In der Kantine einer chinesischen Schuhfabrik in Wenzhou sitzt nur eine einzige Arbeiterin. Wenn Lieferungen aus China ausfallen, kann es allzu leicht zu Rechtsstreitigkeiten kommen.

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Von Tag zu Tag werden die Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft stärker. Für Juristen stellt sich dabei primär die Frage, ob die Ausrufung einer internationalen Gesundheitsnotlage durch die Weltgesundheitsorganisation WHO am 30. Jänner und die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus zur Suspendierung oder gar Aufhebung von Liefer- und sonstigen Vertragserfüllungspflichten führt, etwa auch in Geschäftsbeziehungen mit China.

Force majeure oder höhere Gewalt bezeichnet ein ursprünglich bereits im römischen Recht in Ansätzen entwickeltes Lösungskonzept der Gefahrtragung, insbesondere bei Naturereignissen. Schon Juristen in der Antike befassten sich mit der Frage der Verpflichtung zur Zahlung der Landpacht trotz entfallener Ernte (bzw. umgekehrt des Erlöschens dieser Pflicht) und verneinten diese bei Gewalt, der man nicht widerstehen könne ("vis, cui resisti non potest").

Im österreichischen Verständnis

Auf diesem Grundsatz entstand in Kontinentaleuropa das Rechtsinstitut der Force majeure / höheren Gewalt. Im österreichischen Verständnis stellt "höhere Gewalt ein von außen einwirkendes elementares Ereignis dar, das auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt nicht zu verhindern war und so außergewöhnlich ist, dass es nicht als typische Betriebsgefahr anzusehen ist".

Im Common Law, der Grundlage angloamerikanischer Verträge, war eine Vertragsauflösung infolge Leistungsunmöglichkeit zunächst überhaupt nicht und später nur in sehr engem Rahmen vorgesehen.

Im englischen Präzedenzfall Taylor v. Caldwell von 1863 wurde für derartige unvorhergesehene und unverschuldete Leistungsstörungen der Begriff "Act of God" verwendet. Der Beweismaßstab für eine erfolgreiche Geltendmachung ist hier allerdings höher als bei Force majeure, und ohne präzise Vertragsausgestaltung sind die Erfolgsaussichten niedrig.

Nicht vorhersehbar

Das kodifizierte Zivilrecht der Volksrepublik China kennt ebenfalls Force majeure und definiert diese als objektiven Umstand, der nicht vorhersehbar, unvermeidlich und unüberwindlich ist.

Einen speziell für Lieferverträge anwendbaren Force-majeure-Tatbestand enthält das UN-Kaufrecht: Laut Artikel 79 entfällt für den Lieferanten eines internationalen Kaufvertrages die Haftung für ein aus höherer Gewalt resultierendes Leistungshindernis. Ist die Erfüllung sogar auf Dauer unmöglich, entfällt der Erfüllungsanspruch.

Enthält ein Vertrag keine Force-majeure-Klausel, dann muss zunächst das anwendbare Recht ermittelt werden. Dabei ist eine kodifizierte Rechtsordnung mit entsprechend gefestigter Lehre und Judikatur von Vorteil.

Anwendungsprobleme

Force-majeure-Regelungen in Verträgen enthalten üblicherweise eine allgemeine Definition des Begriffes, verbunden mit Anwendungsbeispielen sowie Notifizierungspflichten.

Beruft sich eine Partei darauf, dann wird sie von ihrer Leistungspflicht zunächst vorübergehend frei. Hält der Zustand länger an, geht diese Vertragssuspension in ein beiderseitiges Kündigungsrecht über.

Selbst bei sehr detaillierten Regelungen ergeben sich jedoch Anwendungsprobleme. Während der Beginn einer Force majeure meistens einvernehmlich festgehalten wird, können sich Streitigkeiten zum Ende dieses Umstandes ergeben, ebenso aus nicht vertragskonformen Mitteilungen. Zudem wird der Umstand höherer Gewalt nicht immer ausreichend belegt

Fazit: Eine Einordnung von Covid-19 als Force-majeure-Ereignis wird nicht allzu strittig sein, die Konsequenzen hängen jedoch von der anwendbaren Rechtsordnung und der Vertragsgestaltung ab. Eine Geltendmachung von Force majeure sollte strategisch gut überlegt sein, denn sie kann zu langwierigen Verfahren führen. (Jasna Zwitter-Tehovnik, 2.3.2020)