventionellen Methoden verhöhnt und bekämpft. Dass er notfalls nebst Kokain auch zu Tricksereien neigt, um Erkenntnisse zu gewinnen, ist nur eine der originellen Wendungen des Drehbuchs von Benjamin Hessler, Stefan Brunner und Kren.

Das verrufene Wien der Jahrhundertwende

Mit einer dialogorientierten Therapeutenserie im Stil von In Treatment hat diese Serie so wenig zu tun wie mit David Cronenbergs kühlem Hysteriedrama Eine dunkle Begierde. Freud ist zwar der Titelheld, aber die eigentliche Hauptrolle hat das verrufene Wien der Jahrhundertwende selbst: ein Ort der Grenzüberschreitung und Dekadenz, mit bizarren Seancen in vornehmen Salons und übel misshandelten Wiener Mädln, die halbtot in Zinshäusern aufgefunden werden.

Dass diese Welt des Aberglaubens im Übergang zur Moderne Freud beflügelt hat, ist Krens zentrale Idee. Der Regisseur, auf dessen Konto nicht nur die Gangsterserie 4 Blocks, sondern auch Horrorfilme wie Rammbock und Blutgletscher gehen, ist für solche gleichermaßen grellen wie morbiden Töne, für diesen kolportagehaften Zugang der richtige Mann.

Das wiederkehrende Motiv eines nackten, schmierig-blutigen Unholds, dessen mörderischer Einfluss offenbar nicht auf eine Person beschränkt ist, taucht früh in der Serie auf. Ein Monster, das auch die Triebwelt, die unbewussten, ungehemmten Regungen personifiziert, die Freud in die Sprache übertragen will.

Einer der Brennpunkte ist das Haus des ungarischen Aristokratenpaars Sophia und Viktor Szápáry (Anja Kling, Philipp Hochmair), das sich mit auf Hypnose und Magie ausgerichteten Spektakeln Einfluss auf höhere Kreise sichern will. Mit Fleur Salomé (Ella Rumpf), die dort als Medium wie eine Leibeigene gehalten wird, spannt die Handlung eine Brücke zum ambitionierten Freud, der überall nach einem Fall und damit nach der Möglichkeit der Verfeinerung seiner Techniken sucht.

Im Außendienst

Freud ist in dieser Serie ein Forscher im Außendienst, also überall, nur selten in der Arztpraxis zu finden. Auch wenn die erzählerischen Zusammenführungen mitunter etwas grob gestrickt erscheinen, die Lust, mit der das Triviale mit dem Tiefgründigeren verknüpft wird, ist durchaus ansteckend. Einer der Vorzüge der Serie ist das wienerische Idiom, das nicht eingeflacht wurde. Bei den beiden Polizisten, die mysteriösen Gewaltakten auf der Spur sind, schlägt es am deutlichsten durch.

Vor allem Georg Friedrich gelingt als Alfred Kiss, eine grobschlächtige, von Hass auf die Aristokratie getriebene Figur (im Schimanko-Look mit Glatze und Schnurrbart), eine äußerst eindringliche Vorstellung. Nicht der gesamte Cast bewegt sich mit derselben darstellerischen Sicherheit durchs Geschehen.

Das Gespann aus Polizist und Freud, der zumindest in den ersten Folgen immer mehr in die Rolle des Detektivs hineinfindet, bildet auch das dramatische Rückgrat der Serie. Der eine will aus dem Wildwuchs seines Metiers hinaus und nimmt's oft zu privat, der andere will den Leuten den Irrglauben an dunkle Kräfte austreiben.

Im Detail mag bei Freud nicht alles handwerklich stimmig erscheinen. Die größere Vision jedoch, den Erforscher der Psyche als Popikone in einer derben Geisterbahnfahrt im Dienste der Aufklärung durch Wien zu schaukeln, sie stimmt. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 25.2.2020)

Trailer

Netflix