Der absolutistische Eindruck täuscht: Frank Spilker ist so sehr Punk wie eh und je. Mit neuen "Sternen" und famosem Album im Gepäck gastiert er am 10. März in der Wiener Grellen Forelle.

Foto: Brigitta Jahn

Das neue Die-Sterne-Album tänzelt unverschämt lässig hinweg über die Klippen eines ungeliebten Gesellschaftssystems. Nie klang Frank Spilkers hanseatischer Indie-Disco-Funk unbekümmerter als heute. Der neben Jochen Distelmeyer und Dirk von Lowtzow wichtigste Wortschmied der Hamburger Schule hat die neue, elfte Platte nach der Band benannt (Die Sterne). Doch ausgerechnet die gibt es nicht mehr. Das Arbeiten mit Christoph Leich und Thomas Wenzel sei für ihn einfach "unergiebig" geworden. Heute federt Spilkers Orgel-Soul auf den Klangdaunen von Erobique (Carsten Meyer), oder er kooperiert mit Teilen von Von Spar. Wir trafen Spilker zum Gespräch über eine vor sich hin kollabierende Gesellschaft: "Der Palast ist leer / Wir hocken in den Kammern / Und hören uns selber jammern".

STANDARD: Sie tragen auf dem Cover der neuen Platte eine Puderperücke. Huldigen Sie der Idee der künstlerischen Verfeinerung?

Spilker: Ein Versteckspiel. Die Band erscheint in neuer Besetzung, aber es gibt deshalb kein neues Die-Sterne-Konzept. Das wollte ich visuell verdeutlichen. Die Alternative dazu hätte darin bestanden, überhaupt keinen Menschen abzubilden. Ich zitiere nicht unbedingt Rokoko. Der Gedanke war, den Vertreter eines sich legitimierenden Adels zu zeigen. Wer sind Die Sterne eigentlich? Bin ich das, oder ist das diese Kunstfigur?

STANDARD: Haben Sie sich mit den Bandkollegen zerkracht?

Spilker: Wir hatten uns sehr viel Zeit gelassen mit einer Entscheidung. Aber wenn eine Band nicht mehr kreativ ist, existiert sie meiner Meinung nach nicht mehr.

STANDARD: Es fehlte das Miteinander?

Spilker: Es war ein Nebeneinander. Weil wir es nicht geschafft haben, uns zu organisieren. Das hat auch mit dem Älterwerden zu tun. Damit, dass wir nicht die Rolling Stones sind, bei denen es um Millionenbeträge geht. Wir haben dann recht schnell entschieden, dass ich allein weitermache. Im Grunde hatten wir das schon in den 1990ern vertraglich festgestellt.

STANDARD: Hat sich vielleicht das Rock-'n'-Roll-Konzept "Wir allein gegen den Rest der Welt" überholt?

Spilker: Ich glaube, dass Zusammenschlüsse immer temporär sind. Wenn sich die individuellen Ziele innerhalb einer Gruppe verändern, weil man an die Rente denkt, dann schrumpft die Bandidee ein Stück weit zur Lüge. Im Grunde ist das offene System die ehrlichere Behauptung. Insofern ist jede Band ein System auf Zeit.

STANDARD: "Wann hört das Warten auf, / Wo fängt der Anfang an", hieß es auf Flucht in die Flucht (2014). Sie haben als Songtexter immer die Eingängigkeit gesucht, dabei der Verlockung durch platte Slogans widerstanden. Sammeln Sie Sprachmaterial, bevor Sie ins Studio gehen? Flanieren Sie mit Notizbüchern durch die Gegend?

Spilker: Am Ende ist es banale Arbeit am Schreibtisch. Die Frage lautet: Was hat man vorher zusammengesammelt? Wie klar umrissen ist das Konzept? Mir kommt die Kurzform des Songs sehr entgegen, weil ich ungern an festen Schemata entlangschreibe. Ich betreibe eine Mischform aus klassischem Erzählen und sprachlichem Experiment. Ich lasse Assoziationen zu, Unklarheiten. Das Spezielle meiner Arbeit liegt darin, mich nicht klar entscheiden zu müssen. Nicht für Dada, für das künstlerisch Experimentelle. Aber auch nicht für das herkömmliche Gedicht.

STANDARD: Schreibt man Refrainzeilen, die als Slogans etwas taugen, landet man automatisch in der Automobilwerbung. Sind Sterne-Texte Widerstandsbrocken gegen eine Literarizität, die sich ausschlachten lässt?

Spilker: Auf jeden Fall gegen zu große Ehrfurcht vor dem Kanon. Ein angeborenes Unwohlgefühl: Ehrfurcht vor dem großen Wort, vor einer Autorität, die sich in Sprache manifestiert. Dagegen rebelliert man. Bei "Literarizität" weiß ich gar nicht, was das ist.

STANDARD: Gewisse Arbeitsgrundlagen des Songwritings liegen auf der Hand: die Vermeidung allzu glatter Endreime; deren Ersetzung durch lautliche Anklänge. Lernt man das durch das Studium von Bob Dylan?

Spilker: Von Woody Guthrie und Hank Williams. Ich nenne Dylan immer "Woody Guthrie zwei", nur ohne Kommunismus. Auf Dylan kam ich erst spät. Mein Interesse als junger Mann war mehr die bildende Kunst. Irgendwann musste ich dann die Texte schreiben, aus einer Notlage heraus. Niemand anderer wollte in der Band die Arbeit machen. Als junger Punk fand man diese ganze 70er-Jahre-Folk-Blase komplett entbehrlich. Man wollte sich davon abgrenzen. Dadurch habe ich unheimlich viel von Country-Sänger Hank Williams und Leuten seines Kalibers gelernt. Weil die noch keine Schallplatten produziert haben, stand denen erst nur das Wort zur Verfügung: die einmalige Anwendung des Worts im Radio. Entsprechend sind die Texte.

STANDARD: Der Song wirbt um Aufmerksamkeit?

Spilker: Die erreicht man, indem man zum Beispiel die richtige Frage stellt; "Wo fing das an und wann? / Was hat dich irritiert?". Aus diesem Geist heraus entstand Was hat dich bloß so ruiniert?. Man besetzt so einen Punk-Kosmos, um sich die Würde zu bewahren und gegenüber dem Folk abzugrenzen.

STANDARD: Untersuchen Sie auf dem neuen Album den Stand der Dinge? In Das Elend kommt nicht heißt es schonungslos: "Das Elend ist mitten unter uns".

Spilker: Ich schwanke immer zwischen den Polen von Offenheit und zu viel Erklärerei. Das hat mit dem Grad der Verzweiflung zu tun, den man angesichts des Zustandes der Welt empfindet. Wie klar muss man es denn noch sagen, damit gewisse Punkte begriffen werden, wie: Fickt das System. Das ist ein Song, um "out of the box" zu denken – um sich nicht versklaven zu lassen von Staatstreue und anderen Pseudoverpflichtungen. Nehmen wir Greta Thunberg her. Muss erst jemand kommen, der ein autistisches Problem hat, um zu sehen, dass die Produktionslogik des Wirtschaftssystems, die Verpflichtung zu permanentem Wachstum, unsere Lebensgrundlagen vernichtet? Das kann doch jeder sehen und aussprechen. Nur tut man es nicht, weil man sonst dem System nicht die Treue hält. Da muss eben Klarheit her. Obwohl ich kein politisches Album machen wollte. Weil ich Slogans hasse. So muss man, was man hasst, eben erst wieder selbst machen. (Ronald Pohl, 28.2.2020)