Wissenschafter rund um den Globus beobachten Sars-CoV-2. Wer das Virus als Erster versteht, könnte das Rennen um neue Wirkstoffe gewinnen.
Foto: EPA

In Labors auf der ganzen Welt wird auf Hochtouren gearbeitet. Publikationen werden durchforstet, Zellkulturen erstellt, alte Medikamente auf neue Einsatzmöglichkeiten geprüft. In der aktuellen Coronavirus-Krise bräuchte man Gegenmittel, dann wäre das Problem gelöst. Der Grund dafür, warum das nicht einfach ist, liegt in der Natur von Viren begründet. Sie brauchen eine menschliche Wirtszelle, um sich vermehren zu können. Das stachelige Virus mit dem Namen Sars-CoV-2 nutzt hochspezifische Mechanismen, um seine DNA in die Lungenzellen einzuschleusen, das ist lebendige Zellkommunikation. Sars-CoV-2 sucht einen Rezeptor, an dem es andocken kann, um dann genetisches Material auszutauschen. Das macht krank. Doch ist der Infekt einmal überstanden, hat das menschliche Abwehrsystem es geschafft, immun zu werden. Sprich: Auch wenn das Virus da ist, macht es nicht mehr krank.

Genau das ist das Ziel, das Mediziner mit einer Impfung erreichen wollen. "Derzeit befinden sich weltweit 27 Impfstoffe in Entwicklung, die auf die Immunisierung gegen Sars-CoV-2 abzielen. Es wird sicherlich noch dauern, bis sich herausstellt, ob einer davon wirklich erfolgreich ist", so Alexander Herzog, Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs. Die Schwierigkeit dabei liegt darin, das neu entdeckte Virus so gut zu kennen, dass man es auch entschärfen kann. Der Körper soll durch die Impfung ja Immunität entwickeln, ohne krank zu werden.

Klinische Studien

"Um das zu erreichen, kann man die DNA des Virus an vielen unterschiedlichen Stellen verändern", sagt Christoph Steininger, Virologe an der Med-Uni Wien. Wenn sich ein Forschungsteam für eine Strategie entschieden hat, dann ist eine zweite wichtige Frage, wie man eine Veränderung an der DNA von Sars-CoV-2 erreicht, also welche biologischen Vehikel (im Fachbegriff werden sie Transporter genannt) man verwendet, um das Erbgut eines Virus zu verändern. "Entscheidend ist, dass so eine Impfung wirkt und trotzdem sicher ist", sagt Steininger. Eine Überreaktion des Immunsystems darf nicht passieren.

Um diese Sicherheit zu gewährleisten, gibt es ein sehr strenges Prozedere für klinische Studien. Normalerweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffes zwischen zwölf und 18 Monate. Experten hören gerade von in China entwickelten Impfungen, die möglicherweise schon Ende April in diese klinische Prüfungsphase gehen könnten. Gäbe es eine Impfung, so Steininger, hätte man eine Möglichkeit, Sars-CoV-2 langfristig zu stoppen. Das wäre medizinisch die beste Lösung.

Abgesehen von Impfungen gibt es auch andere Ansätze. Das österreichische Unternehmen Apeiron zum Beispiel will dem Virus erst gar keinen Zugang zu menschlichen Zellen in der Lunge ermöglichen. APN01 heißt die Substanz, die während der Sars-Epidemie 2002 vom österreichischen Molekularbiologen Josef Penninger, damals noch Forscher in Wien, entwickelt wurde.

Todesfälle verhindern

Als die Sars-Epidemie gestoppt war, interessierte sich niemand mehr für diese Wirkung. Das änderte sich mit dem Ausbruch des neuen Virus schlagartig. APN01 könnte sich durchaus bei der durch Sars-CoV-2 verursachten Lungenerkrankung bewähren und Todesfälle verhindern. "Es soll bei schweren Verlaufsformen helfen", erklärt Peter Llewellyn-Davies, Vorstandsvorsitzender von Apeiron Biologics, der in den letzten Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um dieses Medikament in einer ausreichenden Menge für 24 Patienten in China zur Verfügung stellen zu können. In den nächsten Tagen wird es in zwei Klinken in Guangzhou zum Einsatz kommen. Ein Erfolg wäre, wenn es sich bei diesen schweren Verläufen bewährt und ein Lungenversagen abwenden kann. 3,5 Prozent aller Infizierten in Festlandchina, meist alte Menschen, sterben daran. "Wenn sich das Virus nicht in die Zellen einbauen kann, dann geht es zugrunde und wird vom Immunsystem abtransportiert", erklärt Llewellyn-Davies.

"Eine Impfung ersetzt dieser Ansatz keineswegs", betont Steininger. Als großen Nachteil dieses Medikaments wertet er die Tatsache, dass es die Immunität gegen das Virus verhindert. Das Apeiron-Medikament wirkt also nur, solange es verabreicht wird. Theoretisch könne sich also ein Patient, der die Erkrankung, die Covid-19 genannt wird, dank des Medikamentes überstanden hat, gleich nach der Entlassung erneut anstecken.

"Es gibt kein Medikament, das spezifisch gegen Sars-CoV-2 wirkt", erinnert Florian Thalhammer, Infektiologe an der Med-Uni Wien. Zur Erinnerung: Das Virus ist auch für Forscher neu. Alles, was gezielt wirkt, ist in einem experimentellen Stadium, betont er und meint Medikamente, die erst in Zellkulturen, im Tiermodell aber noch nicht am Menschen ausprobiert werden.

Alt und doch neu

In Ermangelung von gezielten Medikamenten gegen Sars-CoV-2 probieren Wissenschafter deshalb aus, ob nicht auch Wirkstoffe, die gegen andere Viren entwickelt wurden, beim aktuellen Krisenvirus zum Einsatz kommen könnten. "Im Fokus stehen Medikamente, die bereits für die Therapie gegen RNA-Viren wie etwa Ebola eingesetzt wurden", sagt Chef-Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der Med-Uni Wien, denn für diese gibt es schon Erfahrungswerte in der Anwendung am Menschen. Der Wirkstoff Remdesivir etwa sorgt dafür, dass sich das Virus, das es in die menschliche Zelle geschafft hat, dort nicht vermehren kann. Eine ähnliche Wirkung hat die Substanz Chloroquin, ein Malariamittel, das nicht mehr verwendet wird. Auch einige HIV-Medikamente sind Kandidaten, die sich gegen Sars-CoV-2 bewähren könnten.

Ob eines Tages ein Medikament oder eine Impfung zur Verfügung stehen werden, hängt auch stark von aktuellen Entwicklungen ab. Wenn man es schafft, die Epidemie zu stoppen, dann sinkt auch das Interesse für Medikamente, so die Erfahrung aus Krisen wie Sars und Mers. Denn wer bräuchte ein Medikament für eine Erkrankung, die dann vielleicht schon verschwunden ist? Das ist die Gratwanderung, die pharmazeutische Entwickler meistern müssen. (Karin Pollack, 1.3.2020)