Jedes Jahr beklagen wir ihn wieder, den Equal Pay Day. Dieses Jahr fällt er in Österreich auf den 25. Februar und markiert damit die Anzahl der Tage, die Frauen unbezahlt arbeiten müssen, um den gleichen Jahreslohn wie die Männer zu erzielen. Im Gastkommentar spricht sich Gudrun Sander dafür aus, in unseren Köpfen mal wieder mit alten Bildern aufzuräumen.

Wenn Lohnunterschiede aufgrund des Ausbildungsniveaus, der Dienstjahre oder der Hierarchieebenen nicht plausibel erklärt werden können, bleibt die Vermutung, dass bewusste oder viel häufiger unbewusste Lohndiskriminierung vorliegen könnte. Wie und warum entsteht sie?

Wir alle haben unreflektierte Annahmen darüber, was wir als "normal" empfinden, sei es in der Partnerschaft, Familie, im Unternehmen oder in der Gesellschaft.
Foto: APA / AFP / Stefan Wermuth

Unbewusste Normalitätsvorstellungen prägen unser Alltagshandeln. Wir alle haben unreflektierte Annahmen darüber, was wir als "normal" empfinden. Dazu gehört selten, dass Frauen die Haupternährerinnen der Familien sind, dass Männer den Großteil der unbezahlten Betreuungsarbeit übernehmen, dass Frauen Tunnelbaustellen leiten oder über milliardenschwere Investitionen entscheiden. Wer was macht und wofür zuständig ist, wissen dann schon Kinder ziemlich genau. Abweichendes Verhalten von diesen Normen irritiert uns folglich und fordert uns in Beurteilungssituationen, wie etwa in einem Rekrutierungsprozess, heraus.

Unterschiedliche Rollenerwartungen

Frauen und Männer unterliegen in unserer Gesellschaft unterschiedlichen Rollenerwartungen. Diese führen dazu, dass gleiches Verhalten unterschiedlich wahrgenommen wird. Eindrückliche Experimente zum Beispiel der Yale University 2013 zeigten, dass gleiche Lebensläufe und sprachlich völlig identische Interviewantworten zu einer schlechteren Einschätzung von Frauen durch die Rekrutierenden führten. Kommuniziert eine Frau direkt, wirkt sie auf uns aggressiv. Bei einem Mann nehmen wir das gleiche Verhalten als durchsetzungsstark wahr. Kompetenzen und Belastbarkeit werden bei Frauen unbewusst häufiger angezweifelt als bei Männern. Wir alle unterliegen diesen Wahrnehmungsverzerrungen, die uns nicht wirklich bewusst sind. Bei der Beurteilung von Lebensläufen und bei Interviews sind Managerinnen und HR-Personen daher in ihrer Reflexionsfähigkeit gefordert, sonst führt ein Stereotyp rasch zu tieferen Einstiegslöhnen oder weniger Beförderungen.

Tatsächlich zeigt eine Universum-Studie von 2018, dass männliche Studienabsolventen höhere Löhne fordern als ihre weiblichen Kollegen. Von Frauen wird oftmals erwartet, dass sie sympathisch sind und an andere denken. Wenn Frauen dann für sich selbst eintreten, haben sie das Gefühl, dieser Geschlechternorm nicht zu entsprechen und schlechtere Karriereaussichten zu haben, weshalb sie lieber nicht über den Lohn verhandeln. Hannah Riley Bowles von der Universität Harvard konnte mithilfe von Experimenten nachweisen, dass Vorgesetzte eine Frau, die mehr Lohn möchte, automatisch als weniger sympathisch und ihre Ansprüche als übertrieben empfinden. Es ist also ein Balanceakt, wie dezidiert und nachdrücklich Frauen den Lohn verhandeln sollen. Immerhin positiv zu vermerken ist, dass junge Frauen bei Lohnverhandlungen erfolgreicher sind als ältere. Unter 40-Jährige können die gleichen Lohnerhöhungen durchsetzen wie gleichaltrige männliche Kollegen. Normen ändern sich also im Zeitverlauf. Wie können wir den Prozess beschleunigen?

Transparenz hilft

Eine Studie der Harvard Kennedy School zeigt, dass die Lohnunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Kandidaten annähernd verschwinden, wenn sie über die Lohnbänder Bescheid wissen. Wenn also Transparenz herrscht und der Verhandlungsspielraum bekannt ist, erzielen Frauen und Männer bei Lohnverhandlungen ähnliche Resultate. Am einfachsten und kostengünstigsten ist der eigene Perspektivenwechsel. "Hätte ich einem jungen Vater den gleichen Lohn vorgeschlagen wie der jungen Mutter?" Fragen wie diese helfen, unseren eigenen Wahrnehmungsverzerrungen auf die Spur zu kommen und gleiche Löhne schon beim Einstieg zu gewährleisten. Damit können wir dazu beitragen, dass der Equal Pay Day dann auch für die Frauen zu Silvester ist. (Gudrun Sander, 25.2.2020)