Unter dem Eindruck von Pest und Glaube schuf Albrecht Dürer seinen berühmten Holzschnitt "Die vier apokalyptischen Reiter": Als Seuchenbringer gilt der Bogenschütze, dessen Pfeile jeden treffen können.

Albertina, Wien

Es sind Szenen, wie man sie sonst nur aus Hollywoods Katastrophengenre kennt: Minutiös skizzieren Politiker und Behörden ihre Notfallpläne. Medien berichten rund um die Uhr und tragen damit nicht immer zur Beruhigung bei. Überbesorgte und sogenannte "Prepper" – eine an Verschwörungstheorien gelabte Subkultur des Internets, die sich mit Schießübungen und Bunkermentalität auf die Apokalypse vorbereitet – kaufen Supermärkte leer. Das Coronavirus, so harmlos es sich in der Geschichte der Seuchen vielleicht einmal ausnehmen wird, versetzt die Weltöffentlichkeit in Atemlosigkeit.

In der Kunst, in Literatur und Film, ist die Thematik seit jeher zentral. Die Gründe dafür sind vielfältig. Jahrhundertelang, von den zehn Plagen in der Bibel bis zu den großen Pestepidemien, interpretierte man den Seuchenausbruch als Strafe Gottes. Die sozialen Verwerfungen, die eine solche Epidemie mit sich bringt, sind einschneidend: Das Phänomen der unsichtbaren Gefahr, der lautlosen Ansteckung über alle Grenzen und gesellschaftlichen Stände hinweg, eint und trennt die Menschen auf ganz sonderbare Weise.

Zombies und Vampire

Im Horrorfilm liefert vor allem die Zombiereihe George A. Romeros – von Night of the Living Dead (1968) bis Survival of the Dead (2009) – seit 40 Jahren psychologische Detailstudien eines solchen Ansteckungsereignisses. Ähnlich dem im Voodookult wurzelnden Zombie ist das Vampir-Motiv: In Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker Nosferatu (1922) und Werner Herzogs Fassung von 1979 ist nicht nur Graf Draculas Biss wahlweise ansteckend oder tödlich, mit den Ratten auf seinem Schiff schleppt der auch jene Flöhe ein, die die Pest in sich tragen.

Der "Schwarze Tod", wie man den verheerendstes Ausbruch der Pest in Europa zwischen 1346 und 1353 nannte, raffte ein Drittel der damaligen Bevölkerung dahin. Zahlreiche Volksmythen, Gebäude, Denkmäler und Kunstwerke erinnern daran: Albrecht Dürers berühmter Holzschnitt Die vier apokalyptischen Reiter (1498) entstand unter dem Eindruck einer Pestepidemie, Dürer selbst litt wie Friedrich Schiller an Malaria.

Die Pest als Tor zur Neuzeit

Nach Europa kam die Seuche über die früh globalisierten Städte Norditaliens. Davon zeugt auch der bis heute verwendete Begriff der Quarantäne: 1374 schrieb Venedig vor, dass ankommende Schiffe 30 Tage (trentana) auf einer Insel verharren mussten, ehe man sie in den Hafen ließ. Marseille folgte dieser Maßnahme und erhöhte die Frist sicherheitshalber auf 40 Tage (quarantena).

Es klingt schrecklich zynisch, aber zahlreiche Historiker machen den Beginn der Neuzeit, den Siegeszug der von Italien ausgehenden Renaissance, an den Verheerungen der Pest fest: Die Dezimierung der Bevölkerung sowie neuartige Hygienemaßnahmen hätten die Wirtschaft des Kontinents beflügelt, so die Annahme. Die Schuld für die Katastrophe aber suchte man wie so oft bei Minderheiten: Es kam zu Pogromen an Juden, denen man die mittelalterliche Verschwörungstheorie der Brunnenvergifter andichtete. Auch daran sei erinnert, wenn heute angesichts des aus China kommenden Coronavirus‘ asiatisch aussehende Menschen in der Öffentlichkeit angepöbelt, attackiert und bespuckt werden.

