Die Klinsmann-Tagebücher sorgen für Aufsehen.

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Berlin – Jürgen Klinsmann hat mit der härtesten Generalabrechnung in der Geschichte der deutschen Bundesliga bei Hertha BSC ein Beben ausgelöst. 15 Tage nach seinem überraschenden Rücktritt attackierte der Ex-Trainer Führung und Spieler des Klubs gnadenlos. Herthas Manager Michael Preetz bezeichnete die Vorwürfe als "perfide" und "widerlich" und schloss juristische Konsequenzen nicht aus.

"Die Geschäftsleitung muss sofort komplett ausgetauscht werden", fordert Klinsmann in seinem Tagebuch, das die "Sport Bild" veröffentlicht hat. In dem Schreiben, das angeblich für Sponsoren und Partner aufgesetzt wurde, bemängelt Klinsmann, dass es im Klub "jahrelange katastrophale Versäumnisse von Michael Preetz in allen Bereichen, die mit Leistungssport zusammenhängen", gegeben habe.

Klinsmann wirft Preetz auch eine "Lügenkultur ohne Anspruchsdenken" vor. Mit der aktuellen Geschäftsleitung um Preetz und Finanzchef Ingo Schiller, die "unterer Durchschnitt" sei, werde der Klub nie nach Europa kommen, wettert Klinsmann in seinem Tagebuch, das 22 DIN-A4-Seiten lang und in Ausmaß und Detailfreude einmalig ist.

Geleakt?

Klinsmanns Management bestätigte dem SID die Echtheit des Protokolls, rätselt allerdings darüber, wie es an die Öffentlichkeit gelangen konnte. Klinsmann habe keine Absicht, eine Abrechnung mit Hertha zu betreiben.

Klinsmann schießt auch gegen die Spieler. Es gebe "zu viele ältere und satte Spieler, die keinerlei Power haben, um im Abstiegskampf zu bestehen". Er hat auch eine Liste mit zum Teil vernichtenden Beurteilungen aller Spieler erstellt. Vedad Ibisevic (35) sei ein "super Typ, leider zu alt", Dodi Lukebakio (22) gehöre in die "Rubrik Fehleinkauf von Preetz", Marko Grujic (23) erziele keinen Mehrwert, "da er sich weder für Hertha noch Liverpool zugehörig fühlt".

Klinsmann greift in einem Rundumschlag auch andere Bereiche an. Die medizinische Abteilung sei "ohne jegliche Dynamik, zerstritten, inkompetent, den Anforderungen des modernen Profifußballs nicht gewachsen". Es gebe eine Medienabteilung, "die nur reagiert, keine Ideen hat und den Trainerstab niemals verteidigt. Es werden keine Lösungen gesucht, keine Innovationen."

Preetz: "Ich bin stabil"

Hertha-Präsident Werner Gegenbauer schrieb in einer Mail an die Mitglieder über das Protokoll, dass "nahezu sämtliche darin enthaltenen Vorwürfe und Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen", und nannte die Anschuldigungen "schäbig". Preetz gab sich zwei Tage vor dem Auswärtsspiel bei Fortuna Düsseldorf kämpferisch: "Ich halte das aus. Ich bin stabil." Ob es sich um einen Putschversuch von Klinsmann handle, wusste Preetz nicht. Wenn, dann habe dieser nicht funktioniert.

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Michael Preetz findet Jürgen Klinsmann wohl nur mehr mittelgut.
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Sowohl Gegenbauer als auch Preetz zeigten sich über die Kritik an den Abteilungen extrem verärgert und bezeichneten sie als "widerlich" und unverschämt". Das seien "alles Menschen, die 24 Stunden pro Tag für diesen Verein im Einsatz sind und sich mit ihm identifizieren", sagte Preetz. Persönlich habe Klinsmann diese Kritik während seiner zehnwöchigen Dienstzeit nie gegenüber einem Mitarbeiter geäußert.

Mehrfach kritisiert Klinsmann in seinem Protokoll den großen Einfluss von Preetz auf die Mannschaft während seiner Dienstzeit. Preetz habe einen Umkleidespind in der Kabine, für den Trainer gebe es nicht einmal ein eigenes Büro.

Investor als Schlüsselfigur

Schon Ende November habe man sich auch deshalb mit der Geschäftsführung und Gegenbauer auf mehr Kompetenzen für den Trainer geeinigt, doch im Lauf der Zeit sei die Klubführung von dem Vorhaben immer mehr abgewichen, obwohl auch Investor Lars Windhorst darauf gedrängt habe. Windhorst hat bislang 224 Millionen Euro in den Verein gepumpt und Klinsmann Anfang November als Mitglied des Aufsichtsrats in den Klub geholt.

Für Preetz steht Windhorst klar auf der Seite des Vereins. Er habe vor zwei Wochen "eindeutig geäußert", dass Klinsmann keine Zukunft mehr im Verein habe, betonte Preetz. Klinsmann hatte am 11. Februar nach nur 76 Tagen seinen Rücktritt angekündigt und damit die Klubführung völlig überrascht.

Interimstrainer Alexander Nouri wusste von Klinsmanns Kritik im Vorfeld nichts. "Das kam für mich auch überraschend", sagte Nouri, der von Klinsmann in den Klub geholt wurde. Für Nouri kam das neuerliche Theater vor dem Auswärtsspiel am Freitag bei Fortuna Düsseldorf (20.30 Uhr, Dazn) zur Unzeit: "Wir haben ein extrem wichtiges Spiel vor der Brust und müssen uns darauf konzentrieren." (sid, 26.2.2020)