Zuerst dachte ich, der andere Läufer habe lediglich gegrüßt. Also erwiderte ich sein thumbs up. Wenn ich mich recht erinnere, mit einem Victory-Zeichen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches: Läufer grüßen einander. Zumindest dann, wenn nicht gerade Horden unterwegs sind. Und an einem Wochentag ist zwischen sieben und acht Uhr morgens auch auf der Hauptallee nicht viel los.

Seltsam war nur, dass der Mann, der mir da entgegenkam, mir dann etwas zurief. "Sehr vernünftig" nämlich – und umgehend eine Erklärung anhängte: "Man sollte sich wirklich auch beim Laufen gegen Corona schützen." Bevor ich verstand, worum es ging, griff er zu seinem Schlauchschal-Halstuch, zog es bis über die Nase hoch – und war an mir vorbei.

Foto: Tom Rottenberg

Ich brauchte noch ein paar Meter, bis der Groschen fiel. Und dann wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Ich hatte mein Buff auch hochgezogen. Aus einem ganz einfachen Grund: Kalter Wind kann nerven. Und um die Atemluft ein bisserl anzuwärmen, ziehe ich das Tuch dann manchmal kurz hoch. Das tue ich öfter. An Corona habe ich dabei noch keine Sekunde gedacht. Aber auch an keine andere Krankheit: Ich war im Prater einfach eine lockere Runde im Grundlagentempo gelaufen – und hatte gedacht, dem Wahnsinn und der Hysterie zumindest in dieser kurzen Stunde entkommen zu können.

Foto: Tom Rottenberg

Ich bin kein Arzt. Und wenn WHO und Co von einer Pandemie und einer hohen Infektionsgefahr reden, ganze Regionen abgeriegelt werden und die Weltwirtschaft drauf und dran ist, in die Knie zu gehen, verstehe sogar ich, dass es hier nicht um leichten Schnupfen geht.

Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen Vorsicht und Vorsorge – und Panik und Hysterie. Vieles (gefühlt eigentlich das meiste) von dem, was mir da vergangene Woche begegnete, war beyond reason. Und ansteckender als jedes Virus: Am Wochenende fühlte sogar ich mich dann beinahe schuldig, weder Konservendosen gehamstert noch einen Jahresvorrat an Nudeln oder Klopapier gekauft zu haben.

Foto: Tom Rottenberg

Aber diesen Montag war es dann eh schon vorbei. Nicht die Krankheit – aber jene Hysterie, in der mitunter fast ein Hauch Zufriedenheit mitgeschwungen war. Das darf man natürlich weder zugeben noch laut sagen. Aber zwischen den Zeilen fühlte es sich manchmal fast so an: Endlich war da wieder etwas, das tatsächlich gefährlich war. Etwas Dunkles, Böses, Unsichtbares. Etwas, das willkürlich und ungerecht zuschlagen kann. Und dem man ohnmächtig gegenübersteht. Wann kriegt man so was in unserer doppelt und dreifach abgesicherten Komfortzonenwelt sonst schon noch?

Foto: Tom Rottenberg

Darüber, ob man in solchen Zeiten laufen (oder generell: Sport machen) kann und soll, hatte ich mir exakt keine Sekunde lang den Kopf zerbrochen. Meine persönlichen Vorsichtsmaßnahmen unterscheiden sich nämlich nicht von denen, die ich schon zu Beginn der Grippesaison angeworfen habe: Expositionsvermeidung (auf Deutsch: möglichst Rad- statt U-Bahn) ist zwar keine Garantie, reduziert aber das Infektionsrisiko. Und fiel heuer wetterbedingt leichter denn je (ich habe darüber hier schon geschrieben.

Foto: Tom Rottenberg

Dass man sich beim Heimkommen und nach Kontakt mit der Welt da draußen die Hände mit Seife wäscht, wurde mir in etwa zur gleichen Zeit beigebracht wie das Zähneputzen.

Und Bewegung an der frischen Luft ist, solange man nicht kränkelt, gesund und stärkt auch das Immunsy…

Äh: Stopp! Als Nächstes wird wohl die Schwerkraft infrage gestellt. Oder die Erde wieder zur Scheibe erklärt.

