Achtung, Handyschauer! Die richtige Nutzung des Smartphones ist ein gesellschaftspolitisches Dauerthema. "Ein Verbot kann nie zu einem kompetenten Umgang führen", sagt die Forscherin Iren Schulz.

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Es beschäftigt Lehrkräfte wie Eltern – und vor allem natürlich die Kinder: das Smartphone. Die einen sehen es als wertvolle Bereicherung zur Wissensvermittlung, die anderen als Unterrichtszerstörer. Auch die Lehrergewerkschaft greift das Thema auf und fordert zumindest "handyfreie Zonen" in den Schulen. Die deutsche Medienpädagogin Iren Schulz plädiert für einen entspannteren Umgang mit den Handys und klare Regeln.

STANDARD: Bei unserem letzten Interview haben Sie gesagt, ein Handyverbot in Schulen sei rückschrittlich, weil diese Technologien Bestandteil der Gesellschaft seien. Bleiben Sie sechs Jahre später immer noch dabei?

Schulz: Heute mehr denn je, weil digitale Medien ein wichtiger Teil unseres Alltags sind. Ein Verbot kann nie zu einem kompetenten Umgang führen. Die Schule soll aufs Leben vorbereiten, ein Handyverbot zielt am Leben vorbei.

STANDARD: In Frankreich versucht man es dennoch damit.

Schulz: Stimmt, langfristig ist das kein guter Weg. Das soll aber im Umkehrschluss jetzt nicht bedeuten: Feuer frei! Macht doch was ihr wollt! Unsere Gesellschaft muss sich dringend transparente Regeln für die Nutzung dieser Technologien aushandeln: Wie, wann und in welchem Ausmaß finden Handys und Tablets an der Schule ihren Platz?

STANDARD: Wie soll das in der Praxis laufen? Viele Lehrkräfte sehen eher einen "Unterrichtszerstörer".

Schulz: Lehrer sind verunsichert, weil sie mit diesen digitalen Technologien nicht aufgewachsen sind. Auch in ihrer Ausbildung haben sie nicht gelernt, wie das Handy in den Unterricht eingebunden werden kann. Dabei gibt es viele mögliche Einsatzbereiche: von Mathematik über den Kunstunterricht bis hin zum Fach Deutsch. Irgendwann werden sich alle Schulen damit konstruktiv auseinandersetzen müssen.

Natürlich kann ich sagen: In den Hofpausen bleiben die Handys weg. Das muss dann aber auch für die Lehrkräfte gelten.

STANDARD: Es macht doch einen Unterschied, ob ich sage: Kinder wir schauen uns den Aufbau der DNA mittels einer App an. Oder ob ein Kind ständig aufs Handy starrt oder es ständig irgendwo vibriert.

Schulz: Erst einmal muss der bewusste Umgang überhaupt ermöglicht werden. Viele lassen das ja gar nicht zu. An welchen Schulen, die ein Handyverbot haben, wurde das versucht? Ich denke, an keiner. Das Verbot kam vor der konstruktiven Auseinandersetzung.

STANDARD: Eine Studie der London School of Economics aus dem Jahr 2015 hat Schulleistungen vor und nach einem Handybann gemessen: Die Testresultate haben sich um 6,4 Prozent gesteigert.

Schulz: Ich könnte Ihnen auch 20 Studien vorlegen, die belegen, dass mit dem Einsatz von digitaler Technologie die Leistungen langfristig nach oben gehen.

STANDARD: Wenn die Lehrergewerkschaft also handyfreie Zonen fordert, ist das ein Zeichen von Hilflosigkeit?

Schulz: Das ist etwas anderes als ein generelles Verbot! Natürlich kann ich zum Beispiel sagen: In den Hofpausen bleiben die Handys weg. Das muss dann aber auch für die Lehrkräfte gelten. Diese Vorbildrolle von uns Erwachsenen ist uns nur selten bewusst.

STANDARD: Apropos Vorbild: Was sollten Eltern bei Handy und Co beachten?

