Frachtschiffe transportieren riesige Mengen an Waren über die Ozeane. Entsprechend groß ist ihr Treibstoffverbrauch.

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Von seinem Eckbüro im dritten Stockwerk blickt Philippe Louis-Dreyfus auf die Seine, hier im Pariser Vorort Suresnes. Sein innerer Horizont geht aber viel weiter – über die Weltmeere. "Ich denke als Erdenbürger", sagt der weißhaarige Mann, dem man seine 74 Jahre nicht ansieht. Der Reeder, der in seinem Büro gerne ein gebrauchtes Fallschirmjäger-Käppi oder Bilder von seiner Rugbyzeit zeigt, würde sich nicht als "Grünen" bezeichnen. Aber man spürt es förmlich, der oberste Kapitän von gut hundert Schiffen auf allen Ozeanen will zur Erhaltung des Planeten beitragen.

Was die Verantwortung seiner Branche anbelangt, spricht der freundliche Vorsteher der drittgrößten französischen Reederei Louis-Philippe Armateurs (LDA) Klartext. Etwa, dass der Treibstoff, den 60 000 Frachter rund um die Erde benützen, äußerst schmutzig bleibt. Denn er gehört zur tiefsten Kategorie raffinierten Öls, und der geschwängerte Rauch wird ohne Emissionsfilter in die Luft abgegeben.

Philippe Louis-Dreyfus will die Frachtschifffahrt nachhaltiger machen.
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Bisher, so Louis-Dreyfus, habe sich die Branche mit dem Argument verteidigt, dass sie pro Gütertonne viel weniger CO2 ausstoße als andere Transportmittel. Das stimmt aber nur, weil Flugzeuge oder Lastwagen viel kleinere Gewichtsmengen verfrachten und entsprechend hohe Vergleichszahlen aufweisen. In absoluten Zahlen gehörten die Ozeandampfer zu den schlimmsten Dreckschleudern des Planeten. Allein die europäischen Schiffe produzieren laut EU-Statistik mehr CO2 als ganz Tschechien. Europas bedeutendste Reederei MSC liegt diesbezüglich noch vor der größten europäischen Fluggesellschaft Ryanair.

Geschwindigkeit runter

Aber Philippe Louis-Dreyfus weiß Abhilfe. "Die von unseren Frachtschiffen bereits praktizierte Lösung ist ganz einfach", führt er aus; "wir senken die Geschwindigkeit auf den internationalen Routen um etwa zwei Knoten. Das klingt nach wenig, doch die Einsparung ist gewaltig." Der Reeder aus Leidenschaft zeigt dies am Beispiel jener Frachtschiffe, die wegen ihrer Ausmaße nicht durch den Suez- oder Panamakanal passen; sie müssen Afrika via das Kap der guten Hoffnung umfahren und heißen deshalb "capesize" (wörtlich: Kap-Größe). 1700 dieser 300 Meter langen Ungetüme verkehren weltweit. Sie transportieren unverpackte Rohstoffe wie Eisenerz – fast 70 Prozent des verschifften Welthandels.

Bei einer normalen Geschwindigkeit von 15 Knoten (27 km/h) verbraucht ein solcher 180.000-Tonner 55 Tonnen Schweröl am Tag. Bei zwölf Knoten fällt der Konsum unter die Hälfte, nämlich 25 Tonnen, rechnet Louis-Dreyfus vor. "20 Prozent langsamer bedeutet unter dem Strich 55 Prozent weniger Schadstoffe.

Langsamer und billiger

Das Problem ist natürlich der Zeitverlust. Er liegt im Rahmen, findet Louis-Dreyfus: "Von Brasilien nach Japan wäre ein Schiff nicht 25, sondern 29 Tage unterwegs. Die Einsparung an Treibstoff, dem mit Abstand teuersten Posten der Transportkosten, würde die zeitlichen Mehrkosten mehr als aufwiegen." Die Idee ist nicht neu. Nach der Finanz- und Asienkrise, als die Frachtpreise fielen und der Ölpreis stieg, drosselten die großen Reedereien die Geschwindigkeit ihrer Schiffe, um billiger zu transportieren. "Da die ganze Branche zu dieser Maßnahme griff, mussten sich die Kunden wohl oder übel auf die längeren Transportzeiten einstellen", erinnert sich Louis-Dreyfus. "Und es gelang ihnen problemlos – weil der erhöhte Zeitaufwand für alle galt."

Für Louis-Dreyfus ist deshalb eine weltweit verbindliche Lösung nötig. Anordnen kann sie nur die internationale Schifffahrtsorganisation IMO. Als Vorsitzender des weltweiten Branchenvereins Bimco bis 2017 machte Louis-Dreyfus Stimmung für sein Projekt. Containerschiffe sind davon ausgenommen: Sie stehen unter Zeitdruck und haben schon mit Tiefstpreisen zu kämpfen – der Transport eines Fernsehgeräts von Tokio nach Rotterdam kostet heute gerade mal einen Euro!

Ein Tanker vor Saudi Arabien. Riad ist laut Louis-Dreyfus wenig an einer grüneren Schifffahrt interessiert.
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"Entgegen einer verbreiteten Meinung machen die Containerschiffe allerdings weniger als 30 Prozent des internationalen Frachtverkehrs aus", relativiert Louis-Dreyfus. Doppelt so viel entfällt auf die Schüttguttransporter, die ihre Ware direkt in ihre Bäuche laden, ob sie nun Capesize-Größe aufweisen oder nicht.

Ausnahmen für Passagierschiffe

Ausgenommen wären auch Passagier- und Kreuzfahrtschiffe, denn sie folgen eigenen Zeitplänen. Aber sie fallen weniger ins Gewicht, und Louis-Philippe glaubt, dass sie dem Beispiel der Rohstofffrachter folgen würden. Und der öffentlichen Meinung. Ende des letzten Jahres gewann der Franzose die Reeder Griechenlands – die Nummer eins der internationalen Handelsschifffahrt – für seine Initiative. Das war eine Wende. Eigentlich sollte nun alles rasch gehen: Im März könnte die IMO bei ihrer nächsten Tagung eine generelle Einschränkung der Geschwindigkeit oder zumindest der Motorleistung anordnen.

Doch es gibt Widerstand von mächtigen Staaten wie Brasilien, Saudi-Arabien und den USA. Louis-Dreyfus sagt auch, warum: Brasilien befürchtet einen Wettbewerbsnachteil, weil sein Eisen eine viel längere Strecke nach China oder Japan zurücklegen muss als etwa die Konkurrenz aus Australien; die Saudis sind zu stark auf ihre Öltanker angewiesen, um sie zu bremsen. "Und die Amerikaner hintertreiben unter Donald Trump sowieso jede Maßnahme gegen die Klimaerwärmung", meint der Franzose, seinen Ärger nicht verhehlend.

Deshalb glaubt er nicht, dass die IMO schon im März eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Frachtrouten verkündet. Louis-Dreyfus will auf jeden Fall weiterkämpfen. Denn momentan gebe es keine Alternative, meint er: Großsegel oder Sonnenkollektoren seien ineffizient, Gas- und Wasserstoffantrieb noch lange nicht einsatzfähig. Deshalb findet er: Je schneller die Welttemperaturen steigen, desto langsamer sollte die Welthandelsflotte fahren. Und zwar sofort. (Stefan Brändle aus Suresnes, 25.2.2020)