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Der britischen Innenministerin Priti Patel wird Mobbing von Mitarbeitern vorgeworfen – nicht von irgendwem, sondern vom höchstrangigen Beamten in ihrem Ressort.

Foto: Reuters / Toby Melville

Knapp drei Monate nach dem Wahlsieg schlingert die konservative britische Regierung. Premier Boris Johnson musste Kritik einstecken, weil er Überschwemmungsopfern im englischen Norden einen Solidaritätsbesuch verweigerte. Durch den dringender werdenden Informationsbedarf im Hinblick auf die Auswirkungen des Coronavirus wirkt der Regierungsboykott der BBC zunehmend albern. Und der Innenministerin Priti Patel steht ein peinlicher Arbeitsgerichtsprozess ins Haus.

Die Querelen im notorisch schlampigen Ministerium bestimmen seit mehr als einer Woche die Schlagzeilen der Zeitungen. Am Samstag ging dann der oberste Beamte des Hauses einen spektakulären Schritt in die Öffentlichkeit: Die Ministerin sei verlogen, unbeherrscht und am Mobbing beteiligt, so Staatssekretär Philip Rutnam. Weil es aus Patels Umfeld eine "gehässige Kampagne" gegen ihn gebe und die Politikerin eine Ehrenerklärung für ihn verweigere, verlasse er den Dienst und verklage die Regierung wegen "ungerechtfertigter Entlassung".

In Großbritannien ist die Beamtenschaft traditionell politisch neutral. Bei Regierungswechseln hat es schon früher Neubesetzungen hoher Ämter, nicht zuletzt der Amtschefs in wichtigen Ministerien, gegeben; meist verliefen diese geräuschlos. Offenbar versuchte der Kabinettssekretär Mark Sedwill, der höchste Beamte des Landes, auch diesmal eine gütliche Einigung herbeizuführen, was an den Protagonisten scheiterte. Das sei "sehr bedauerlich", glaubt Sedwills Vorgänger Robin Butler, der Ende des vergangenen Jahrhunderts gleich drei Premiers (Thatcher, Major und Blair) diente.

Steile Karriere nach dem Tief

Die Parteirechte Patel arbeitete als Lobbyistin für die Alkohol- und Tabakindustrie, ehe sie 2010 ins Unterhaus kam. Ihrem Eintreten für die Todesstrafe hat sie mittlerweile abgeschworen, energische Brexit-Befürworterin blieb sie. Als Frau mit Migrationshintergrund – ihre Eltern kamen aus Indien via Uganda auf die Insel – machte sie in ihrer von weißen Männern geprägten Partei rasch Karriere, gehörte auch schon unter Theresa May als Entwicklungshilfeministerin dem Kabinett an, wurde aber wegen geheimer Kontakte zur israelischen Regierung gefeuert. Damals wurde Patel bei einer Lüge ertappt.

Seit Johnson sie im Juli überraschend in eines der schwierigsten Ministerien berief, häufen sich die Probleme. Die Ministerin schreie herum, mache Mitarbeiter zur Schnecke und veranlasse unnötige Nachtschichten, hieß es lange hinter vorgehaltener Hand.

Johnsons volles Vertrauen

Die BBC berichtete am Sonntag zusätzlich über die Mobbingbeschwerde einer Beamtin im Arbeitsministerium wo Patel 2015 tätig war. Solche Berichte seien meist "Hinweis auf eine Überforderung", glaubt Jonathan Powell, der dem Labour-Premier Tony Blair (1997 bis 2007) als Stabschef diente. Aus Johnsons Amtssitz an der Downing Street hieß es knapp, der Premier habe "Vertrauen in sein Kabinett". Der Favorit im Rennen um den Labour-Parteivorsitz, Keir Starmer, forderte eine umfassende Untersuchung.

Ob zufällig oder nicht lüftete Downing Street am Samstag ein mehr oder weniger offenes Geheimnis: Johnsons Freundin Carrie Symonds erwartet ihr erstes Kind. Erst im vergangenen Monat einigte sich Johnson mit seiner langjährigen zweiten Frau Marina, der Mutter seiner vier ehelichen Kinder, auf die Scheidung, von der seit zwei Jahren die Rede war. Die PR-Expertin Symonds lebt bereits seit Juli mit dem Regierungschef zusammen. Das für Sommer prognostizierte freudige Ereignis fand sich Sonntag auf den Titelseiten vieler Zeitungen. (Sebastian Borger aus London, 1.3.2020)