Das wohl gespenstischste Dokument aus der Jugendzeit Adolf Hitlers ist ein Gruppenbild seiner Volksschulklasse in Leonding von 1899/1900. Es zeigt den damals Zehnjährigen mit verschränkten Armen, starrem Blick und hochgerecktem Kinn in der Mitte der obersten Reihe – Zufall oder nicht: Genau so wird sich Hitler als späterer Diktator häufig inszenieren.
"Er hat die Menschen nie auf Augenhöhe angesprochen. Er sah sich immer entweder neben oder über der Gesellschaft", sagt der Historiker Hannes Leidinger. Gemeinsam mit Christian Rapp, Andrea Thuile und Benedikt Vogl vom Haus der Geschichte Niederösterreich hat Leidinger in St. Pölten die Ausstellung Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators gestaltet. Die Schau zeichnet die Zeit von der Geburt in Braunau am Inn im Jahr 1889 über Hitlers Jahre in Wien bis zur Auswanderung nach München und freiwilligen Meldung zum Kriegsdienst in der Bayerischen Armee 1914 nach.
Nationalismus, Militarismus, Rassismus
Erstmals stand dafür der Nachlass von Hitlers Jugendfreund August Kubizek (1888–1956) zur Verfügung, den die Erben nun auch dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands zugänglich machen. Parallel zur Ausstellung ist das Buch Hitler – Prägende Jahre im Residenz-Verlag erschienen.
Als Standardwerk zum Thema gilt aber noch immer Brigitte Hamanns Hitlers Wien (1996), in dem die Sozialisierung des späteren Diktators vor dem Panorama der Weltmetropole Wien um 1900 gezeichnet wird. Diesem Konzept folgt auch die Ausstellung: Denn Hitlers Lebensstationen sind nur ein Strang der Erzählung, zwei Drittel der Schau aber sind der Gesellschaft, die ihn prägte, gewidmet. Den Kuratoren geht es darum, die Wurzeln von Hitlers Gedankengut offenzulegen, das Klima aus Nationalismus, Militarismus, Rassismus und Antisemitismus, das damals in ganz Europa herrschte, aber in der kriselnden Vielvölkermonarchie ein besonders explosives Gemisch ergab.
Schönerer und Lueger als Vorbilder
Ein Strang der Schau befasst sich mit der Genese des deutschnationalen Lagers, das sein Zentrum in Oberösterreich hatte und sich in Linz 1882 erstmals ein Programm gab. Dessen Führer, Georg Ritter von Schönerer, ließ sich mit "Heil" rufen und wurde von seiner völkischen Anhängerschaft mit "deutschen" Ritterschwertern oder Krügen mit Sprüchen wie "Durch Reinheit zur Einheit" beschenkt. Für Hitler war er eine der beiden politischen Leitfiguren.
Der andere war Karl Lueger. Der beliebte christlich-soziale Bürgermeister Wiens, der einerseits als großer Modernisierer der Donaumetropole galt, andererseits aber mit radikalem Antisemitismus politisches Kleingeld machte, verkörperte jene Art des "Volkstribuns", die Hitler begeisterte.
Die Ausstellung will deutlich machen, dass der Antisemitismus Hitlers nicht erst in München zutage trat, wie heute oft fälschlich behauptet wird, sondern den Heranwachsenden schon in Linz und Wien geprägt haben muss.
Früher Bund der Antisemiten
Obwohl in Oberösterreich 1869 gerade einmal 0,09 Prozent der Bevölkerung Juden waren, war die Presse voll von antisemitischer Hetze: "Kauft nicht bei Juden" titelte etwa die christliche-soziale Linzer Post. Der konservative Antisemitismus, so die Ausstellungsmacher, war phasenweise radikaler als der völkische und steigerte sich bis hin zu frühen Vernichtungsfantasien, Juden mit Schädlingsbekämpfungsmitteln zu beseitigen.
Erstmals belegen können die Kuratoren der Ausstellung, dass es in Wien einen Bund der Antisemiten gab, der zum Ziel hatte, Deutschnationale und Christlich-Soziale im gemeinsamen Feindbild zu einen. Den Erzählungen August Kubizeks zufolge sei Hitler diesem 1908 beigetreten.
Die Macht der Bilder
Relativiert wird hingegen der oft behauptete Einfluss von völkischen "Ariosophen" wie Jörg Lanz von Liebenfels, dessen Schriften wie Ostara kaum gelesen wurden. Im Gegensatz zum späteren SS-Chef Heinrich Himmler, der an allerhand Hokuspokus glaubte, soll Hitler zu neugermanischen Sektierern, Obskuranten und Esoterikern eher Abstand gehalten haben. "Er war auf den Mainstream aus – und das machte ihn so gefährlich", so die Kuratoren. Viel einflussreicher dürften Autoren wie der britische Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain gewesen sein, der einen seiner Bestseller in Wien schrieb.
Ein weiterer Fokus liegt auf Hitlers Beziehung zur Ästhetik. Als optisch gepolter Mensch habe er früh um die Macht der Bilder gewusst, heißt es. Massenaufmärsche, Fahnen- und Fackelzüge hätte er sich mitunter beim ansonsten verhassten politischen Lager der Sozialisten abgeschaut.
Das künstlerisch-weltanschauliche "Erweckungserlebnis" habe Hitler nach ersten Theaterbesuchen in Linz ereilt: Richard Wagner, dessen Werke und antisemitische Schriften er fortan geradezu inhalierte. Mittels Tonaufnahmen und Originalmodellen der damaligen Bühnenbilder lässt die Ausstellung erahnen, welche Wirkung die oft völkisch motivierten Inszenierungen auf Hitler gemacht haben müssen.
Vom Maler zum Politiker
An den eigenen künstlerischen Ambitionen – zu sehen sind Architekturskizzen und Malereien Hitlers – wird dessen Größenwahn bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung deutlich. Niederlagen "bewältigt" er, indem er auf die nächsthöhere Ebene wechselt: Nach der gescheiterten Karriere als Maler will er Architekt werden und dann – als auch daraus nichts wird – Städteplaner. Die Politik schließlich bezeichnete Faschistenführer Benito Mussolini als "größte Kunst", weil sie mit "lebendigem Material" arbeite: dem Menschen.
Die Realschule in Steyr übrigens verließ Hitler mit 16 Jahren ohne Abschluss. In Deutsch setzte es für den späteren "großdeutschen Führer" ein "Nicht genügend".
(Stefan Weiss, 3.3.2020)