Glück im Unglück

Die oft bemühte Übergangsmetaphorik, wonach aus der Katastrophe Neues entstehe, lasen Albert Camus‘ Zeitgenossen aus dessen 1947 veröffentlichen Schlüsselwerk Die Pest heraus. Geschildert wird der Ausbruch der Seuche in der algerischen Stadt Oran. Interpretiert wurde die Erzählung als Symbol für das von den Nazis besetzte Frankreich und den zunächst aussichtslosen Kampf der Résistance gegen das hereingebrochene Übel: die Seuche als Metapher für den Zivilisationsbruch.

Der Rückzug der Bevölkerung in kleine, von der Außenwelt und den Massen abgeschnittene Gruppen, die sich bewaffnen und bevorraten, um die Katastrophe auszusitzen, ist heute ein beliebtes Sujet Hollywoods. Aber schon in Boccaccios Decamerone (14. Jhdt.) flüchtet sich eine Gruppe junger Leute vor der in Florenz ausgebrochenen Pest auf einen Landsitz, wo sie sich zur Ermunterung die heitersten Geschichten erzählt.

Im Unheil, das will uns Boccaccio zwischen den Zeilen mitteilen, verbirgt sich oft genug auch Glückliches. Aus Trotz gegenüber Leid und Tod schufen Menschen zu allen Zeiten große Kunst. Jene beiden Seuchen, die der kulturell am Zenit stehenden Gesellschaft um 1900 zusetzten – die Tuberkulose und die Syphilis – fanden auf höchst unterschiedliche Weise künstlerischen Niederschlag.

Die "Künstlerkrankheit"

Die Lungeninfektion Tuberkulose, an der u .a. Molière, Kafka, Camus oder Thomas Bernhard litten, galt ab der Romantik als beinahe schicke "Künstlerkrankheit". So seltsam es klingen mag, aber manch einer gefiel sich in der Pose des leidenden Helden, des unglücklich vom Schicksal gezeichneten Genies. Die Geschlechtskrankheit Syphilis hingegen gab für derlei Schwärmerei weniger her: Wie später auch HIV/Aids wurde das mit "sündhaftem" Verhalten assoziierte Leid lange tabuisiert und geächtet.

Thomas Mann aber thematisierte beides: Sein Jahrhundertroman Der Zauberberg (1924) handelt – unheimlich reich an Symbolik und politischen Anspielungen zur Zeit – von den mitunter psychosomatisch bedingten Leiden der besseren Gesellschaft in einem Lungensanatorium in den Schweizer Alpen. Im späteren Werk Doktor Faustus (1947) scheut Mann auch vor der Syphilis nicht zurück: Der Komponist Adrian Leverkühn lässt sich darin absichtlich infizieren, weil er sich vom "Gehirnfieber" Inspiration erhofft.

Ein ähnliches Motiv verarbeitete der österreichische Avantgarde-Autor Wolfgang Bauer in seinem Briefroman Der Fieberkopf (1967), in dem die an- und abschwellende Korrespondenz der beiden Protagonisten einer Fieberkurve folgt.

Der liebe Augustin

Zu gebührendem Nachruhm brachten es aber auch jene Erzählungen, die in den fiebrigen Ausnahmezuständen ein gewisses Maß an Hysterie erkannten. Molière, der pikanterweise selbst während einer Aufführung, in der er die Hauptrolle spielte, mitten auf der Bühne todkrank zusammenbrach, schuf den Hypochondrie-Klassiker Der eingebildete Kranke.

Und Wien, wo einst gar der römische Kaiser Mark Aurel einer Pestilenz erlegen sein soll, bleibt immer noch der schönste Galgenhumor: Das Lied vom lieben Augustin, der in der Pestgrube seinen Rausch ausschlief und überlebte, sollte allzu Angstgeplagten vielleicht auch heute Mut machen. (Stefan Weiss, 29.2.2020)