Schulz: Das Wichtigste ist, Kinder von Beginn an zu begleiten und mit ihnen gemeinsam diese gesamten Dienste und Anwendungen zu erkunden. Und es braucht klare und transparente Regeln, die auch für die Erwachsenen verbindlich sind. Ich kann nicht von meinem Kind verlangen, draußen im Wald zu spielen oder kreativ zu basteln, wenn ich selbst dauernd auf einen Bildschirm glotze. Dieser Grundstein muss früh gelegt werden, damit die Jugendlichen später genug Kompetenz entwickelt haben. Bei älteren Kindern brauche ich nämlich nicht mehr sagen: Du darfst nur eine halbe Stunde am Tag! Da ist es schon zu spät.

Medienpädagogin Iren Schulz plädiert für einen entspannteren Umgang mit Smartphones – und klare Regeln.
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STANDARD: Wie ist es mit dem Umgang mit Apps, die für eine Altersgruppe eigentlich gar nicht empfohlen werden?

Schulz: Das hängt vom einzelnen Kind ab. Je weiter entwickelt es ist, desto mehr geht. Ich hatte auch schon den Fall von Zehnjährigen, die von ihren Eltern Spiele für 18-Jährige gekauft bekommen haben. Da braucht es schon noch sehr viel Aufklärung. Auf die medienbezogene Elternarbeit darf auch in der Schule nicht vergessen werden. Ein Bildungskonzept kann nur gelingen, wenn die Eltern mit im Boot sind. Das gehört etwa auf Elternabenden besprochen.

STANDARD: Da könnte gleich über die ausufernden Whatsapp-Klassenchatgruppen gesprochen werden: Wie können Kinder verstehen, dass 80 Nachrichten in zwei Stunden vielleicht nicht so gut sind?

Schulz: Vielleicht braucht es eine Ergänzung zur Hausordnung, wie in diesen Chats miteinander umgegangen wird. Wir wissen ja auch, dass wir uns grüßen oder uns nicht schubsen. Es gibt schöne Beispiele, wie etwa Benimmregeln in den Chat getragen werden können. Sind die Kinder an der Regelerstellung beteiligt, halten sie sich auch daran.

STANDARD: Laut Neurowissenschaft verändert sich das Gehirn durch intensive Handynutzung. Stichwort Konzentrationsfähigkeit.

Schulz: Deshalb sollen Kinder im Volksschulalter auch nicht fünf oder sechs Stunden vor dem Bildschirm sitzen. Der Überkonsum ist auf jeden Fall problematisch.

STANDARD: Wann ist es zu viel?

Schulz: Ich will nicht gleich den Suchtbegriff bemühen. Es gibt Empfehlungen, die sich an der WHO orientieren: bis fünf Jahre maximal eine halbe Stunde Bildschirmzeit pro Tag. Für Sechs- bis Neunjährige gilt höchstens eine Stunde täglich. Zu viel wird es, wenn das soziale Leben leidet, die Leistungen schlechter werden oder Hobbys egal sind. Aber das muss schon über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Monaten laufen. Wenn das so ist, handelt es sich um eine hochproblematische Nutzung. Da gehört gehandelt.

STANDARD: Wenn am Tag nur eine Stunde anfallen soll: Die hätte das Kind nach Ihrer Vorstellung ja schon im Unterricht ausgeschöpft.

Schulz: Das sagen Eltern immer. Ist das Handy für eine Hausübung nötig, kommt halt eine halbe Stunde drauf. Ist das Kind krank, das Wetter grottenschlecht, kann es doch auch einmal mehr sein.

STANDARD: Steigt die Handynutzung eigentlich mit dem Alter?

Schulz: Mit Eintritt in die Schule schnellt die Begeisterung in die Höhe. Alle wollen ein Smartphone besitzen und natürlich dessen Möglichkeiten erkunden. Die Hochphase ist in der Pubertät. Aber das ist auch früher schon so gewesen: schnell nach Hause und stundenlang am Festnetz hängen. Jetzt gibt es einfach nur mehr Möglichkeiten. Normalerweise wird das so mit 17, 18 pragmatischer gesehen und relativiert sich wieder. (Peter Mayr, Karin Riss, 2.3.2020)