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Ratko Mladić wird von manchen bis heute verehrt.

Foto: AP Photo/Radivoje Pavicic

In manchen bosnischen Wohnzimmern hängt ein Foto des Kriegsverbrechers Ratko Mladić, der für den Tod von Tausenden unschuldigen Zivilisten verantwortlich ist und für zahlreiche andere Verbrechen, die ab 1992 aufgrund rassistischer Propaganda begangen wurden. Viele Nationalisten verehren ihn als Helden. Ein Riesenabbild des Schwerverbrechers Mladić ist etwa auf einer Hauswand in Nevesinje zu sehen. Nach dem politischen Anführer des Rassenhasses und der Massengewalt, dem extremen Nationalisten Radovan Karadžić, der wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Jugoslawien-Tribunal zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ist ein Studentenheim in Pale benannt.

Auch andere Kriegsverbrecher werden in Bosnien-Herzegowina im öffentlichen Raum verehrt, manche Organisationen tragen ihre Namen. Die rechtsradikale Ideologie, von Rassismus und völkischem Denken geprägt, die zum Krieg geführt hatte, wurde niemals grundsätzlich infrage gestellt und geächtet. Sie dominiert weiter das politische Geschehen. In Bosnien-Herzegowina gab es niemals eine Stunde Null. Deswegen gehen die Propaganda und auch der Konflikt immer weiter. Ganze Generationen werden darin geschult.

Künftiges Zusammenleben

Die Verleugnung, Verharmlosung und Entschuldigung von Kriegsverbrechen steht auch 25 Jahre nach dem Ende des Kriegs auf der Tagesordnung. Deswegen gibt es eine neue zivilgesellschaftliche Initiative, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Leugnung Verharmlosung, Rechtfertigung und Entschuldigung von Völkermord, Holocaust, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen unter Strafe zu stellen. Am Dienstag wurde in Sarajevo bei einer Veranstaltung des Forums Ziviler Friedensdienst über so ein Verbot diskutiert. Die Autorin der diesbezüglichen Studie, Lejla Gačanica, betont, dass es bisher einfach an politischem Willen für ein Gesetz fehlte.

Seit 2009 gab es bereits einige Versuche, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Nachkriegsgesellschaft glaubhaft mit den Fakten konfrontiert, eine Möglichkeit für künftiges Zusammenleben eröffnet und den Opfern zu ihrer Würde verhilft. Doch die Gesetzesinitiativen wurden durch das Veto des Landesteils Republika Srpska niedergeschmettert – dort sind extreme Nationalisten an der Macht, die die Fakten leugnen. Kürzlich hat der Abgeordnete Zlatko Miletić im Haus der Völker, einem Teil des Parlaments, vorgeschlagen, dass das Strafrecht geändert werden sollte, um die permanente Leugnung von Kriegsverbrechen unter Strafe zu stellen. Der Gesetzesvorschlag sah auch Sanktionen gegen jene Personen vor, die Auszeichnungen und Privilegien an verurteilte Kriegsverbrecher vergeben oder öffentliche Einrichtungen wie Straßen, Plätze, Parks, Brücken, Institutionen oder Siedlungen nach ihnen benennen.

Unwillen der Nationalisten

Auch diese Initiative scheiterte am Unwillen nationalistischer Politiker. Es ist also derzeit unmöglich, ein Leugnungsgesetz auf parlamentarischem Wege umzusetzen, weil eben radikale Nationalisten an der Macht sind. Es bleibt aber die Möglichkeit, eine solche Gesetzgebung als ergänzendes Element der Friedensumsetzung der bosnischen Verfassung zu betrachten, die ohnehin die Europäische Menschenrechtskonvention inkludiert, die wiederum Vorrang vor allen anderen Gesetzen hat.

