Es ist eng geworden für Rendi-Wagner an der Spitze der SPÖ – doch die Flucht nach vorn in die Mitgliederbefragung könnte sich als Selbstdemontage mit Anlauf entpuppen.
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Es war die böseste aller bösen Schlagzeilen, die in den letzten Wochen über die Sozialdemokraten erschienen sind: Vor ein paar Tagen stieg die Tagespresse in die Führungsdebatte in der arg gebeutelten Oppositionspartei ein. "Ansteckend, mitreißend, bürgernah", titelte das Satiremedium: "SPÖ macht Coronavirus zum neuen Parteichef."

Die bissigen Kommentare bleiben nicht auf professionelle Spötter beschränkt. Seit Pamela Rendi-Wagner eine Mitgliederbefragung der besonderen Art angekündigt hat, zerfransen sich Parteikollegen hinter vorgehaltener Hand das Maul. Trotzdem soll die Aktion nun starten: Am Mittwoch verschickt die SPÖ-Zentrale an alle 157.000 Mitglieder Fragebögen plus Codes für das Onlinevoting. Bis 2. April dürfen die Genossen nicht nur klassische rote Forderungen nach Wichtigkeit bewerten, sondern auch über das Schicksal der Vorsitzenden entscheiden: Soll Rendi-Wagner an der Parteispitze bleiben?

1. Die Idee

Es ist eine Premiere: Führungsdebatten gab es in der SPÖ schon viele, aber noch keine, die von ganz oben angezettelt wurde. "Ich will all jenen eine Stimme geben, die in den Medien nicht am lautesten sind", argumentiert Rendi-Wagner und spielt damit auf das permanente Störfeuer in der Partei an. Seit Monaten bekritteln die Kritiker mehr oder minder offen jede Handlung, jeden Auftritt der Chefin. Damit die SPÖ die "Selbstzerfleischung" beenden und Kraft für echte Politik schöpfen könne, sagt Rendi-Wagner, brauche sie starken Rückhalt. Den will sie sich, in der Hoffnung auf klare Verhältnisse, von der Basis holen.

Für die "Flucht nach vorne" spricht auch, dass die Chefin früher oder später ohnehin mit einem (weiteren) Umsturzversuch zu rechnen hatte – lieber also einen Befreiungsschlag wagen, als sich passiv dem Schicksal ergeben. Immerhin kann sie darauf hoffen, dass manche Genossen aus Angst, eine ungesteuerte Führungskrise zu provozieren, die Amtsinhaberin zähneknirschend bestätigen.

2. Die Gegner

Wo soll man da anfangen? Wer in die Partei hineinhört, stößt bei SPÖ-Funktionären aller Ebenen auf Kopfschütteln. Die Kritik spitzt sich auf ein zentrales Argument zu. Endlich habe die Opposition Licht am Ende des Tunnels gesehen, weil sich die türkis-grüne Regierung mit Streitereien um die Justiz, dem Milliardendefizit bei der Gesundheitskasse und der Eurofighteraffäre herumschlagen muss, aber leider: Statt kantige Oppositionspolitik zu machen, konzentriere sich Rendi-Wagner lieber auf das, was sie angeblich beenden wollte – die Selbstbeschäftigung.

Besonderen Grund für Ärger haben die Wiener Sozialdemokraten, die sich lieber auf die für die Bundes-SPÖ auch nicht ganz unwichtige Landtagswahl im Herbst vorbereiten. Außerdem waren es die Wiener, die Rendi-Wagner im Herbst bei einem Umsturzversuch gestützt haben – dennoch wurden auch sie wie alle anderen ohne Vorwarnung überrumpelt. Bürgermeister Michael Ludwig hat vergeblich versucht, die Vorsitzende umzustimmen, und danach seinen Unmut kaum verhehlt. In den Worten eines führenden Genossen aus einem westlicheren Bundesland: "Den Wienern so in die Parade zu fahren grenzt an parteischädigendes Verhalten."

