Im Gastkommentar steht Thomas Strickner, Obmann der Arge Mobile Pflege Tirol, der von der Gewerkschaft geforderten Arbeitszeitverkürzung skeptisch gegenüber. Er befürchtet, dass die Sozialwirtschaft Österreich – wo sich vor der siebenten Kollektivvertragsverhandlungsrunde am Mittwoch 400 Betriebe einem Warnstreik anschlossen – zu einer Tabuzone für Vollzeitarbeitskräfte wird.

Mit einer Arbeitszeitverkürzung in nur einem Bereich, nämlich der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), macht man den Pflegeberuf nicht als Ganzes attraktiver. Die Gewerkschaft darf den zuletzt stark vernachlässigten Bereich gerne weiter pflegen. Mittel und Wege sollte sie allerdings überdenken.

Die Gewerkschaft fordert eine Arbeitszeitverkürzung.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Die Kollektivvertragsverhandlungen der SWÖ wurden schon sechs Mal abgebrochen. Weil die Gewerkschafter von Vida und GPA-djp auf ihrer Forderung beharren, aus den im Kollektivvertrag üblichen 38 Stunden künftig 35 machen zu wollen. In vier Jahresschritten hätte sich – so das Angebot der Arbeitnehmervertretung – die Arbeitszeit reduzieren sollen, stufenweise um je 1,5 Stunden in jedem zweiten Jahr, von zwei Quasinulllohnrunden begleitet, in denen das Entgelt nur um den Verbraucherpreisindex erhöht werden soll.

Druck steigt

Eine Forderung, die auf den ersten Blick Honig auf dem Brot der Pflegenden verspricht und erst auf den zweiten verdeutlicht, dass mit der Arbeitszeitverkürzung selbst das Brot darunter zu zerbröseln droht. Zumal sie für den, der in Teilzeit arbeitet, zwar mehr Geld bedeutet, sich dieses Mehr aber dank Nulllohnrunde(n) schnell wieder relativiert – und damit auch der volle Lohnausgleich. Was bliebe, wäre der Umstand, dass jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine Vollzeitbeschäftigung zum Leben brauchen, SWÖ-Einrichtungen mit 35 Wochenstunden finanziell weit weniger anziehend finden. Eine Arbeitszeitverkürzung würde also nur jene Betriebe personell entlasten, die rechtlich nicht an den SWÖ-Kollektivvertrag gebunden sind. Auf Beschäftigte der Sozialwirtschaft würde der Druck hingegen steigen.

Tabuzone für Vollzeitarbeit

Womit rechtfertigt man den Arbeitskampf? Das oft zitierte Argument, 38 Stunden seien in einem physisch und psychisch fordernden Job nicht mehr zumutbar, ist keines, zumal sich der/die Pflegende schon seit Jahren aussuchen kann, welcher Teilbereich in welchem Umfang am besten zu seiner/ihrer Work-Life-Balance passt. Rund die Hälfte der in der Langzeitpflege Beschäftigten arbeitet bereits heute in Teilzeit.

Stülpt man die 35-Stunden-Woche also wie geplant isoliert über die SWÖ, wird er zur Tabuzone für Vollzeitarbeitskräfte. Drückt man die 35-Stunden-Woche für alle durch, was im Rahmen dieser Verhandlung gar nicht möglich wäre, stürzt man den Pflegebereich – frei nach dem Motto: gestern noch Personalmangel, heute bereits Notstand – quasi über Nacht in die Krise. Zumal ein Unternehmen mit 100 Vollzeitbeschäftigten acht zusätzliche Pflegefachkräfte anstellen müsste, um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten – bei einem Arbeitslosenmarkt, den es schlicht und ergreifend nicht gibt. Was automatisch zur Folge hätte, dass der Druck auf alle weiter steigt. Auf Pflegende ebenso wie auf die zu Pflegenden.

Bessere Bezahlung, Ausfinanzierung

Wenn es der Gewerkschaft also ein Anliegen ist, sich nach gefühlten Jahren des Liebesentzugs nun endlich der Pflege anzunehmen, bieten sich ihr von einer (noch) besseren Bezahlung – warum fordert man nicht ein Plus von vier Prozent oder mehr? – bis hin zur Ausfinanzierung der Leistungen, die letztlich den Rahmen des Machbaren vorgibt, ausreichend Möglichkeiten, die offensichtlich neu aufgeflammte Zuneigung unter Beweis zu stellen. Dass der Pflegebereich schnell und vor allem gut gepflegt werden muss, ist angesichts der demografischen Entwicklung und der damit einhergehenden Prognosen klar. Wenn sich Vida und GPA-djp für die Arbeitszeitverkürzung als Mittel der Wahl entscheiden, setzen sie aber auf das falsche Pferd. (Thomas Strickner, 27.2.2020)