Heinrich von Siebold (2. v. r.) und Erzherzog Franz Ferdinand (Mitte) in Japan 1893.
Foto: KHM-Museumsverband

Er war gerade einmal 17 Jahre alt, als er 1869 von Deutschland nach Japan ging, um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sein Vater, der Arzt und Japanforscher Philipp Franz von Siebold, war wenige Jahre zuvor gestorben, und Heinrich musste die Schule aus Geldmangel abbrechen.

In Japan hatte der bekannte Mittler zwischen den Kulturen seinen beiden Söhnen zumindest einen guten Namen hinterlassen. Der ältere, Alexander, war bereits mit 15 zum offiziellen Dolmetscher des britischen Konsulats in Edo (dem heutigen Tokio) ernannt worden, und so versuchte auch Heinrich sein Glück in diesem fernen, geheimnisvollen Land. Die vom Vater ererbten Beziehungen stellten sich als brauchbare Starthilfe heraus, und so wurde der sprachbegabte junge Mann tatsächlich bald von der neugegründeten österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Edo als Übersetzer eingestellt.

Noch ein Bild des Sammlers: Heinrich Freiherr von Siebold in japanischer Tracht, 1897.
Foto: Siebold-Archiv Burg Brandenstein

Seine abgebrochene Schullaufbahn war offenbar kein Hindernis, allerdings sollten ihm die höheren Ränge im diplomatischen Dienst deshalb sein ganzes Leben lang verschlossen bleiben. Immerhin wird Heinrich von Siebold der Freiherrentitel verliehen, als er dem Kaiser Franz Joseph nach fast 20 Jahren in Japan einen großen Teil seiner japanischen Sammlung für das k. u. k. Naturhistorische Museum schenkt. Im Weltmuseum Wien können nun rund 200 Objekte dieser beeindruckenden Sammlung aus der sogenannten Meiji-Zeit besichtigt werden.

Wandlung zur Großmacht

"In der von 1868 bis 1912 dauernden Meiji-Periode wandelte sich Japan vom Feudalstaat zur modernen Großmacht, die sich erstmals der Welt öffnet", erklärt die Ostasien-Kuratorin Bettina Zorn. "Diese Zeit des Übergangs vom Shogunat zu einer neuen Politik der Öffnung, aber auch eines rigiden Nationalismus brachte tiefgehende gesellschaftliche Umwälzungen mit sich."

Viele Kult- und Gebrauchsgegenstände der Shogun-Zeit wurden nicht mehr benötigt und konnten von Sammlern wie Heinrich von Siebold erworben werden. Die Wiener Ausstellung umfasst Objekte aus allen Bereichen des Alltagslebens: Keramik, Textilien, religiöse Objekte, Musikinstrumente, landwirtschaftliche Geräte etc. Besonders beeindruckend ist eine über zwei Meter hohe vergoldete Buddha-Skulptur.

Statue der Buddha Amitabha Trinität aus der Muromachi-Periode (15 bis 16. Jahrhundert).
Foto: KHM-Museumsverband

"Der Wechsel von der Edo- zur Meiji-Periode brachte in religiöser Hinsicht eine dezidierte Bevorzugung des Shintoismus gegenüber dem Buddhismus mit sich", so Bettina Zorn. "Viele buddhistische Tempel wurden geschlossen oder verloren ihre Anhänger und verfielen aus finanziellen Gründen."

Buddhistische Skulpturen, Malereien und Kultgeräte aus den Tempeln hat man zerstört, weggeworfen oder einfach billig verkauft. Genau in dieser historischen Umbruchphase kam Heinrich nach Japan und begann mit dem Aufbau seiner Sammlung.

Nur 25 Jahre war dieses Zeitfenster geöffnet, denn bereits in den 1890er-Jahren schaltete sich der von Europa inspirierte japanische Denkmalschutz in die heftigen Sammleraktivitäten der Ausländer ein und erschwerte beziehungsweise verhinderte fortan den Export japanischer Kulturgegenstände.

Ausgefallene Kreationen

In der Ausstellung des Weltmuseum Wien sind auch zahlreiche traditionelle Musikinstrumente zu sehen. Darunter einige ziemlich ausgefallene Kreationen wie etwa eine Brettzither aus dem 19. Jahrhundert. "Die japanische Musik war über Jahrhunderte stark von der chinesischen Tradition beeinflusst", berichtet die Kuratorin Bettina Zorn.

Teile der Sammlung ca. 1883 im Wohnsitz der Schwester von Heinrich von Siebold bei Ulm in Süddeutschland.
Fotos: Siebold-Archiv Burg Brandenstein

"Erst in der Meiji-Periode kamen dann auch europäische Musikstile und Instrumente wie etwa der Flügel oder die Geige nach Japan." Damit die Besucher einen Eindruck vom Klang dieser Zeit bekommen, werden in der Ausstellung Musikbeispiele zu hören sein.

