Menschen verbringen mehr Lebenszeit allein, und Männer und Frauen sparen öfter für sich selbst. Das hat Folgen.

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Frauen verdienen weniger als Männer. Das ist eine in unzähligen Studien belegte Tatsache. Was die genauen Ursachen des Gender-Pay-Gaps sind, ist schon umstrittener. Ein Teil der Differenz lässt sich mit Unterschieden bei Arbeitszeit, Berufswahl und Ausbildung erklären. Und ein großer Teil der niedrigeren Löhne ist der Tatsache geschuldet, dass Frauen, die Kinder bekommen, finanziell verlieren. Kinderkriegen führt zu Gehaltseinbußen, weshalb manche Experten eher vom Motherhood-Pay-Gap sprechen.

Daneben gibt es aber auch noch einen von Wissenschaftern beobachteten Unterschied bei Vermögen: den Gender-Wealth-Gap. Eine soeben im Journal of Public Economics, einer der führenden wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften, veröffentlichte Studie legt nahe, dass die Vermögensunterschiede zwischen Männern und Frauen in Industriestaaten tendenziell unterschätzt werden und eher zunehmen. Das ist bemerkenswert, weil der Gender-Pay-Gap zumindest in der EU zwar langsam, aber doch messbar kleiner wird.

Kluft wurde größer

In der erwähnten Studie analysieren die französischen Ökonomen Marion Leturcq und Nicolas Frémeaux, wie sich die Vermögen in Frankreich zwischen 1998 und 2015 entwickelt haben, und zwar im Hinblick auf die Verteilung zwischen den Geschlechtern. Ergebnis: Im Jahr 1998 lag das durchschnittliche Vermögen einer Frau um 7.000 Euro unter jenem eines Mannes. Im Jahr 2015 hatte eine Frau im Schnitt sogar um 24.500 Euro weniger. Damit keine Missverständnisse entstehen: In Frankreich sind die Menschen wie in den meisten anderen Industrieländern im Untersuchungszeitraum insgesamt deutlich reicher geworden, Männer wie Frauen. Durch höhere Gehälter und den Anstieg der Immobilienpreise hat sich das durchschnittliche Vermögen etwa verdoppelt. Aber die Kluft zwischen den Geschlechtern hat parallel dazu auch deutlich zugenommen.

Woran liegt das? Die Wissenschafterin Leturcq, die am staatlichen Demografie-Institut Ined arbeitet, und ihr Kollege Frémeaux, der an der Université Paris 2 forscht, finden mehrere Gründe: In der Vergangenheit haben mehr Franzosen geheiratet und dabei eine Gütergemeinschaft begründet. Eigentum an Haus, Auto und Sparbuch waren oft geteilt. "Das hat zu einer Vermögensumverteilung von Männern, die mehr in die Ehe eingebracht haben, hin zu den Frauen geführt", sagt Leturcq im STANDARD-Gespräch.

Mehr Lebenszeit ohne Partner

Inzwischen wird nicht nur seltener geheiratet, es gibt auch deutlich mehr Scheidungen. Sprich: Menschen verbringen mehr Lebenszeit allein. Der erwähnte Umverteilungseffekt ist daher kleiner geworden, Männer und Frauen sparen öfter für sich selbst. Hinzu kommt noch eine französische Spezialität: Immer mehr Partner entscheiden sich dafür, keine Gütergemeinschaft einzugehen. Das alles hat dazu geführt, dass die Vermögensschere zwischen Mann und Frau aufgeht, so Leturcq.

Diese Erkenntnis hat aber auch über die Geschlechterfragen hinaus wichtige Implikation. Prominente Ungleichheitsforscher wie Thomas Piketty und Gabriel Zucman bauen ihre internationalen Untersuchungen nicht auf Haushaltsbefragungen, sondern auf Daten administrativer Quellen auf. Die Daten stammen etwa von Steuerbehörden und sind damit umfassender. Aber: Aus ihnen lässt sich nur das Gesamtvermögen eines Haushalts ermitteln, Informationen über die individuelle Aufteilung gibt es nicht. Deshalb müssen Piketty und Zucman das Vermögen allen Erwachsenen im Haushalt zu gleichen Teilen zuordnen. Der Nachteil der Methode: Piketty und Zucman untererfassen damit die Ungleichheit bei der tatsächlichen Vermögensverteilung, so die Ökonomin Leturcq. In Österreich dürfte das Phänomen ebenfalls greifen: Denn die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) nutzt für ihre zentralen Verteilungsanalysen ebenfalls nur Haushaltsdaten.

Die Entwicklung in Frankreich ist übrigens aus Perspektive der Frauen nicht nur negativ, sagt Leturcq. Wenn Vermögen öfter getrennt seien und sich mehr Frauen scheiden ließen, bedeute dies letztlich, dass Frauen selbstständiger seien. "Aber die Entwicklung hat eben auch eine Kehrseite, die es zu beachten gilt", so die Forscherin. (András Szigetvari, 26.2.2020)