Foto: Tom Rottenberg

Und falls Ihnen in den nächsten Tagen und Wochen Bilder unterkommen, bei denen Sportler einander nicht die Hand schütteln, sondern nur kurz die Fäuste touchieren lassen: Auch das ist alles andere als neu. Bei internationalen Bewerben und Events (hier der Great Ethiopian Run in Addis Abeba 2018) ist derlei längst üblich. Manche tun es, weil es vielleicht cooler aussieht. Andere, vor allem echte Athleten, aber, weil es einen (kleinen) Unterschied macht, ob ein trockener Knöchel kurz einen Knöchel trifft – oder eine feuchte Handfläche auf eine andere. Hände werden natürlich trotzdem gewaschen.

Und: Auf US-Kreuzfahrtschiffen gilt seit Jahren "Please refrain from shaking the captain's hand". Beim "Captain's Dinner" empfängt der Kapitän seine Gäste dann mit demonstrativ hinter dem Rücken verschränkten Händen.

Handdesinfektionsspender gibt es fast überall – und man verwendet sie. Ganz selbstverständlich und ganz ohne C-Panik.

Foto: Tom Rottenberg

Trotzdem: Ich bin kein Arzt. Und wenn ein ganzes Land hysterisch hyperventiliert, lasse ich lieber wen zu Wort kommen, dessen Qualifikation unbestritten ist. Etwa den Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener Sportordination.

Die Frage war einfach: Vier oder fünf schlaue Sätze zu sportlichen Dos and Don'ts in Zeiten des Coronavirus-Wahnsinns. Die Antwort des Arztes kam postwendend – und war wenig überraschend. Robert Fritz warnt vor Hysterie und Panik und empfiehlt (kurz gefasst) "alle Maßnahmen, die jedes Jahr im Frühjahr, wenn die Grippewelle Wien erreicht, sinnvoll sind und ganz leicht umzusetzen sind. Von meiner Seite also keine Panik, aber vernünftiges Verhalten und Hände waschen ;-)"

Foto: Tom Rottenberg

Aber natürlich gibt es dazu auch eine ausführliche Version. Hier ist sie:

"Regelmäßiger Ausdauersport in den richtigen Intensitätsbereichen stärkt das Immunsystem. Das ist keineswegs neu, aber besonders jetzt mal wieder extrem wichtig. Fitte Menschen überstehen eine Infektion mit dem Coronavirus deutlich leichter und mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne irgendwelche Probleme. Ein paar Tage Fieber, und das war's. Für Menschen, die unfit sind, die eventuell eine Immunschwäche haben oder eine Grunderkrankung (Tumorerkrankungen et cetera), die ihren Körper bereits schwächt, kann die Erkrankung gefährlich werden. Fitness bedeutet auch Gesundheit!"

Konkret, so der Mediziner, der selbst Winter-Ausdauersportler ist (im Bild beim Langlaufen), bedeutet das: "Alle, die sich gesund fühlen, sollen auch jetzt weiter Sport betreiben. Natürlich empfehle ich jetzt eher Sport im Freien als im Fitnesscenter. Ich würde im Moment die Intensitäten und Umfänge etwas reduzieren, um nicht ein open window zu erzeugen, in dem dann an einem Montagmorgen in der Straßenbahn ein Virus seine Chance sieht. Das ist aber generell auch für grippale Infekte und die Virusgrippe, die echte Grippe, relevant, nicht nur für Corona."

Foto: @sportordination.com

Womit wir bei den Schutzmaßnahmen (und irgendwie ja auch bei meinem Buff auf der Hauptallee) wären: "Ein Mundschutz bringt nichts für eine Prophylaxe! Habe ich das Virus, habe ich auf der Straße nichts zu suchen – habe ich keine Infektion, ist ein Mundschutz nicht sinnvoll."

Und dann kommt das, was man tatsächlich tun kann. Und soll: "Regelmäßig Händewaschen. Wenn kein Wasser zur Verfügung steht, Handdesinfektionsmittel verwenden – besonders wenn man nach Hause oder ins Büro kommt oder nach Kontakt mit anderen Menschen."

Was Fritz zum Schluss noch betont: All das gilt nur, solange man gesund ist – und kein Verdachtsfall. Was dann zu tun ist, "hört und liest man im Moment in allen Medien" – und wird aber dann manchmal so hysterisch hochgejazzt, dass man auf der Hauptallee als Prophylaxe-Vorbild angesehen wird, wenn man gegen kalten Wind einen harmlosen Stofffetzen vor dem Mund hat. (Thomas Rottenberg, 4.3.2020)


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