Der Magen-Darm-Trakt ist über den Vagusnerv direkt mit dem Gehirn verbunden.

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Wenn wir etwas essen, helfen uns Geruch und Geschmack der Speisen bei der Vorbereitung auf die Verdauung. Signale aus dem Magen liefern dabei eine wichtige Rückmeldung an das Gehirn, die wir als Sättigung empfinden. Das können zum Beispiel der Nährwert des Essens oder die Ausdehnung des Magens durch das Volumen des Inhalts sein. Der Vagusnerv spielt bei dieser Kommunikation zwischen Gehirn und Körper eine zentrale Rolle.

Wissenschaftler am Uniklinikum Tübingen konnten jetzt zeigen, dass man die Aktivität des Magens über eine Hirnstimulation ausgehend vom Vagusnerv beeinflussen kann. Viele grundlegende Prozesse des Körpers wie die Nahrungsaufnahme werden über Regionen im Hirnstamm mitgesteuert. Um eine experimentelle Steuerung dieser Vorgänge bei gesunden Personen nachzuweisen, stimulierten die Tübinger Forscher gezielt den Vagusnerv der Probanden.

Die Stimulation des Vagusnervs über ein implantiertes Gerät wird schon länger bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt wird. Seit mehreren Jahren gibt auch Geräte, mit denen der Vagusnerv von außen über die Haut stimulieret werden kann. Für diese Stimulation wird eine Elektrode so am Ohr platziert, dass bereits ein geringer Stromfluss genügt, um einen Ast des Vagusnervs anzuregen. Dieser Ast des Vagusnervs verläuft bis in den Hirnstamm.

Stimulierende Experimente

Die Wirkung der Vagusnerv-Stimulation auf den Energiestoffwechsel wurde für die Studie durch zwei unterschiedliche Methoden untersucht: Zum einen durch indirekte Kalorimetrie, die es ermöglicht, den Grundumsatz an Energie festzustellen. Der Grundumsatz drückt aus, wie viele "Kalorien" wir am Tag verbrennen und kann genutzt werden, um den eigenen Energiebedarf exakt zu bestimmen.

Außerdem wurde ein Elektrogastrogramm gemessen, um die Aktivität des Magens zu untersuchen. Zur Unterstützung der Verdauung zieht sich der Magen in einer bestimmten Frequenz zusammen, die von Schrittmacherzellen des Magen-Darm-Trakts vorgegeben wird. Muss Nahrung verdaut werden, so steigt die Frequenz und damit auch die Bewegung des Verdauungstrakts. Wird die Verdauung nicht benötigt, so sinkt die Frequenz wieder, um Ressourcen für andere Prozesse freizugeben. Die Aktivität der Schrittmacherzellen erzeugt wiederum an der Haut geringe elektrische Signale, die mit auf der Haut aufgeklebten Elektroden gemessen werden können, ähnlich wie bei einem EKG die Herztätigkeit mittels Elektroden aufgezeichnet wird.

Um die Auswirkungen der Vagusnerv-Stimulation zu prüfen, wurden alle Probanden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen untersucht. An beiden Tagen wurde vor dem Beginn der Stimulation der aktuelle Zustand des Energiestoffwechsels bestimmt. Es wurde zufällig festgelegt, an welchem der beiden Tage die Teilnehmer eine Stimulation am Vagusnerv erhielten und wann eine andere Region am Ohr stimuliert wurde, die den Vagusnerv nicht beeinflusste. Die Stimulation folgte im Anschluss an die Messung des Ausgangszustands, um die Veränderungen durch die Stimulation direkt zu messen und sie zwischen Untersuchungstagen vergleichen zu können.

Körpereigene Signale vortäuschen

Das Ergebnis der Studie: Als Folge der Vagusnerv-Stimulation wurde eine deutliche Verlangsamung der Schrittmacherzellen des Magens beobachtet, was zu einer langsameren Verdauung führen sollte. Auf den Grundumsatz hatte die Stimulation keine akute Auswirkung. Die Ergebnisse zeigen, dass man die Aktivität des Magen über eine Hirnstimulation ausgehend vom Ohr beeinflussen kann, wohingegen der Grundumsatz an Energie vermutlich erst über einen längeren Zeitraum und in Wechselwirkung mit der Verdauung verändert werden kann.

Die Schaltstelle zwischen Körper und Gehirn ist wichtig für unsere Gesundheit, da Veränderungen in der Wahrnehmung von körpereigenen Signalen häufig ein Merkmal von psychischen Störungen wie Depressionen oder Essstörungen sind. Zukünftig könnte es denkbar sein, mit einem Stimulationsgerät körpereigene Signale "vorzutäuschen", beispielsweise, um dem Körper bei leerem Magen zu signalisieren, dass Nahrung vorhanden ist.

Diese Nachahmung von körpereigenen Signalen könnte bei der Behandlung von Essstörungen helfen, da diese in den Symptomen auch oft eine enge Verknüpfung aus Ernährung, Energiestoffwechsel und Stimmung zeigen. "Unser Ziel ist es, zu verstehen, wie man dieses Tor zum motivationalen System des Gehirns für mögliche Therapien am besten nutzbar machen kann", sagt Studienleiter Kroemer vom Uniklinikum Tübingen. (red, 26.2.2020)