Meister Makoto arrangiert seine Blumen für Kunstwerke ebenso wie für die Geschäfte von Hermès oder Fendi oder die Modeschauen von Dries Van Noten.

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Die Lieferung vom Blumengroßmarkt kommt dreimal die Woche. Zarte Blüten, die ihre Köpfe emporrecken: Dahlien, Hortensien, Lilien, Chrysanthemen – und Dutzende anderer Arten, die das gemeine Auge noch nie gesehen hat. Azuma Makoto trägt sie behände in einen auf zehn Grad temperierten Kühlschrank, der das Wachstum in Grenzen hält und die Pflanzen länger frisch.

Die Beleuchtung ist natürlichem Sonnenlicht nachempfunden. Das Atelier von Azuma Makoto im Tokioter Stadtteil Aoyama ist ein Raum mit 20 Grad Raumtemperatur und 40 Prozent Luftfeuchtigkeit. An den Wänden Beton, kein Chichi, ein Tisch aus Edelstahl. "Ich lege großen Wert darauf, dass es angenehm für die Blumen ist", sagt der Japaner. Sie sind der Rohstoff seiner Arbeit.

Am Nachmittag schlafen die Pflanzen

Azuma Makoto kreiert mit den Blumen in sich gekehrte Kunstwerke, die stille Momente voller Zerbrechlichkeit zeigen. Seine Bilder wirken wie Werke einer anderen Zeit, zuweilen erinnern sie an flämische Barockmalereien. Seit über zehn Jahren macht er das hier schon, schlägt jeden Morgen um fünf Uhr auf, selbst am Wochenende, 365 Tage im Jahr – "die Blumen nehmen sich ja auch nicht frei".

Am Vormittag ist die Arbeit beendet, am Nachmittag schlafen die Pflanzen. Die Pflanzen mögen es, wenn man frühmorgens mit ihnen arbeitet, sagt er, "und sie stehen auch im Mittelpunkt". Am Tisch neben ihm stehen zwei Mitarbeiterinnen und falten Blätter einer Schusterpalme, die sie zuvor mit einem Skalpell seziert haben, in kunstvolle Formen.

Ob auf dem Meeresgrund, in der Stratosphäre oder in der Wüste: Makoto will mit seinen "Arrangements" Pflanzen in einen Kontext bringen, der unser ästhetisches Bewusstsein herausfordert.
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"Ich bin häufig in Europa, wo meine Werke als neue Art des Ikebana bezeichnet werden", sagt er. "Das ist es aber nicht." Was dann? "Ikebana dient primär der Darstellung der eigenen Gefühlswelt. In meiner Arbeit geht es darum, mit der Blume etwas auszudrücken, sie vor immer neue Herausforderungen zu stellen und dadurch der Pflanze einen neuen Wert, eine neue Qualität zu geben."

Mit Anfang 20 heuerte er bei einem Floristen an – und entdeckte, dass er Blumen wie Musik nutzen kann: als Kunstform, als Mittel, sich selbst auszudrücken und stille Momente der Zerbrechlichkeit zu zeigen.

Lange Warteliste

Heute ist er 45 und sichtet Pflanzen in aller Welt, besucht botanische Gärten und begleitet Forscher auf Expeditionen bis in die Tiefen des Urwalds. 2002 gründete er Jardin des Fleurs, ein Geschäft irgendwo zwischen Haute-Couture-Blumenladen und Botaniklabor, das keine Stereotypen liefert, sondern kunstvoll arrangierte Blumenfeuerwerke.

10.000 Yen kostet ein mittelgroßes Gesteck, das sind etwa 70 Euro, und die Warteliste ist lang – mehr als 20 Stück produzieren er und seine Mitarbeiter nicht am Tag. Seine "Botanischen Skulpturen" sind Feste der Vergänglichkeit, sie reisen mittlerweile von New York nach Paris, nach Düsseldorf, nach Mailand, nach Schanghai und Mexiko.

Als er für Dries Van Notens Frühjahr/Sommer-Kollektion 2017 fast zwei Dutzend Bouquets in riesige, strahlende Eisblöcke einfror, schaute die ganze Modewelt auf ihn.
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In der Mode, wo die Blume ein wiederkehrendes Motiv ist, hat er mit seiner Arbeit über die Jahre viele Freunde gewonnen. Ob er für Salvatore Ferragamo ganze Wände begrünt, für Hermès Blumen in Gläser abfüllt oder einen ganzen Baum in einen Fendi-Flagshipstore verpflanzt: Der Prozess fängt immer gleich an.

