Wenn Sie in einer Tasche oder im stockdunklen Zimmer einen Gegenstand erfühlen, wissen Sie dann auch, wie dieser aussieht? Würden Sie auch eine Vorstellung davon haben, wenn Sie ihn noch nie zuvor gesehen hätten? Haben wir ein übergeordnetes Konzept des Gegenstandes in unserem Kopf oder werden die Sinneseindrücke unabhängig voneinander verarbeitet?

Diese Fragen lassen sich nur schwer am Menschen untersuchen, da wir in unserem Leben viele Erfahrungen mit komplexen Gegenständen machen. 2011 testeten Forscher blinde Kinder, die durch eine Operation erstmals sehen konnten. Dabei zeigte sich, dass diese zunächst Probleme hatten, zuvor erfühlte Gegenstände allein durch das Sehen zu identifizieren. Nach einer Weile klappte dies jedoch besser, was möglicherweise daran lag, dass sich die Verarbeitung der Lichtreize im Gehirn erst entwickeln muss.

Hummeln können Objekte im Dunkeln unterscheiden

Wissenschafter der Queen Mary Universität London untersuchten diese Frage nun an Hummeln, indem sie ihnen zuvor unbekannte Objekte präsentierten. Sie versteckten eine Zuckerlösung entweder in Würfeln oder Kugeln und ließen die Insekten frei zwischen ihnen umherfliegen. Die Studie wurde vor kurzem im Fachmagazin "Science" veröffentlicht.

Im Dunkeln erfühlen die Hummeln die Form der Nahrungsquelle.
Foto: Lars Chittka/Queen Mary Universität London

Das Experiment wurde entweder im Hellen mit abgedeckten Objekten durchgeführt, wo die Hummeln die Objekte sehen, aber nicht berühren konnten. Oder es fand im Dunkeln statt, wo die Objekte berührt, aber nicht gesehen werden konnten. Im nächsten Schritt folgte ein Test, wo die Zuckerlösung fehlte, Geruch und Geschmack also keinen Einfluss mehr haben konnten. Dabei wurde die Verweildauer auf den Objekten gemessen.

Fand der Test zu den gleichen Bedingungen (Hell-Hell oder Dunkel-Dunkel) statt, verbrachten die Hummeln mehr Zeit auf den zuvor mit Zucker gefüllten Objekten. Dies belegte, dass die Hummeln in beiden Fällen in der Lage waren, die Objekte zu unterscheiden. Ein Kontrolltest mit abgedeckten Objekten zeigte außerdem, dass die Hummeln sie tatsächlich im Dunkeln nicht sehen konnten, sondern auf den Tastsinn angewiesen waren.

Wenn die Hummel die Objekte später sehen, aber nicht berühren kann, findet sie trotzdem das richtige.
Foto: Lars Chittka/Queen Mary Universität London

Wenn Blinde sehen und Sehende fühlen

Wechselten die Forscher nun die Bedingungen zwischen Lernphase und Test (Hell-Dunkel oder Dunkel-Hell), verbrachten die Hummeln weiterhin mehr Zeit auf den erlernten Objekten. Was sie zuvor erfühlt hatten, konnten sie also auch visuell bestimmen. Und was sie zuvor gesehen hatten, konnten sie auch erfühlen.

Ob die Hummeln ein komplexes mentales Konzept der Objekte entwickelten, klärt dieses Experiment leider nicht. Es könnte auch sein, dass lediglich einfache Eigenschaften verglichen wurden, wie etwa gerade Kantenlinien gegenüber runden Formen. Dass jedoch eine Verbindung zwischen Seh- und Tastsinn hergestellt wurde, begeistert Studienleiter Lars Chittka: "Ein Smartphone kann ohne jedes Bewusstsein Ihr Gesicht erkennen. Unsere Studie zeigt aber, dass im Kopf der Hummel etwas passiert, das sich von einer Maschine unterscheidet." (Friederike Schlumm, 13.3.2020)