Eine Regel der Sterbehilfe lautet: Die sterbewillige Person muss selbst das Medikament nehmen können.

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Thomas Thaa will es nicht verstehen. Er regt sich auf: "Suizid ist in Österreich nicht strafbar. Wieso sollte dann die Beihilfe zu einer nicht strafbaren Handlung strafbar sein?" Der 75-jährige Niederösterreicher ist ein Betroffener der Gesetzeslage in Sachen Sterbehilfe in diesem Land. Seine Frau erkrankte 2016 an Bauchspeicheldrüsenkrebs, die Heilungschancen waren gleich null. Ins Ausland zu reisen war angesichts ihres Zustands unrealistisch. Schließlich erschoss sie sich im Herbst 2017 in der Badewanne – mit seinem Revolver. "Hätte sie trotz Kopfschusses noch gelebt, hätte ich das für sie erledigt", sagt Thaa dem STANDARD. Kurz davor hatte sie ihren Suizid bei der Polizei angekündigt, um ihren Mann vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen. Dennoch wurde Thaa im Sommer 2018 wegen Mitwirkung am Selbstmord zu zehn Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt.

Antrag beim VfGH

Es ist diese Erfahrung, die dazu geführt hat, dass Thaa mit drei Personen – zwei weiteren Betroffenen und einem Arzt – einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingereicht hat, um eine Liberalisierung der Sterbehilfe in Österreich zu erreichen. Frühestens im Juni wird sich das Höchstgericht damit beschäftigen. Die vier Antragsteller werden vom Anwalt Wolfram Proksch vertreten. Ob das Urteil in Deutschland vergangene Woche, mit dem das Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" aufgehoben wurde, auch Konsequenzen auf die Entscheidungsfindung in Österreich hat? Proksch meint generell, es sei "unwahrscheinlich, dass die restriktiven Regelungen auf Dauer halten werden".

Mit all dem einher geht nun eine Diskussion darüber, ob das Angebot einer begleiteten Sterbehilfe, wie es sie etwa in der Schweiz seit Jahrzehnten gibt, die Nachfrage nach dem Tod erhöht. Zahlen von Dignitas, einer Schweizer NPO, zeigen, dass der Bedarf in Österreich schon jetzt vorhanden ist: Der Verein zählte nach eigenen Angaben 2019 224 Mitglieder aus Österreich.

Jedoch gehe es dabei, so betont man bei Dignitas, nicht nur um Freitodbegleitung, sondern ebenso um Lebenshilfe und Suizidprävention. Im Jahr 2017 wurden sieben Menschen aus Österreich von Dignitas in den Freitod begleitet – genauso viele wie aus der Schweiz. Neun Delikte wurden 2018 in Österreich wegen Mitwirkung am Selbstmord angezeigt. Der zweite Paragraf, der den Freitod in Österreich gesetzlich regelt, ist die Tötung auf Verlangen, zwei dieser Delikte wurden im selben Jahr angezeigt. Bei beiden Straftatbeständen sind Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen.

Kritik von Wissenschaft und Kirche

An dem, was Dignitas und Exit machen, gibt es Kritik – etwa vonseiten der Kirche. Susanne Kummer vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik der Österreichischen Bischofskonferenz sagt, es sei wichtig, sich nicht mit den Suizidgedanken einer Person zu solidarisieren, sondern "ihr zu versichern, dass das Leben lebenswert ist". Aber auch vonseiten der Wissenschaft: Ulrich Körtner, er leitet das Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Uni Wien, sagt, er sei "im Zweifel für die Freiheit", aber dennoch gegen eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen, "weil ich den gesellschaftlichen Druck schon sehe, dass Angebote auch Nachfrage schaffen", so Körtner. Er betont außerdem, dass Sterbehilfeorganisationen ökonomische Interessen verfolgen oder sich an Anträgen an Höchstgerichte beteiligen. "Da sind Verflechtungen, die man berücksichtigen muss", sagt Körtner, der in Kommentaren von "dubiosen Praktiken" einschlägiger Organisationen schrieb.

Diese weist man zurück. So heißt es von Jürg Wiler, dem Vizepräsidenten von Exit, einer weiteren Schweizer Organisation, die aber keine Ausländer betreut, man halte klare gesetzliche Regelungen ein. Etwa dass eine Sterbebegleitung nicht aus selbstsüchtigen Gründen erfolgen dürfe, dass der sterbewillige Mensch urteilsfähig sei und sein Sterbewunsch "autonom, wohlerwogen und dauerhaft" zustande kam.

Gegen Kommerzialisierung

Die österreichische Bioethikkommission vertritt seit Jahren die Position, dass die Beihilfe zum Suizid differenzierter gesehen werden muss. Nach aktueller Rechtslage nämlich, so sagt Vorsitzende Christiane Druml, würde sich ein Arzt schon strafbar machen, wenn er einen suizidwilligen Patienten nicht sofort in eine geschlossene Anstalt einweisen würde – das verhindere ein offenes Gespräch. Vom deutschen Urteil sei Druml "sehr angenehm überrascht", sagt sie, es könne hier "richtungsweisend" sein – auch wenn sie eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe ablehnt.

Was sich Thomas Thaa, der Mann, dessen Frau sich in der Badewanne erschoss, vom VfGH erwartet? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das Verbot fallenlassen." Es werde wohl "irgendeine Begründung geben, die zum Schreien sein wird". (Kim Son Hoang, Gabriele Scherndl, 2.3.2020)