Das Friedensabkommen von Dayton ermächtigt auch den Hohen Vertreter der Internationalen Gemeinschaft, die zivilen Aspekte der Friedensumsetzung voranzutreiben. Dem jetzigen Hohen Vertreter, Valentin Inzko, ist ein Gesetz, dass die Leugnung der Verbrechen und die Verhöhnung der Opfer unterbindet, ein großes Anliegen. "Wir werden sicherlich nächstes Jahr ein solches Gesetz zum 25. Jahrestag des Genozids in Srebrenica haben", kündigte er voriges Jahr an. Nun betont er, dass es wichtig wäre, dass die lokalen Politiker so ein Gesetz beschließen werden, ansonsten müsse man "kreativ" werden, so Inzko.

Hoher Repräsentant bekommt keine Unterstützung

Doch der Hohe Repräsentant bekommt seit Jahren weder von den USA noch von der EU politische Unterstützung, seine Vollmachten zu gebrauchen, mit denen er ohne Weiteres so ein Gesetz umsetzen könnte. Die EU unterstützt ihn auch bei der Umsetzung eines Leugnungsgesetzes nicht. Russland wiederum droht sogar seit Jahren damit, im Friedensimplementierungsrat und im Sicherheitsrat die Fortführung der militärischen Friedensmission und des Amtes des Hohen Repräsentanten nicht weiter zu unterstützen. Es wäre demnach ein ganz außerordentliches Zeichen von Mut, wenn Inzko trotz all der Widerstände den Schritt wagen würde. Eine Ratifikation des Gesetzes könnte später auch vom Parlament erfolgen, wenn der politische Wille dazu da ist.

Der EU-Rat selbst hat im Jahr 2009 das Stockholmer Programm beschlossen, wonach "die Union ein Bereich von Werten ist, die mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen, einschließlich Verbrechen totalitärer Regime, unvereinbar ist. Die Erinnerung an diese Verbrechen muss eine kollektive Erinnerung sein, die von uns allen nach Möglichkeit geteilt und gefördert wird. Die Union muss die Rolle des Vermittlers spielen", heißt es da. Die gesetzliche Grundlage für die Umsetzung der europäischen Werte in Bosnien-Herzegowina ist in diesem Bereich derzeit mehr als mangelhaft.

EU-Richtlinie gegen Leugnung von Verbrechen

Innerhalb der EU selbst gilt auch eine Richtlinie, nach der jeder Mitgliedsstaat Gesetze erlassen muss, die die Leugnung oder Verharmlosung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Genozid untersagen. Die europäischen Staaten haben unterschiedlich darauf reagiert. Während in Deutschland und Österreich die Leugnung des Holocausts explizit verboten ist, gehen andere europäische Staaten weiter. Bulgarien, Italien, Liechtenstein, Malta, Montenegro, Portugal, Spanien, die Schweiz und Kroatien verbieten die Leugnung aller Völkermorde.

In Serbien gibt es zwar seit 2016 ein Gesetz, das besagt, dass Kriegsverbrechen nicht negiert oder verharmlost werden dürfen. Doch dies betrifft nur Kriegsverbrechen, die von serbischen Gerichten als solche gewertet werden. Die Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina sowie in Kroatien und im Kosovo – wo die schlimmsten Untaten stattfanden –, die vom Jugoslawien-Tribunal festgestellt und verurteilt wurden, werden demnach nicht dazugerechnet. Zudem werden in Serbien – und das gilt auch für Kroatien und den bosnischen Landesteil Föderation – nur solche Leugnungen und Verharmlosungen geahndet, die beweisbar mit der Anstachelung von Gewalt und Hass gegen eine Gruppe verbunden sind. "Das ist so, wie wenn man sagen würde, dass es nur dann verboten ist, Blumentöpfe aus dem Fenster zu werfen, wenn ein Unschuldiger davon getroffen wird", meint der bosnische Politiker Predrag Kojović dazu sarkastisch. Jedenfalls sind die Verbote gerade in jenen Staaten zahnlos, in denen es die meisten Leugnungen gibt.

