Kürzlich sorgte der Schriftsteller Manfred Rebhandl als Stammgast im Wiener Café Engländer wieder einmal für Aufsehen: Er habe seinen jüngsten Roman, die Krimikomödie Sommer ohne Horst, mit dem ersten Satz von Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften begonnen, meinte er selbstbewusst über die Köpfe der an diversen Tischen über weltliterarische Hervorbringungen gebeugten Damen und Herren hinweg.

In Wien und vor allem im Engländer wird sehr viel gelesen, und weil immer irgendwo Der Mann ohne Eigenschaften herumliegt, machte einer der Gäste natürlich sofort die Stichprobe.

Wie schrieb Musil? "Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum." Und Rebhandl? "Über den Azoren hatte sich ein stabiles Hoch gebildet, und ein stabiles Hoch über den Azoren war das mindeste, was ich mir von einem gelungenen Sommer erwartete."

Ein Zitat – und vor allem ein Musil-Zitat – sehe doch wohl anders aus, sagte ein Literaturkritiker am Nebentisch, der sich eigentlich lieber weiter in Peter Handkes Das zweite Schwert vertieft hätte. "Lieber Herr Rebhandl, bitte konzentrieren Sie sich!"

"Nicht mir blöd kommen, bitte, ich bin konzentriert wie nie zuvor", sagte Rebhandl (völlig zu Recht). "Übrigens hat Handke seinen Buchtitel bei mir entliehen. Erinnern Sie sich noch an mein Büchlein, meinen ersten Rock-Rockenschaub-Krimi Das Schwert des Ostens?"

"Herr Rebhandl, konzentrieren Sie sich!"
Foto: Maximilian Lottmann

Milieu von Wiener Strolchen

Der Kritiker lächelte perplex. Sehr gerne ließ er sich aber in weiterer Folge überzeugen, dass auch das "ohne" in Rebhandls Titel Sommer ohne Horst in Nachbarschaft zum "ohne" in Der Mann ohne Eigenschaften nicht, äh, ohne war. "Ein Autor, den man sich merken müsste, wenn man ihn sich nicht schon längst gemerkt hätte", notierte der Kritiker nebenher in sein Handke-Leseexemplar und meinte natürlich nicht den Nobelpreisträger, sondern Rebhandl.

Dieser hätte nämlich spätestens mit Töpfern auf Kreta, dem vorletzten Band aus der Reihe Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle eine derartige Würdigung und Ehrenrettung ("und Platz eins in der Bestsellerliste!", so Rebhandl) verdient gehabt. Quasi aus der Hüfte kann Rebhandl mehr "wenig passieren lassen" als Musil und Handke zusammen – was im Fall der ersten 78 Seiten der insgesamt 228 Seiten von Sommer ohne Horst etwa auf folgende Kurzsynopsis hinausläuft: Der Bademeister Horst ist verschwunden. Rock ("wie der Felsen") und seine Freunde suchen ihn.

Dies alles in einem Milieu von Wiener Strolchen und Pornokino-Stammgästen, in dem sich durchschnittliche Leser*innen von Donna-Leon-Krimis wahrscheinlich nicht besonders wohlfühlen. Vor allem, wenn sie zum Beispiel nicht wissen, was MILFs sind, auf (erfundene) Filmtitel wie Verzückte Schulmädchen allergisch reagieren oder das Wort "Achtsamkeit" gerne mit mehr Achtsamkeit behandelt sehen würden, als dies im testosterongeschwängerten Vorstadt-Wien, das Rebhandl, wohlgemerkt, nur erfunden hat, der Fall ist.

Flächendeckende Dummheit

Anders als im echten Venedig von Donna Leon ist bei Manfred Rebhandl nämlich wirklich fast alles "falsch": Natürlich gibt es hierzulande in Wirklichkeit keinen Bundeskanzler "Shorty", keine Stadtzeitung "Schmetterling" und kein Oberboulevardblatt "Gosse".

Aber, und da ist der Dichter begeisternd präzise: Es gibt den Sommer, und es gibt Schwimmbäder, und es gibt Bademeister, die darauf achten sollten, dass die Jugendlichen nicht seitlich ins Becken springen. Es gibt Herrenrunden, die für Tarockpartien Ersatz brauchen, wenn einer ausfällt.

Und es gibt so etwas wie flächendeckende Dummheit (Robert Musil: "eine geheimnisvolle Zeitkrankheit"), die lebensnahe Passagen zeitigt: "Ich sagte: ,Na gut, Männer und Gehirn ...‘ Sie lachte, als hätte sie selbst keines." Mehr soll hier nicht verraten werden. Sonst kennt man sich vielleicht besser aus, und dann ist es, unelegant gesagt, nicht mehr so spannend und lustig.

Wie dürfen uns Manfred Rebhandl als durchaus sehr gebildeten Mann vorstellen, der sich mitunter gern blöder stellt, als er wirklich ist (oder gerne wäre). Sommer ohne Horst, klar, das klingt erbärmlich, aber: Man denkt dabei natürlich auch sofort an Schwalben.

Und zwar nicht an die Vögel, sondern an Fußball: Dort nennt man laut Wikipedia eine Schwalbe "den Versuch eines Spielers, ein Foul vorzutäuschen, indem er sich im Zweikampf mit einem gegnerischen Spieler absichtlich fallen lässt".

Manfred Rebhandl, der es nicht nur mit Musils Anfangssatz sehr bewusst nicht sehr genau nimmt, wandelt auch diese Definition ab: Permanent täuscht er (sprachliche) Fouls vor, stoppt aber immer rechtzeitig ab und darf nachher trotzdem mit der (zumindest seinem Empfinden nach) verdienten roten Karte stolz nach Hause gehen, um weitere Romane zu schreiben, die übrigens auch in grandiose Schlusssätze münden: "Dann legte ich mich wie ein Hund auf die Straße und schlief ein", hieß es zuletzt in Töpfern auf Kreta.

Und jetzt: "Ich selbst würde für diese eine Stunde endlich glücklich sein, so wie ich es mir von einem perfekten Sommer erwartete." (Claus Philipp, 3.3.2020)