Wie stark sich der politische und gesellschaftliche Wandel Japans im Stil unterschiedlichster Gebrauchs- und Kunstgegenstände niederschlägt, zeigt sich auch im Bereich der Keramik. So findet man beispielsweise deutlich von deutschen oder französischen Manufakturen beeinflusste Objekte.

Einfluss aus Europa

"Im Zuge von Weltausstellungen oder als Geschenke von europäischen Herrscherhäusern gewannen europäische Keramiken in Japan als Vorlagen an Bedeutung", erklärt Bettina Zorn. Und mit den Einflüssen aus Europa ändert sich allmählich auch der Geschmack der Japaner.

Duft- bzw. Schminkdose mit Deckel in Form des Glücksgottes Hotei vom Ende der Edo-Periode bzw. der frühen Meiji-Periode (Mitte bis spätes 19. Jahrhundert).
Foto: Siebold-Archiv Burg Brandenstein

Umgekehrt ließen sich aber auch die Europäer gern vom japanischen Kunsthandwerk inspirieren, das sie zum Beispiel auf der Weltausstellung 1873 in Wien zu sehen bekamen. An dieser in Europa ersten Präsentation der einstmals abgeschotteten Nation waren Heinrich und sein Bruder Alexander sehr aktiv beteiligt.

Heinrich von Siebold begleitete die japanische Delegation als Dolmetscher und knüpfte bei dieser Gelegenheit auch Kontakte zu den Wiener Museen. Zehn Jahre später organisierte er die erste Ausstellung seiner Sammlung in Wien. Heinrichs Angebot, diese dem österreichischen Staat zu verkaufen, wurde allerdings abgelehnt. Letztlich entschied er sich für eine Schenkung und die damit verbundene Verleihung des Adelstitels.

Hasamibako (eine Reisekiste) mit Schwert und Horn-Sauerklee- Rankenmuster aus der späten Edo-Periode (1600–1868).
Foto: KHM-Museumsverband

Die Weltabgeschlossenheit Japans war übrigens bereits vor der Öffnung des Inselstaats in Richtung Westen während der Meiji-Periode eine durchaus relative, wie die Ostasien-Kennerin und Sinologin Zorn betont. Immerhin sei die japanische Kultur jahrtausendelang sehr nachhaltig von der chinesischen beeinflusst worden: "Der Buddhismus etwa kam über Indien von China nach Japan, und auch allgemein als typisch japanisch Erachtetes wie Ikebana oder die Teezeremonie sind eigentlich chinesischen Ursprungs", erklärt Bettina Zorn.

Interesse an Umbruchzeit

Bis vor zwei Jahrzehnten haben die Japaner den europäisch geprägten Meiji-Stil nicht sehr geschätzt. Inzwischen aber sei das Interesse an dieser Umbruchzeit deutlich gewachsen, vielmehr gebe es auch japanische Forschungsgelder zur umfassenden Erkundung dieser historischen Periode sowie zum Aufbau entsprechender Materialdatenbanken.

So fließen in die aktuelle Ausstellung auch Ergebnisse eines großen Siebold-Forschungsprojekts ein, an dem Bettina Zorn gemeinsam mit rund 20 Kollegen vom National Museum of Japanese History sowie von verschiedenen japanischen Universitäten noch bis 2023 arbeiten wird. Im März steht zudem ein internationales Symposium über Heinrich von Siebold auf dem Programm.

Eine japanische Gekkin, eine Mondlaute, aus Tōkyō (zwischen 1872 und 1882).
Foto: KHM-Museumsverband

Der leidenschaftliche Sammler und Archäologe wurde nur 56 Jahre alt. Für seinen frühen Tod war vermutlich ein schweres Magenleiden verantwortlich, an dem er 1908 auf seinem Schloss Freudenstein in Südtirol starb. In den Ruhestand trat er wegen seiner angegriffenen Gesundheit bereits zehn Jahre zuvor.

Er verließ Japan und damit auch seine (in Europa offiziell nicht als solche anerkannte) japanische Ehefrau Hana, mit der er mehrere Kinder hatte. Deren Nachfolgerin und anerkannte Gattin wurde eine reiche britische Witwe, die auch das Schloss bei Bozen kaufte.

Ein Jahr nach Heinrich von Siebolds Tod wurden die etwa 8000 japanischen Objekte, die er dorthin mitgenommen hatte, in Wien versteigert, danach waren sie in alle Winde verstreut. Zumindest einen Teil davon aufzuspüren wird Bettina Zorn und ihre Kollegen wohl noch viele Jahre beschäftigen. (Doris Griesser, 2.3.2020)