Lasche Gesetzgebung, Fortführung des Nationalismus

Durch diese lasche Gesetzgebung ist es auch leichter, nationalistische Narrative zu pflegen, die dem Machterhalt vieler Politiker dienen, aber den Konflikt weiter anheizen. Von vielen nationalistischen Politikern werden die Gerichtsurteile des Jugoslawien-Tribunals gar nicht anerkannt oder nur dann, wenn es um Urteile gegen Verbrecher geht, die einer anderen sogenannten Volksgruppe angehören. Weil die Fakten nicht oder nur selektiv anerkannt werden, wird die bosnische Nachkriegsgesellschaft permanent politisch manipuliert und Mythen weitergetragen. Ein Gesetz gegen die Leugnung der Verbrechen würde gerade deshalb in der bosnischen Gesellschaft auch eine Maßnahme gegen den grassierenden Rassismus sein.

Refik Hodžić, ein Experte für Rechtsmaßnahmen in Übergangsgesellschaften, betont, dass die Leugnung alles andere als spontan erfolge. Sie sei viel mehr "zutiefst berechnend", weil es politisches Ziel sei, "die verschiedenen Narrative zu trennen, tiefe Gräben zu graben und eine so große Kluft zwischen den Volksgruppen zu schaffen, die unmöglich überbrückt werden kann". Politisch geht es also darum, wie im Krieg in den 1990er-Jahren, die Menschen voneinander zu trennen, um ethnisch homogene Gebiete zu schaffen und diese dann vom Staat abzuspalten. Gerade deshalb ist es nach Ansicht vieler Bosnier aus politischen und zivilisatorischen Gründen nötig, die Leugnung der Verbrechen zu bestrafen.

Verbrechen sind geklärt und verurteilt

Der Krieg selbst und die Verbrechen sind bestens dokumentiert, aufgeklärt und durch das Jugoslawien-Tribunal verurteilt. Es gibt kaum einen Konflikt, der besser durchleuchtet wurde. Doch der Schwerverbrecher Karadžić wird in den Schulbüchern im bosnischen Landesteil Republika Srpska weiterhin nur als Poet, nicht aber als Verursacher der Massengewalt beschrieben. Studienautorin Gačanica meint, dass ein Gesetz zwar nicht die Schmerzen der Opfer und ihrer Angehörigen verringern, aber dazu dienen könne, dass der Schmerz der Opfer nicht immer und immer wieder wiederbelebt wird, wenn verboten wird, Kriegsverbrecher zu verherrlichen.

Das ist auch angesichts des 25. Jahrestages des Kriegsendes zentral. Die nationalistischen Politiker haben keine glaubwürdigen Schritte zur Versöhnung gemacht. Auftritte bei Gedenkveranstaltungen wurden von ihnen bisher als Möglichkeit zur Selbstinszenierung oder zur Zufriedenstellung von internationalen Kräften genutzt.

Selbstkritik der internationalen Gemeinschaft entscheidend

"Eine wirkliche Politik der Versöhnung gibt es vonseiten der politischen Eliten in Bosnien und Herzegowina nicht", meint auch der deutsch-französische Historiker Nicolas Moll, der seit langem in Sarajevo lebt. "Es gibt zwar immer einmal wieder vereinzelte Gesten von Politikern, aber solange diese nicht eingebettet sind in eine nachhaltige Politik, können solche Gesten keine Wirkung entfalten", führt er aus.

Ein erster wichtiger Schritt für eine Versöhnungspolitik wäre die substanzielle Anerkennung und Aufarbeitung eigener Verbrechen, anstatt immer nur auf die Verbrechen der anderen zu verweisen oder alle Verbrechen gleichsetzen zu wollen, meint Moll. "Auch die internationale Staatengemeinschaft könnte zu einem solchen Prozess beitragen, indem sie sich viel offener und selbstkritischer mit der eigenen Politik in den 1990er-Jahren auseinandersetzen würde", meint Moll. (Adelheid Wölfl, 27.2.2020)