3. Die Anhänger

Verteidiger von Rendi-Wagners Manöver sind in der Funktionärsriege abseits des Führungszirkels schwer zu finden, aber davon lässt sich nicht automatisch auf die Meinungslage an der Basis schließen. Dass sich Parteimitglieder ihr Stimmverhalten allesamt von oben diktieren lassen, spielt es auch in der SPÖ nicht (mehr).

"Die Meinung der Funktionäre und der Mitglieder klafft mit Sicherheit auseinander", sagt Rendi-Wagners Kommunikationschef Stefan Hirsch und erzählt von einem Auftritt seiner Chefin letzten Mittwoch vor Parteivolk im Wohnpark Alterlaa im Süden Wiens. Der "Grundtenor" sei klar pro Mitgliedermitbestimmung ausgefallen – "und den Leuten stoßen die ständigen Querschüsse sauer auf".

Ein anderes Stimmungsbild, das DER STANDARD registriert: Immer wieder schreiben SPÖ-Mitglieder Mails an die Redaktion, die Rendi-Wagner als Opfer des reformresistenten Establishments aus – im übertragenen Sinn – "alten weißen Männern" darstellen.

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ist bereits entschlossen im Wahlkampf – allerdings nicht für seine Parteichefin.
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4. Das Ergebnis

Wie Rendi-Wagner abgeschnitten hat, dürfte erst Mitte April feststehen – und auch danach ist fraglich, ob das Resultat klare Verhältnisse bringt. Eine simple Mehrheit von 50 Prozent plus wird der Vielkritisierten keine politische Lebensversicherung bescheren, alles unter 80 Prozent werden Gegner und Medien als Niederlage deuten. Und selbst wenn der Anteil an Ja-Stimmen hoch ist: Wie viel sagt dieser "Sieg" aus, wenn die Beteiligung im Keller ist?

Die SPÖ ist eine träge Partei mit vielen älteren, nicht gerade internetaffinen Mitgliedern. An der Befragung zur Organisationsreform der SPÖ nahmen 2018 gerade einmal 22 Prozent teil, trotz enormen Aufwands. Als "Kraftakt" bezeichnet eine Involvierte die damaligen Aktion: Mitglieder wurden durchtelefoniert oder persönlich abgeklappert, die Parteizentrale konnte auf den Einsatz der Apparate in den Ländern zählen.

Davon ist heute keine Rede. Ludwig hat in der Tiroler Tageszeitung angekündigt, dass er die Wiener Partei nicht für die Befragung mobilisieren wird, die anderen großen Landesparteien zeigen genauso wenig Ambition. Ob Rendi-Wagner ihre Position angesichts dieser Umstände zementieren kann? Eher geht die Führungsdebatte munter von neuem los.

5. Die Folgen

"Es macht sich Endzeitstimmung breit", sagt ein hoher Sozialdemokrat, was partout keine Einzelmeinung ist. Vielfach wird prophezeit: Nach der Befragung werde Rendi-Wagners Zeit abgelaufen sein. Als Stichtag für einen Neuanfang bietet sich der 25. April an. Für dieses Datum hat die Partei einen "Zukunftskongress" geplant, um – wie es auf der SPÖ-Homepage heißt – die "erste Etappe unseres Erneuerungsprozesses" abzuschließen. An einer Änderung der Tagesordnung sollte es nicht scheitern.

Vielleicht aber an einer fehlenden Alternative. Schon mehrmals schien Rendi-Wagners Abgang eingeläutet, doch ein überzeugender Ersatzkandidat hat sich bis dato nicht aufgedrängt.

Manches deutet darauf hin, dass erst einmal ein interimistischer Parteichef zum Zug kommen soll, um dann in Ruhe einen Spitzenkandidaten für die nächste Nationalratswahl auszuwählen – sofern sich die Gegner denn wirklich zum Sturz Rendi-Wagners durchringen.

Hängen bleiben wird die Entscheidung an den drei Landeshauptleuten Michael Ludwig (Wien), Peter Kaiser (Kärnten) und Hans Peter Doskozil (Burgenland), die großen Landesparteien und die Gewerkschaft werden mitreden. Ob die Wortführer schon eine Linie gefunden haben? So mancher Genosse bezweifelt das. Verbreitete Befürchtung: "Es gibt keinen Plan B." (Gerald John, 1.3.2020)