Im Gastkommentar wenden sich die Anwälte Richard Soyer und Philip Marsch mit einer Petition an die Abgeordneten zum Nationalrat.

Julius Ritter von Glaser, der Schöpfer der Strafprozessordnung 1873, die in grundlegenden Regelungsinhalten heute noch in Geltung ist, meinte einst: "Erst der vom Richter völlig unabhängige Ankläger ermöglicht die volle Unabhängigkeit des Richters." Zugleich stellte er klar, dass die Staatsanwaltschaften (StA) nicht frei und unkontrolliert mit den Strafgesetzen schalten und walten dürfen. Damit war und ist die Fach- und Dienstaufsicht sowie die Kontrolle über Staatsanwälte gemeint. Diese dirigiert das Justizministerium, die Bundesministerin ist als Weisungsspitze und oberstes Exekutivorgan dem Parlament verantwortlich.

Politische Weisungsspitze

Seit langer Zeit ist dies ein großer Zankapfel in der Justizpolitik – nicht zuletzt deshalb, weil schon die bloße Möglichkeit und der damit verbundene Anschein politischer Einflussnahme rechtsstaatlich problematisch sind. Mit Inkrafttreten der umfassenden Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens 2008 haben Staatsanwälte mehr Macht und Einfluss auf den Gang eines Strafverfahrens erhalten, zugleich wurden die Verteidigungsrechte gestärkt. Die seither umso mehr gebotene Einräumung und Absicherung von staatsanwaltschaftlicher Unabhängigkeit lässt aber auf sich warten. Auch ausufernde Berichtspflichten und besonders gründliche Bearbeitungen auf der Weisungsstrecke zum und im Justizministerium sind für sich genommen wegen ihres entschleunigenden Effekts problematisch. Besonders bemerkenswert ist, dass sich im türkis-grünen Regierungsprogramm zur überfälligen Abschaffung oder Neutralisierung der politischen Weisungsspitze kein Wort findet.

Nun ist wieder einmal die ministerielle Weisungsspitze ins Gerede gekommen: "Höflichkeiten" gegenüber mächtigen politischen Playern mit Beschuldigtenstatus irritieren ebenso wie ein Hinterzimmergespräch mit Medienvertretern. Ein Schelm, wer darüber zu grübeln beginnt, ob Rechtsstaatlichkeit zu einer Worthülse verkommen und in den realpolitischen Überlegungen kein ernst genommener Eckpfeiler (mehr) ist.

Aussprache bei Kanzler Kurz mit den Ministerinnen Karoline Edtstadler und Alma Zadić.
Foto: STANDARD / Matthias Cremer

Langer Weisungsweg

Faktum ist: Es sind gerade die komplexen, grenzüberschreitenden Strafsachen, "an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht", welche als aufsehenerregende, sogenannte clamorose Verfahren einer Berichtspflicht nach Paragraf 8 des Staatsanwaltschaftsgesetzes unterliegen und regelmäßig Gegenstand von Berichtspflichten an und Weisungen der Oberbehörden sind. Und das sieht dann so aus:

Die StA berichtet an eine der vier Oberstaatsanwaltschaften (OStA). Die österreichweit zuständige Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien (WKStA) berichtet an die OStA Wien. Die OStAs berichten an das Justizministerium. Weisungen gehen dann denselben Weg hinunter, wobei das Ministerium die OStAs nicht übergehen darf, also den StA und der WKStA keine unmittelbare Weisung erteilen darf. Weisungen sind grundsätzlich schriftlich zu erteilen und zu begründen. Ein mehrfaches Auf und Ab im Weisungsweg kommt durchaus vor. Auch in Dienstbesprechungen können solche wesentlichen Weichenstellungen für ein Verfahren erfolgen. Das BMJ hat dem Parlament jährlich über Weisungen des BMJ in beendeten Verfahren zu berichten und diese somit zu veröffentlichen.

Ein Berichts(un)wesen

Die Generalprokuratur steht als höchste staatsanwaltschaftliche Behörde zwar außerhalb der Berichts- und Weisungshierarchie, ihr Behördenleiter ist aber ex lege Vorsitzender des bei ihr angesiedelten Beirats für den ministeriellen Weisungsbereich. Auch dieser Weisungsrat steht außerhalb der formellen Hierarchie, ihm kommt aber ein qualifiziertes Anhörungsrecht zu. Trägt die ministerielle Weisungsspitze der Äußerung des Weisungsrats nicht Rechnung, ist dieser Umstand samt Begründung an das Parlament zu berichten und somit zu veröffentlichen, der Weisungsrat kann seine Äußerung aber auch aus eigenem Antrieb veröffentlichen.

Es ist zwar von den StA nicht jeder einzelne Schritt, sondern nur noch Neuralgisches zu berichten. Dass das Berichts(un)wesen aber nicht zur Verfahrensbeschleunigung beiträgt, liegt auf der Hand. Durch das – oftmals erstaunlich lange – Abliegen von Akten am Weisungsweg und im Ministerium ist schon so mancher Beschuldigter mürbe geworden. Das sind unvertretbare Verletzungen des Beschleunigungsgebots und somit schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen.

Zum Nachhören: Warum der Bundeskanzler die Justiz angreift

Petition an Abgeordnete

Dazu kommt, dass eine politische Weisungsspitze clamorose Fälle zumindest mit dem Anschein politischer Einflussnahme befleckt. Die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union hat kürzlich das Selbstverständliche festgestellt: Eine Anklagebehörde, die "unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen" ist, kann nicht als unabhängige Justizbehörde gelten. Da hilft es auch nicht, dass die Verfassung Staatsanwälte seit 2014 als Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit definiert.

Wir wollen nun annehmen, dass der Bundeskanzler und seine ebenso unzuständige Europa-Kanzleramtsministerin in ihrer Kritik auf den Ausschluss politischer Einflussnahme und Reduktion der Verfahrensdauer abzielten. Das ließe sich nüchtern betrachtet ohne großen Aufwand und mit Kostenersparnis realisieren. Und wenn es die Regierung nicht hinkriegt, könnte ja auch ein Initiativantrag aus dem Kreis der Nationalratsabgeordneten zumindest einmal einen Anker in der politischen Diskussion setzen:

  • Im Ministerium verbleibt ein generelles Weisungsrecht in Form von Erlässen.
  • Für einzelfallbezogene Weisungen werden jedoch aus dem Kreis von Staatsanwälten und Richtern die Leiter der Oberstaatsanwaltschaften als oberste Weisungsspitze vom Parlament für sechs Jahre bestellt und können einmal wiederbestellt werden.
  • Für einen Weisungsrat besteht keine Notwendigkeit mehr.
  • Das Justizbudget wird entlastet. Die Einsparungen werden für eine bessere Ausstattung der Justiz verwendet.

Die Dauer clamoroser Ermittlungsverfahren ließe sich so leicht und kostensenkend um ein Viertel, in Einzelfällen deutlich mehr, verkürzen. Damit wäre eine – oftmals als Flaschenhals kritisierte – Weisungsebene eliminiert, ohne dass die grundsätzliche politische Lenkungsbefugnis infrage gestellt würde. Derartige Ermittlungsverfahren könnten rascher und effektiver erledigt werden. Das muss nicht immer Einstellung bedeuten. Daher fürs Poesiealbum: "Be careful what you wish for – it just might come true." (Richard Soyer, Philip Marsch, 25.2.2020)