Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen, argumentierten die Karlsruher Richter.

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Karslruhe – Die deutsche Regierung will das am Mittwoch verkündete Sterbehilfe-Urteil des Verfassungsgerichts zunächst prüfen und auswerten. Erst danach wäre über mögliche Maßnahmen zu entscheiden, wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin deutlich machte.

Nach der Entscheidung der Verfassungsrichter verstößt das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gegen das deutsche Grundgesetz. In Deutschland war – im Gegensatz zu Österreich – Beihilfe zum Suizid auch bisher nicht verboten, wohl aber die "geschäftsmäßige" (wiederholt ausgeführte) Sterbehilfe.

Union uneins

Aus der regierenden Union (CDU/CSU) kamen unterschiedliche Reaktionen. Unionsfraktionsvizechef Hermann Gröhe (CDU) bedauerte das Urteil und forderte eine "ausführliche Prüfung". Das Gericht habe ausdrücklich anerkannt, dass es ein legitimes Schutzinteresse des Staats gebe. Die Regelungen müssten aber weniger einschneidend sein, sagte der frühere deutsche Gesundheitsminister am Mittwoch nach der Urteilsverkündung.

Jan-Marco Luczak, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, begrüßte hingegen das Urteil. "Die Entscheidung über Leben und Tod sowie darüber, wie viel Schmerz ein schwerstkranker Mensch am Ende seines Lebens ertragen kann, ist und bleibt eine zutiefst persönliche", erklärte er am Mittwoch. Er sei deshalb "froh", dass die Verfassungsrichter das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe gekippt hätten, teilte er in Berlin mit. "Mit Verboten kann der Staat diesen sehr persönlichen Gewissenskonflikt nicht auflösen."

FDP lobt Urteil

Zustimmung kam auch vom Vizefraktionschef der oppositionellen FDP im Bundestag, Stefan Thomae. Das Urteil sei richtungsweisend und in der Sache vollkommen richtig", sagte Thomae der "Augsburger Allgemeinen" laut Vorausmeldung. Nun müsse der Gesetzgeber mit "einem liberalen Sterbehilfegesetz" die notwendige Rechtssicherheit schaffen, ergänzte er. "Das Grundgesetz betont den Vorrang der Selbstbestimmung des Einzelnen gegenüber dem Staat am Ende des Lebens."

Familienverband warnt

Katholische Organisationen in Österreich warnten mit Blick auf ein bevorstehendes diesbezügliches Urteil des hiesigen Verfassungsgerichtshofs vor einem "Dammbruch". "Gehen wir den guten österreichischen Weg weiter, den wir bei der Sterbehilfe haben. Schmerztherapien sind möglich, ohne dass Mediziner sich vor Straffälligkeit fürchten müssen. Eine Erlaubnis zum assistierten Suizid würde massiven Druck auf ältere, pflegebedürftige Menschen ausüben", so Alfred Trendl, Präsident des Katholischen Familienverbandes, in einer Aussendung. Susanne Kummer, Geschäftsführerin des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) der Österreichischen Bischofskonferenz, übte ihrerseits gegenüber "Kathpress" heftige Kritik am deutschen Urteil: "Der Rechtsstaat gibt den Schutz des Schwächeren zugunsten des Stärkeren auf." (APA, Reuters, 26.2.2020)