Ergebnisse der Jahrestagung der Nationalökonomischen Gesellschaft an der WU Wien.
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Letzte Woche fand an der Wirtschaftsuniversität Wien die Jahrestagung der Nationalökonomischen Gesellschaft (NOeG), des offiziellen Vereins der österreichischen ÖkonomInnen, statt. Als Generalthema war dabei "Evidenzbasierte Wirtschaftspolitik" gewählt worden. In den vergangenen Monaten hat die Frage nach der Evidenzbasierung von politischen Maßnahmen eine größere öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. So haben etwa der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph Badelt, und jener des Instituts für Höhere Studien, Martin Kocher, im November vergangenen Jahres in einem Manifest mehr evidenzbasierte Politik eingemahnt und vier Schritte vorgeschlagen, um zu mehr evidenzbasierter Politik in Österreich zu gelangen. Das im Jänner vorgestellte Regierungsprogramm griff dann eine bereits lange bestehende Forderung aus der Wissenschaftscommunity auf. Demnach soll in Österreich ein "Austrian Micro Data Center" geschaffen werden, das es der Wissenschaft ermöglichen soll, hochqualitative Daten für Forschungszwecke und zur Evaluierung von (wirtschafts)politischen Maßnahmen zu nutzen.

Der Einfluss wissenschaftlicher Forschung

Dass die wissenschaftliche Forschung die öffentliche Debatte und die Politik tatsächlich zu beeinflussen vermag, konnte erst unlängst wieder beobachtet werden. Medial wurde breit über eine neue Studie berichtet, die den Zusammenhang zwischen der Höhe von bundeslandspezifischen Sozialleistungen und der Wohnortwahl von geflüchteten Menschen in Österreich untersucht hatte. Diese Arbeit wurde im Rahmen eines öffentlichen Vortrags präsentiert; eine schriftliche Endfassung liegt dazu noch nicht vor. Nichtsdestoweniger hat die Berichterstattung dazu geführt, dass hochrangige Regierungspolitikerinnen und -politiker sowie der Wiener Bürgermeister auf die Studienergebnisse medial reagiert haben.

Während der zweitägigen NOeG-Tagung wurden mehr als 100 wissenschaftliche Forschungsarbeiten präsentiert und diskutiert, darunter auch die erwähnte Studie. Höhepunkte der Konferenz waren zwei Vorträge von Dina Pomeranz von der Universität Zürich und von Martin Halla von der Universität Linz sowie eine Podiumsdiskussion zum Generalthema mit Robert Holzmann, dem Gouverneur der österreichischen Nationalbank, Klemens Himpele, dem Abteilungsleiter der MA 23 "Wirtschaft, Arbeit und Statistik" der Stadt Wien und Dina Pomeranz. Auf dem Podium herrschte große Einigkeit darüber, dass mehr evidenzbasierte Politik in Österreich wünschenswert ist. Die größte Herausforderung hierbei sahen die drei Gäste in der Verbesserung der Zusammenarbeit und Kooperation zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Politik. Ein besseres gegenseitiges Verständnis auf allen Seiten könnte helfen, so lautete der Tenor, bestehende Vorurteile gegenüber evidenzbasierter Politik abzubauen und die unterschiedlichen Rollen im Entscheidungs- und Umsetzungsprozess von politischen Maßnahmen besser wahrnehmen zu können.

Steuerreformen in Entwicklungsländern

Jesús Crespo Cuaresma ist Professor für Volkswirtschaft an der WU Wien und leitet das Institut für Makroökonomie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie und angewandte Ökonometrie.
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Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaft an der WU Wien und stellvertretender Vorstand des Instituts für Internationale Wirtschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen wirtschaftliche Integration und Außenhandelsökonomie.
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Rupert Sausgruber ist Professor für Finanzwissenschaft und Vorstand des Departments Volkswirtschaft der WU Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Finanzwissenschaft und Verhaltensökonomik.
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Dina Pomeranz präsentierte ihre Forschung bezüglich Steuerpolitik in Entwicklungsländern und Ländern mittleren Einkommens. Auf Basis von zwei Studien, die gemeinsam mit den Steuerbehörden in Chile und Ecuador durchgeführt worden waren, diskutierte sie, wie die Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung mit der Wissenschaft und der Zugang zu administrativen Daten zum Erkenntnisfortschritt in der Wirtschaftswissenschaft sowie zur Verbesserung im Staatssektor beitragen können. In ihren Arbeiten beschäftigte sie sich mit der Messung der kausalen Effekte von Steuerreformen in Ländern, in denen die Einnahmekapazität des Staats nicht sehr groß ist. Da der Staat eine zentrale Rolle als Investor in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit in Entwicklungsländern spielt, ist die Relevanz dieser Forschungsergebnisse für die Implementierung von evidenzbasierten Politikmaßnahmen außergewöhnlich hoch.

Martin Halla ging in seinem Vortrag der Frage nach, wie die Verfügbarkeit von Registerdaten und administrativen Datenquellen die Grundlagenforschung sowie die angewandte Forschung in der Volkswirtschaftslehre beeinflusst und verändert hat. Zu diesem Zweck hatte er eine bibliometrische Auswertung aller Publikationen in den weltweit führenden Fachzeitschriften der Wirtschaftswissenschaften angestellt. Seine Ergebnisse sind eindeutig: Verwendeten im Jahr 2010 nur rund fünf Prozent aller in den qualitativ hochwertigsten Fachzeitschriften publizierten Forschungsarbeiten administrative Daten, so stieg dieser Anteil bis zum Jahr 2018 auf etwa 29 Prozent. Vor allem in den skandinavischen Ländern wurde der Datenzugang zu diesen hochwertigen Datenquellen bereits vor Jahren für wissenschaftliche Zwecke erleichtert. Hierdurch konnte die Wissenschaft neuen Fragen nachgehen und diese auf Basis der besseren Datenlage überzeugend beantworten.

Ohne Zugang zu administrativen Daten wird es für die akademische Forschung in Österreich zunehmend schwieriger, international wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Zugang zu hochqualitativen Datenquellen ist nicht nur ein maßgeblicher Baustein zur Absicherung des Wissenschaftsstandorts Österreich; er ist darüber hinaus auch eine notwendige Voraussetzung für evidenzbasierte Politik. Eine schnelle Umsetzung des Austrian Micro Data Centers und neue Formen der Kooperation zwischen der Wissenschaft und der amtlichen Statistik sind dringlich geboten, um über evidenzbasierte Politik nicht nur diskutieren, sondern diese auch im politischen Prozess leben zu können. (Harald Oberhofer, Jesús Crespo Cuaresma, Rupert Sausgruber, 3.3.2020)