"Süddeutsche": Fundamentaler Rollenwandel

"Karlsruhe mutet dem Gesetzgeber einen fundamentalen Rollenwandel zu, den Wandel vom Verhinderer zum Ermöglicher des Suizids. Er muss dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, 'hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung' geben, heißt es. Wenn ein Mensch den Weg ins Jenseits antreten will, darf der Staat dorthin keine Steine legen. Er muss sie vielmehr wegräumen – und ihm vielleicht sogar ein Geländer bauen."

Es gebe ein "Recht auf selbstbestimmtes Sterben", sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, am Mittwoch bei der Verkündung des Urteils in Karlsruhe.
Foto: APA / dpa / Uli Deck

"Neue Zürcher Zeitung": Persönliche Autonomie

"Es ist eine Bestätigung für diejenigen, die persönliche Autonomie und die Freiheit des Menschen als grundlegende Fundamente westlich-säkularer Gesellschaften verstehen. Und es ist ein Sieg für jene, die das Recht auf den eigenen Tod als zutiefst human begreifen. Denn das Urteil stellt klar: Die Würde des Menschen ist unantastbar, seine Freiheit zum Tod ebenso – und beides ist untrennbar miteinander verbunden. Denn der Staat mag zwischen Wiege und Bahre vieles regulieren, die selbstbestimmte Entscheidung über sein würdevolles Sterben aber steht ausschließlich dem einzelnen Bürger zu. (...)

Die Bedenken der Gegner der Sterbehilfe behalten auch nach dem Grundsatzurteil ein gewisses Gewicht. Kirchen, aber auch Ärztevertreter warnen vor den Geschäftsinteressen einer 'Industrie des Todes', vor dem Erwartungsdruck an Sterbende und der drängenden Habgier Verwandter, die auf eine Erbschaft aus sind. Vor allem aber machen sie darauf aufmerksam, dass psychisch Kranke, verwirrte oder verzweifelte Lebensmüde zu Kurzschlusshandlungen neigen könnten."

"De Standaard": Mehr Klarheit

"Dieses Urteil wird einen Seufzer der Erleichterung für Hunderte von Patienten bewirken, die seit Jahren darauf warten, ihr Leben auf medizinisch verantwortliche Weise zu beenden. Und auch bei den Ärzten, die mit diesem verfassungsrechtlichen Urteil mehr Klarheit über ihre Befugnisse erhalten."

"Die Zeit": Entlastung für Angehörige

"Das ist vor allem eine Entlastung für die Angehörigen. Denn auf ihren Schultern lastete zuletzt das ganze Gewicht der Verantwortung. Nachdem der Bundestag 2015 den Paragrafen 217 im Gesetzbuch verankert hatte, der die 'geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung' verbot, waren sie die Einzigen, die straffrei beim Suizid assistieren durften."

"Die Tageszeitung": Neues Gesetz

"Der Bundestag sollte bald ein neues Gesetz beschließen, um Mindeststandards für Suizidhilfevereine festzulegen. Es muss sichergestellt werden, dass vom Recht auf selbstbestimmtes Sterben nur Menschen Gebrauch machen können, die frei verantwortlich entscheiden können." (APA, red, 28.2.2020)