Vizekanzler Werner Kogler hat eigene Ansichten. Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer teilen diese nicht.

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Werner Kogler hat eine Meinung, und er ist fast ein wenig unglücklich damit. Seine Privatmeinung sei das, nicht Regierungsmeinung. Und er sagt das auch nur so halblaut. Dass man sich nicht ganz abschotten und abputzen könne von dem, was so rundherum passiere. Dass es vielleicht schlau wäre und auch menschlich, ein paar Flüchtlinge aufzunehmen, die in Griechenland gestrandet sind, ein paar nur, Frauen und Kinder. Weil die da ums Überleben kämpfen, sagt Kogler.

Und wer sich ein wenig dafür interessiert und die Augen aufmacht, muss sagen: Ja, das stimmt. Die Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ist tatsächlich katastrophal, und das nicht erst seit gestern oder vergangener Woche. Und es stimmt auch, dass besonders viele Frauen und Kinder darunter sind, die frieren und hungern, die in einer ganz schrecklichen Situation sind. Und das in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Das ist ein unhaltbarer und ein wirklich beschämender Zustand.

Aber Kogler deklariert das als seine Privatmeinung, eine, die er auch mit anderen teilt, wahrscheinlich nicht nur mit Grünen. Nicht aber mit dem Koalitionspartner. Die ÖVP will gar keine Flüchtlinge aufnehmen, auch nicht ein paar, auch keine Frauen und Kinder. Und es stimmt natürlich: Das steht nicht im Regierungsübereinkommen. Daher soll und wird es auch nicht passieren. Österreich nimmt keine Flüchtlinge. Auch nicht ein paar. Stattdessen macht Österreich die Grenzen dicht, die eigenen, die entlang der Balkanrouten und auch jene von Griechenland, da helfen wir gerne mit, finanziell, personell, logistisch.

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Routen zu, Grenzen dicht

Werner Kogler ist das Unglück anzusehen, wenn er so dasteht mit Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer, der eine gibt das Thema vor, der andere repetiert es brav, immer wieder: Routen zu, Grenzen dicht. Und die ÖVP-Argumentation ist auch einleuchtend: Mit ein paar Flüchtlingen ist es nicht getan. Nimmt man ein paar, kommen immer mehr, so breitet der Bundeskanzler seine Erzählung aus, da werden aus ein paar zehntausend gleich Hunderttausende, die sich auf den Weg machen. Ein paar Gewaltbereite sind auch darunter, wir sehen das Tränengas an der Grenze, vielleicht sogar ein paar Terroristen. Da wird einem angst und bange.

Natürlich ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein ganz besonderer Ungustl, und natürlich trägt die Türkei Mitschuld an der wiederholten Eskalation der Lage in Syrien. Aber die vielen Flüchtlinge in der Türkei sind offenbar nicht so schlecht versorgt. Jedenfalls besser als jene, die in Griechenland gestrandet sind.

Perfektes Feindbild

Erdoğan ist das perfekte Feindbild, aber so schwarz oder weiß ist die Lage eben nicht. Das versucht Kogler etwas kleinlaut darzustellen. Und dass sich auch Österreich nicht so ganz raushalten wird können, dass es auch eine internationale Solidarität geben wird, nicht nur mit Griechenland beim Schutz der Grenzen, sondern auch mit der Türkei bei der Versorgung der Flüchtlinge.

Sebastian Kurz will ja auch kein Unmensch sein, daher hat Österreich einmal drei Millionen Euro extra für die Flüchtlinge in Syrien bereitgestellt. Das ist schon etwas, das soll man nicht klein- oder schlechtreden. Aber zum Markenkern und Selbstverständnis der ÖVP passt die andere Botschaft, jene der geschlossenen Grenzen, besser, das ist ja auch eine Kommunikationsstrategie.

Erdoğan ist nicht der Einzige, der Flüchtlinge zum Spielball macht, der Menschen missbraucht. Diesen Spielball, den peppeln auch die Staatschefs in der EU auf, den peppelt ganz gekonnt der österreichische Bundeskanzler auf. Kogler wird dazu eine Meinung haben. Die Koalition sollte es aushalten, dass er diese auch äußert. Vielleicht noch etwas deutlicher. Das soll man ruhig ausdiskutieren, auch weil es wehtut, gerade weil es wehtut. (Michael Völker, 3.3.2020)