"Ich setze mich mit der Geschichte der Marke auseinander und dechiffriere Farben und Codes. Ich schaue mir die aktuellen Kollektionen an, und erst wenn ich alle Zusammenhänge verstehe, kann ich ein darauf abgestimmtes Gesamtbild schaffen."

Als er für Dries Van Notens vor ein paar Jahren fast zwei Dutzend Bouquets in riesige, strahlende Eisblöcke einfror, schaute die ganze Modewelt auf ihn. "Das war sehr aufwendig", sagt er bedächtig und fügt an, wie schwierig die Suche nach einem geeigneten Partner war.

"Man kann Blumen nicht einfach hinlegen und einfrieren, so geht das nicht." Er fand eine Firma in Belgien, dort aber gab es nicht genügend Schnittblumen. Allein die Suche nach den richtigen Pflanzen im holländischen Blumengroßmarkt dauerte mehr als eine Woche.

Meeresgrund und Arktis

"Der Strauß wird sehr langsam von unten nach oben gefroren, es kommt auf die richtige Geschwindigkeit an und auf die Wassertemperatur." Insgesamt dauerte es drei Wochen, bis alles stimmte – und nur 30 Stunden, bis alles wieder geschmolzen war. Gerade genug Zeit, dass Van Noten seine Models mit Leinenkleidern in Blumendrucken zwischen den Blöcken hindurchschicken konnte. Viele Mitbewerber haben seither versucht, Azuma Makotos Installation zu kopieren. Geschafft hat es keiner.

Ein Bonsai in einem ungewohnten Kontext.
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Azuma Makoto hat sich längst anderen Großprojekten zugewandt. 50 Jahre alten Bonsais in Metallrahmen etwa, die er um in die ganze Welt schickt, in die Arktis, 8000 Meter tief auf den Meeresgrund oder 30.000 Meter hoch in die Stratosphäre.

"Man setzt also eine Pflanze in ein Umfeld, in dem normal keine Blumen wachsen, in unfruchtbaren Raum, und schafft so einen Kontext, der so ungewohnt ist für das Auge, dass unser ästhetisches Bewusstsein herausgefordert wird und wir das Leben ganz neu erfassen können."

365 Tage im Jahr arbeitet Azuma Makoto an seiner Kunst mit Pflanzen. Schließlich haben die ja auch nicht frei, wie der Künstler meint.
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Oft sind Bilder das Einzige, was von seiner Arbeit bleibt. "Was zählt, ist der Moment: Auch das Vergängliche, leicht Melancholische ist eine unbedingte Qualität der Pflanze. Viele Menschen verstehen das nicht." Anders als in der Malerei oder Bildhauerei interessieren ihn nicht Momente, die bleiben, sondern jene, die vergehen.

Diese Art des Denkens ist es, was andere an ihm fasziniert. "Meine Aufgabe ist, der Pflanze ein erfülltes Leben zu ermöglichen, wenn sie es schon für mich lässt", sagt Azuma. Seine Werke hat er in mehreren Enzyklopädien festgehalten, "als Huldigung an das kurze Leben jeder einzelnen Blume".

Japanische Ästhetik

Mit dieser Zurschaustellung berühre man viele Menschen tief in ihrem Inneren, ist er sich sicher, auch wenn es Unterschiede gebe: "Europäer haben zu Pflanzen ein eher freundliches Verhältnis." In Japan ist das anders, sagt er. "Da sind Blumen höher gestellt, fast göttlich, im shintoistischen Sinne. Die Verbundenheit mit der Natur ist nicht die gleiche wie im Westen. In Japan sind Pflanzen Wesen, zu denen man mit einer gewissen Distanz aufblickt."

Seine Arbeit folgt einem Grundprinzip der japanischen Ästhetik – die tiefe Traurigkeit über die vergängliche Schönheit und zugleich das große Glück, ihr Zeuge gewesen zu sein. "Mono no aware" heißt das in Japan: die Seele der Dinge. (Florian Siebeck, RONDO, 18.2.2022)