Aber wie bei so vielen systemischen Problemen wird auch bei diesem individualisiert. Dann pflegt die Ehefrau die kranken Schwiegereltern, "weil sie das so gut kann".

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Gestern hat mein Stiefvater seinen 15. Geburtstag gefeiert. Ein, zwei Bierchen getrunken, seinen voluminösen Bart gekratzt und ein bisschen über die Zipperlein und Wehwehchen im Alter geklagt. Habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Sehr gut. Gestern war nämlich Equal Care Day, aber da das immer noch viel zu wenige Leute interessiert, dachte ich, ich clickbaite Sie mit meinem fünfzehnjährigen Stiefvater in diesen Text. Ums kurz zu machen: Es war natürlich eigentlich sein 60. Geburtstag, aber da er zu den Unglückseligen gehört (als Kind habe ich mir das immer furchtbar vorgestellt), die am 29. Februar geboren wurden, kann er technisch gesehen nur alle vier Jahre feiern. Deshalb hat er sich zum 15. gratulieren lassen. Ach, Sie wollen gerne mehr über den Equal Care Day wissen? Hätte ich jetzt gar nicht vermutet, aber wenn Sie unbedingt wollen: Soll mir ja niemand am Ende vorwerfen, das hier sei keine feministische Servicekolumne. Equal Care Day also. Was ist das, was will das, braucht man das? Diese Fragen sind relativ schnell zu beantworten: eine freundliche Erinnerung, dass ziemlich viel im Argen liegt, nichts weniger als die Revolution – und ja. Einfach JA!

Sie und ich, wir brauchen diesen Tag. 2016 wurde er von meinen Kolleginnen Almut Schnerring und Sascha Verlan ins Leben gerufen, um an und mit diesem Schalttag darauf hinzuweisen, dass Care-Arbeit immer noch überproportional häufig in den Händen von Frauen liegt und weder ausreichend bezahlt noch genug wertgeschätzt wird.

Equal Care Day

2020 fällt er zwar dank der unermüdlichen Lobbyarbeit der beiden für dieses Thema deutlich größer und sichtbarer aus als noch vor vier Jahren, aber trotzdem nehmen das immer noch zu wenige Menschen zur Kenntnis. Das könnte selbstverständlich daran liegen, dass es nur einer von vielen "Daran muss erinnert werden, dafür sollte man mal was tun"-Tage ist, aber tatsächlich ist es eher so, dass wir uns mit allem, was Kümmern und Pflegen anbelangt, äußerst ungern beschäftigen. Und schon gar nicht systematisch. So bleibt uns nämlich der Blick auf die gesellschaftspolitischen Defizite erspart – sowie die Erkenntnis, inwiefern wir zu diesen beitragen beziehungsweise ihnen zum Opfer fallen. Der deutsche Kabarettist Volker Pispers hat schon vor Jahren angemahnt, dass die werberelevante Zielgruppe schon längst gegen den Pflegenotstand auf die Straße hätte gehen sollen, weil Protest ungleich schwieriger ist, wenn man damit wartet, bis man "in seiner eigenen Scheiße fixiert ist".

Die kann das so gut!

Aber wie bei so vielen systemischen Problemen wird auch bei diesem individualisiert. Dann pflegt die Ehefrau die kranken Schwiegereltern, "weil sie das so gut kann", und Kinder werden von der Erzieherin betreut, die schon als kleines Mädchen als Traumberuf Kindergärtnerin angegeben hat. Und die Männer ziehen aus und machen Jobs, bei denen sie "110 Prozent geben" und auf Stehpartys mit unverhohlenem Stolz sagen, dass sie auch im Urlaub ihre Büromails checken. Natürlich weil sie schon zu Schulzeiten so ein Leistungsass und Selfmadebub waren. Das kann ja gar nichts damit zu tun haben, dass Frauen dazu angehalten werden, ihre geschlechtliche Identität durch Selbstaufgabe bei exzessivem Kümmern zu bestätigen und Männer dadurch ihren Mann stehen sollen, dass sie ebenfalls bis zur Selbstaufgabe Leistungsbereitschaft zeigen und den ewig agilen, immer mobilen Macher geben. In beiden Fällen wird das Märchen von Selbstverwirklichung durch Selbstaufgabe aufgetischt. Und auch gegen dieses Prinzip hat der Equal Care Day einige sehr wichtige Dinge einzuwenden.

Termine machen, putzen, Geburtstagsgeschenke

Er ist eine Erinnerung daran, dass wir unserem kapitalistischen System ein dringend notwendiges Update verpassen sollten. Wenn Gleichberechtigungsbemühungen sich darin erschöpfen, Frauen in den Boys Club aufzunehmen, weil sie bereit sind, nach den Regeln mächtiger Männer zu spielen, geht das nicht annähernd weit genug. Dann werden bedürftige Menschen immer noch nicht von ausreichend Personal liebevoll und kompetent gepflegt. Dann ist zu Hause die immergleiche Person dafür zuständig, sich um alles zu kümmern: Termine machen, putzen, Geburtstagsgeschenke kaufen, Elternabende, Nachhilfe organisieren, Windeln wechseln. Und dann sind es immer die Frauen, die unseren Nachwuchs morgens mit einem freundlichen Lächeln in der Kita begrüßen. Diese Form des unter Wert delegierten Kümmerns ist es, die den Equal Care Day notwendig macht. Oder auch die einfache Frage: Wenn alle Menschen, um nicht zu sagen Frauen, die in unseren Leben für das Kümmern, Pflegen, Kochen, Putzen und Erziehen zuständig sind, besser bezahlte Jobs fänden und diese auch ausüben würden: Wer macht dann die Arbeit?

Ja genau: Entweder die, die sich bislang davor gedrückt haben beziehungsweise gedrückt wurden, oder niemand. Und da der Bedarf an Nähe, Betreuung und bedürfnisorientierter Zuwendung in Zukunft nicht weniger werden wird, heißt das, dass wir alle ranmüssen, um einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln. Was sollte uns Kümmern wert sein angesichts der Tatsache, dass alle am eigenen Leib erfahren haben, wie unverzichtbar es ist? Lassen Sie uns mit der Antwort auf diese Frage nicht bis 2024 warten. (Nils Pickert, 29.2.2020)