Weil seit Monaten nichts weitergeht, will die Anwältin des KZ-Überlebenden Aba Lewit nun einen Antrag beim Obersten Gerichtshof einbringen – und notfalls wieder vor den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof ziehen.

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Es ist knapp fünf Jahre her, dass der Autor Fred Duswald in der rechtsextremen Zeitschrift "Aula" KZ-Insassen pauschal als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet hat. Der Artikel sorgte damals für großes Aufsehen, gerichtliche Konsequenzen hatte er in Österreich aber vorerst nicht, im Gegenteil: Die Grazer Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren ein und erklärte, es sei "nachvollziehbar", dass die aus dem Lager befreiten KZ-Überlebenden für die Bevölkerung eine "Belästigung" dargestellt hätten.

Selbst im Justizministerium wurde diese Entscheidung äußerst kritisch gesehen. Der zuständige Sektionschef bezeichnete die Verfahrenseinstellung als "unfassbar und menschenverachtend", der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) kündigte in der Folge weitere zeithistorische Schulungen für Richteramtsanwärter an. Die "Aula" jedoch fühlte sich ermuntert – und legte sogar mit weiteren ähnlichen Diffamierungen nach.

Straßburg verurteilt Wien

Deswegen setzten sich prominente KZ-Überlebende mit Klagen, die von den Grünen unterstützt wurden, gegen die "Aula" zur Wehr. Auf dem Zivilrechtsweg bekamen sie sofort recht: Die "Aula" musste die Behauptungen als unwahr widerrufen und sich verpflichten, in Zukunft ähnliche Beleidigungen zu unterlassen. Eine medienrechtliche Klage wegen übler Nachrede und Beleidigung wurde jedoch vom Oberlandesgericht Graz abgeschmettert. Einer der Überlebenden, Aba Lewit, brachte den Fall stellvertretend wieder mithilfe der Grünen und der Medienrechtsanwältin Maria Windhager vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der in einer aufsehenerregenden einstimmigen Entscheidung die Republik Österreich verurteilte: Der österreichische Staat habe Aba Lewit nicht vor den Diffamierungen der Zeitschrift geschützt, hieß es in dem Urteil vom Oktober 2019. Der damalige Justizminister Clemens Jabloner handelte prompt und kündigte an, dass die Generalprokuratur einen Antrag an den OGH einbringen wird, damit das Verfahren in Österreich erneuert werden kann. Doch seither ist nichts passiert.

Zum Ärger der Anwältin Lewits: Ihr Mandant sei hochbetagt, es sei höchste Zeit, das Urteil umzusetzen, sagt Windhager zum STANDARD. Obwohl der Menschenrechtsgerichtshof eine klare Rechtsverletzung durch das Oberlandesgericht Graz festgestellt hat, "ist dieses Schandurteil weiterhin im österreichischen Rechtsbestand", sagt Windhager, "das kann es doch nicht sein".

Hände gebunden

In der Generalprokuratur heißt es aber auf STANDARD-Anfrage, dass man gar nichts tun könne, der Behörde seien quasi von Gesetzes wegen die Hände gebunden. Würde der Fall nämlich erneut vor Gericht landen, dann müsste dort die EGMR-Entscheidung einfließen, und die Medieninhaberin der "Aula" laufe Gefahr, durch das Urteil schlechtergestellt zu werden als im früheren Verfahren. Das widerspricht dem strafprozessrechtlichen Verschlechterungsverbot.

Folgen für andere Hetzfälle

Der Fall hat eine Tragweite, die auch zukünftige Hatespeech-Fälle betrifft. Sollten die österreichischen Medienstrafgerichte nämlich bei Hass im Netz Entschädigungsanträge von Betroffenen abweisen, verhindert das Verschlechterungsverbot eine nachträgliche Korrektur. "Unser Strafrecht ist sehr täterzentriert", beteuert der Sprecher der Generalprokuratur, "da müsste sich der Gesetzgeber etwas überlegen."

Im Justizministerium weiß man um das Problem, sagt ein Sprecher von Ministerin Alma Zadić. Man prüfe noch, welche politischen Konsequenzen daraus gezogen werden.

Anwältin Windhager spricht aber auch von einem strukturellen Problem. "Wir haben dieses Problem bei medienrechtlichen Entschädigungsverfahren immer wieder", sagt sie. Obwohl der Fall klar sei, sähen Opfer von Beleidigungen keine Entschädigung. Das liege daran, dass dieser immaterielle Schadenersatzanspruch im Strafrecht angesiedelt wurde. Das sei "eine typisch österreichische Lösung, kein anderes Land hat so etwas".

Windhager wird für Lewit nun selbst einen Antrag auf Erneuerung des Verfahrens einbringen. Sollte der Oberste Gerichtshof den Antrag wie erwartet zurückweisen, werde sie erneut den Straßburger Gerichtshof anrufen. Und der, glaubt Windhager, werde Österreich wieder verurteilen müssen, wenn keine Lösung gefunden wird. Besser wäre, so Windhager, das Höchstgericht oder die Politik würden diesen Auftrag schon heute vorwegnehmen. (Maria Sterkl, 2.3.2020)