Sebastian Pass, Steffi Krautz und Nadine Quittner (v. li. in Puffärmelblusen von Karoline Berner) teilen sich im Volx Margareten ein Kellerloch. Ihre Haushaltsführung ist gewissenhaft, aber eigenwillig.

Foto: Christine Miess / Volkstheater

Die ach so ehrfürchtig weitergetragenen Menschheitsdramen sind zu eng. Sie bilden nicht alles ab, manches gar nicht. Ihr Genie ist ein Ergebnis von Hegemonie – nach eineinhalb Stunden bläst Urfaust/FaustIn and out im Wiener Volx mit neu gedichtetem Rap zum Angriff auf den Kanon, dieses von den Siegern der Literaturgeschichte gebaute Muss mit Werken von Männern, erklärt zum Erbe der Menschheit. Der ganzen? Nein.

Angebot mit Lieferwagen

Dann hätte Elfriede Jelinek in Goethes Faust 2012 nicht mit ihrem eigenen reingrätschen und auf skandalöse Passagen darin reagieren müssen. Etwa auf das aufdringliche Angebot "Mein schönes Fräulein ..." des alten Kerls. Jelinek verschneidet in FaustIn and out also mit bitterbösem Humor das Gretchen mit der in einen Keller gesperrten Tochter von Josef Fritzl und mit dem Entführungsopfer Natascha Kampusch: "Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen VW-Lieferwagen Ihr anzutragen?" Ablehnen nützt nichts.

Schauplatz ist folglich ein Keller. Ivan Bazak schmückt dessen Enge mit Kühlschrank, Bügelbrett und einer abgesessenen Couch aus. Im hinteren Teil dient ein Kübel der Gefangenen zum Zähneputzen und als Toilette. Wenn Günter Franzmeier als Goethes Originalfaust im Repeat-Modus klassisch, überdrüssig oder nur Vokale sprechend über die Zeit, die er in seinem "Mauerloch" studiert hat, jammert, denkt sie wohl: Die Sorgen möchte ich haben!

Lamento des Mannes, Leid der Frau

Jelinek hat ihr (Nadine Quittner) in dem Verlies immerhin zwei Geister beigegeben. Wenn Franzmeier vom Balkon herabspricht, antworten sie ihm mit weit in den Nacken gelegten Köpfen. Steffi Krautz klagt gegen das Lamentieren des Mannes mit dem viel existenzielleren Leid der Frau an. Etwa von Altersarbeitslosigkeit, Kapitalismus oder der Supermarktverkäuferin, die abgelaufenes Joghurt für ihre Kinder mitnimmt und dafür den Job verliert.

Regisseurin Bérénice Hebenstreit hat sich für den Text eine herrliche Bebilderung ausgedacht: Krautz hat nebst den wichtigsten Textpassagen auch die Oberhoheit über den tiefergelegten Haushalt. Er wird von ihr höchst gewissenhaft, aber nach nicht immer einsichtigen Kriterien geführt. In Nonsenshandlungen ausufernde Verrichtungen, die sich um Socken (des Hausherrn?) drehen, konterkarieren die Härte des Textes. Fast mehr als mit seiner guten Absicht punktet der Abend mit der Absurdität in Wort und Bild. (Michael Wurmitzer, 5.3.2020)